"Der Friede beginnt im eigenen Haus" lautete der Titel eines Buches, in dem der Donnerstag nur wenige Tage nach seinem 85. Geburtstag verstorbene Alt-Bundespräsident Rudolf Kirchschläger 1980 | "Gedanken über Österreich" publizierte. Und es war auch das Motto seines Lebens, das in der zweimaligen Wahl zum Bundespräsidenten seinen Höhepunkt gefunden hatte. Sein Wort von den "Sümpfen und | sauren Wiesen", die es trockenzulegen gelte, ist berühmt geworden. Rudolf Kirchschläger blieb auch nach dem Rückzug ins Privatleben eine moralische Autorität, deren Mahnungen Gewicht hatten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Als Rudolf Kirchschläger am 20. März 1915 in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Niederkappl geboren wurde, · manche Quellen geben den Nachbarort Obermühl an und Kirchschläger erfuhr erst
während seiner Präsidentschaft vom Niederkappler Bürgermeister die Wahrheit · wies nichts darauf hin, dass er einmal erster Mann im Staat werden könnte. Noch herrschte in Wien der Kaiser, der erste
Weltkrieg erlebte mit der Schlacht um die Dardanellen einen Höhepunkt und die Kirchschlägers waren ziemlich arm. Im November 1918 verlor der erst dreieinhalbjährige seine Mutter, der Vater, ein
Arbeiter, ging eine zweite Ehe ein. Für den kleinen Rudolf wurde die Stiefmutter, die bis 1952 lebte, zu einer zweiten Mutter. Als er 11 war, verlor er auch den Vater. Armut prägte seine Kindheit.
Mit Gelegenheitsarbeiten, als Gehilfe bei einem Friseur, als Fensterputzer, Kohlenträger und Schneeschaufler half er das Familienbudget · neben ihm lebten noch zwei Halbschwestern im Haushalt ·
aufbessern. Trotzdem war er als Schüler Klassenbester und maturierte mit Vorzug. Sein Jusstudium mußte Kirchschläger 1938 unterbrechen. Sein Stipendium war ihm gestrichen worden, weil er sich
weigerte, der NSDAP beizutreten. Kirchschläger wurde Bankangestellter. In seinen Wehrmachtsurlauben schloss er das Studium 1940 dann doch noch ab und heiratete im gleichen Jahr seine Frau Herma. Bis
zum Kriegsende war er an der Front, wo er zwei schwere Verletzungen erlitt.
1944 und 1944 kamen die beiden Kinder zur Welt, ein Sohn und eine Tochter.
Nach dem Kriegsende trat er am 15. August 1945 den juristischen Vorbereitungsdienst in Horn an und war anschließend in Krems und Langenlois an den dortigen Bezirksgerichten tätig.
Politisch engagierte er sich 1945 im ÖAAB, aus dem er aber bereits 1947 wieder austrat.
1953 übersiedelte Kirchschläger nach Wien und trat 1954 als stellvertretender Rechtsberater in das Bundeskanzleramt ein. In seiner Tätigkeit im Bundeskanzleramt nahm er an den
Staatsvertragsverhandlungen teil und war Mitautor des Neutralitätsgesetzes.
1956 trat er in den höheren Auswärtigen Dienst ein und wurde Leiter der Völkerrechtsabteilung im Aussenministerium. Unter den Aussenministern Bruno Kreisky und Lujo Toncic-Sorinj war er von 1962 bis
1968 stellvertretender Generalsekretär im Aussenministerium. 1967 ging er als Gesandter an die Botschaft in Prag, wo er die dramatischen Geschehnisse rund um den einmarsch der Ostblockstaaten im
August 1968 miterlebte. Er sorgte dafür, dass die Tore der österreichischen Botschaft für Asylsuchende offenblieben, so wie er später als Aussenminister Anweisung gab, dass chilenische Flüchtlinge
nach dem Putsch Pinochets Zuflucht in der österreichischen Botschaft in Santiago finden konnten.
Bruno Kreisky berief den parteilosen Katholiken 1970 in sein erstes Kabinett als Aussenminister und nach dem Tod von Bundespräsident Franz Jonas 1974 setzte er ihn gegen Widerstände in der eigenen
Partei als Präsidentschaftskandidaten der SPÖ durch.
Kirschschläger gewann die Wahl gegen den ÖVP-Kandidaten, den Innsbrucker Bürgermeister Alois Lugger mit 51,7 Prozent. Bei seiner Wiederwahl im Jahr 1980 verzichtete die ÖVP auf einen Gegenkandidaten
und Kirchschläger wurde mit 79,9 Prozent im Amt bestätigt.
Als erster Bundespräsident nach 1945 diente Kirchschläger zwei volle sechsjährige Amtsperioden durch. Zahlreiche Auslandsbesuche absolvierte er in diesen Jahren. Unter anderem, war er das erste
österreichische Staatsoberhaupt, das den USA einen Besuch abstattete (1984).
Obwohl er in den letzten Jahren gesundheitlich angeschlagen war · eine schwere Augenkrankheit ermöglichte ihm nur mehr mit der Lupe das Lesen ·, nahm er immer noch regen Anteil am politischen
Geschehen und stellte sich für gute Anliegen zur Verfügung, etwa für den Verein Shalom, der die Sanierung jüdischer Friedhöfe zum Ziel hat.
Das Geheimrezept seiner Popularität war ein einfaches: Für den Waisenknaben aus einem kleinen oberösterreichischen Ort, stand zeitlebens der Mensch im Mittelpunkt und der Versuch, auch Andersdenkende
zu verstehen. Und so suchte und fand er auch in seinen Jahren in der Hofburg stets den Kontakt zu den Menschen im Land.
Manchmal meinte man ein bißchen ironisch, aber nie böswillig, der Präsident halte zu Jahresbeginn im Fernsehen die Predigten und Kardinal König die politischen Ansprachen. Kirchschlägers Reden und
Interviews waren oft Mahnungen, aber nie mit erhobenem Zeigefinger. Sie werden uns fehlen.