Zum Hauptinhalt springen

Wahrheitssuche in einem Wahljahr

Von Martyna Czarnowska

Kommentare

Der russische Bericht zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine bringt Polens Ministerpräsidenten in die politische Zwickmühle.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Für Ewa Blasik war ihr Gemahl ein Mann von Ehre. Andrzej Blasik hat sein ganzes Berufsleben der polnischen Armee gewidmet, er brachte es zum General und wurde schließlich zum Kommandeur der polnischen Luftstreitkräfte berufen. In dieser Funktion starb er auch. Blasik war im Cockpit der Präsidentenmaschine, die am 10. April des Vorjahres bei Smolensk in Russland abstürzte.

Dass ihr Mann dabei angetrunken gewesen sein soll, wie es der russische Abschlussbericht zur Flugkatastrophe suggeriert, weist Ewa Blasik zurück. Diese Behauptung sei ein schändlicher Versuch, das Ansehen ihres Gatten in den Schmutz zu ziehen, erklärte die Witwe bei einer gut besuchten Pressekonferenz in Warschau. Es gebe keine Beweise für Alkoholkonsum, und die Vorwürfe seien bloß russische Propaganda.

Der am Mittwoch in Moskau präsentierte Rapport zum Flugzeugabsturz lässt die Emotionen in Polen hochkochen. Und er könnte die Beziehungen zwischen Warschau und Moskau nach der leichten Entspannung der vergangenen Monate erneut belasten.

In Polen herrscht Empörung darüber, dass die Schuld für das Unglück lediglich der polnischen Seite zugeschoben wird. Die Piloten seien laut Bericht unzureichend vorbereitet gewesen, und sie hätten dem psychischen Druck an Bord nachgegeben, trotz schlechten Wetters zur Landung anzusetzen.

Doch wo bleiben die Untersuchungen zu den russischen Behörden? Hätte der Tower in Smolensk den Flughafen nicht sperren müssen? Waren die dortigen Lotsen selbst gut genug ausgebildet? Das sind nur einige der Fragen, die derzeit in Warschau gestellt werden.

Schon kurz nach der Katastrophe, die das Land in einen Schockzustand stürzte, begannen in Polen wildeste Verschwörungstheorien zu kursieren. Die These von einem Abschuss des Flugzeugs mit dem Präsidenten und 95 weiteren Personen an Bord war eine der krudesten. Nun, nach Vorlage des Berichts, werden neue Theorien folgen.

Auch wenn die polnische Regierung Russland bereits ihre Anmerkungen zu der Untersuchung übermittelt hat und sich derzeit um einen gemeinsamen Rapport bemüht - das Ergebnis wird von jeder Seite anders dargestellt werden. Und politisch verwertet.

Immerhin stehen in Polen heuer Parlamentswahlen an, und die Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) setzt einmal mehr zum Angriff auf die Mitte-Rechts-Regierung von Premier Donald Tusk an. PiS-Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des gestorbenen Präsidenten Lech Kaczynski, wirft dem Ministerpräsidenten vor, den Russen bei deren Untersuchung zu sehr vertraut zu haben. Ähnlich äußerte sich übrigens auch Ewa Blasik, die Generalswitwe.

Tusk muss nun einen politischen Spagat schaffen. Einerseits soll er die Chance nutzen, dass seine konservative Bürgerplattform beim kommenden Urnengang als erste Regierungspartei nach 1989 erneut die meisten Stimmen erhält, worauf Umfragen hinweisen. Andererseits darf er nicht mit vermeintlicher Nachgiebigkeit gegenüber Moskau Wähler vergraulen. Eine Abkühlung im Verhältnis zu Russland kann Tusk aber auch nicht einfach in Kauf nehmen.

So versuchte es der Premier in seiner ersten Stellungnahme nach der Präsentation des Rapports zunächst mit Ausgewogenheit. Polen sei bereit, eventuelle Fehler einzugestehen. Russland müsse aber auch den Mut dazu haben. "Gute Beziehungen lassen sich nur auf Wahrheit aufbauen", befand Tusk. Wieviel Wahrheit die Politik aber zulassen wird, ist offen. Vor allem in einem Wahljahr.