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Waldviertler Karpfen statt Shrimpscocktail

Von Julia Urbanek

Reflexionen
Das Salzamt
© Salzamt

"Das Gute liegt so nah" und "Das schmeckt wie früher". Immer mehr Konsumenten greifen zu regionalen Produkten. Das "Wiener Journal" hat mit Josef Floh und Georg Friedl gesprochen - über Kreativität und violette Karotten.


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"Geschmorte Rindsbackerl mit Jungzwiebel, Schafgarbe und Topinambur" stehen auf der Speisekarte, gleich darunter eine geschmorte Bio-Kalbsbrust mit Emmerreis-Risotto und Kohlrabi-Salat. Der Reis kommt weder aus der italienischen Po-Ebene noch vom Himalaja, sondern ist ein Getreidereis aus dem niederösterreichischen St. Bernhard bei Horn. "Radius 66" heißt das Konzept der Speisekarte von Josef Floh - ausgehend vom Zirkeleinstich Langenlebarn, wo sich die Gastwirtschaft Floh befindet, kommen alle Produkte von Lieferanten aus einem Umkreis von 66 Kilometern. "Ich arbeite seit vielen Jahren mit den Bauern und Produzenten aus der Region zusammen. Auch wie es noch nicht so modern war", sagt Josef Floh. Die Bezeichnung "modern" wird dem Thema Regionalität kaum mehr gerecht, fast jeder Gastronomiebetrieb pocht mittlerweile auf seine Fische aus dem nahen Gewässer, das Fleisch vom benachbarten Bauern. Wo früher möglichst exotische und weitgereiste Speisen die Gäste faszinierten, freuen sich diese heute mehr über alte Gemüsesorten und wiederentdeckte Fischarten. Josef Floh geht dabei einen extremen Weg: Zwar heißt nur eines seiner vier Menüs Radius 66, de facto entsprechen allerdings 98 Prozent seiner gesamten Karte dem Radius 66-Konzept, wobei auch ausnahmslos alle Grundzutaten aus der Region stammen. "Es geht mir darum, dass auch Essig, Mehl und Zucker aus der Gegend kommen." Deshalb wird das Risotto nur mehr mit Getreidereis aus dem Weinviertel gemacht, der Quittensirup wird mit Apfelsaftkonzentrat gesüßt und in den Salat kommt Rapsöl. Erich Stekovics aus dem burgenländischen Frauenkirchen beliefert Floh unter anderem mit seinen Paradeiserraritäten, Paprika und Chili, von Erwin Gegenbauer kommen viele Essigsorten. Einfach sei es nicht immer gewesen, diesen Produzentenstamm aufzubauen: "Man muss einfach selber aktiv sein und immer Augen und Ohren offen halten." Floh holt sich Tipps in seinem Bioladen und lernt über seine Bauern Gemüseraritäten wie die violette Karotte kennen. Auch privat kauft Josef Floh regional ein und betritt keine großen Supermärkte, Ausreden lässt er hier auch bei seinem Umfeld keine gelten: "Ich bin da sehr radikal. Jeder Einkauf ist ein politischer Akt, man kann auch beim kleinen Greißler, beim Fleischhauer oder beim Bauern kaufen." Ein Kampf gegen Windmühlen, wo doch gerade am Land viele Betriebe wie Bäckereien zusperren? "Ja, ein Kampf ist das schon. Aber man darf ihn nicht aufgeben." Die Reduktion auf Lebensmittel aus dem engsten Umfeld beeinflusst auch die Kreativität beim Kochen, erklärt Josef Floh: "Man setzt sich viel mehr auseinander damit, man arbeitet kreativer durch die Verknappung. Ich krame oft Sachen hervor, die keiner mehr macht. Man muss einfallsreich sein und kann nicht das machen, was es eh schon immer gibt."

Das sieht auch Georg Friedl so. "Das eingeschränkte Arbeiten, nicht immer ins Volle greifen zu können, das bewirkt, dass man sehr ins Detail denken muss. Vor allem bei einfachen Produkten wie einer Kohlrübe muss man sich dann schon überlegen, wie man das spannend zubereiten kann", erzählt er. Im Kochgewand sitzt er nach dem Mittagsgeschäft an einem der Tische seines Lokals im Linzer Salzamt zwischen Altstadt und Donau. "Mühlvierteln im Salzamt" heißt das Restaurant, mit dem Friedl im August 2010 sesshaft geworden ist, vorher tourte er fast zehn Jahre lang mit seinem Konzept "Mühlvierteln" von Bauernhof zu Bauernhof oder gastierte in Brauereien. "Der bewusste Verzicht auf die ständige Verfügbarkeit der Lebensmittel schränkt nicht ein, sondern fördert die Kreativität", heißt es nun auch auf der Speisekarte, auf der sich Leinölerdäpfel, Bärlauchspätzle oder Schwarzwurzelstrudel finden. Das Brot wird im eigenen Ofen gebacken, und auch das Wasser kommt gewissermaßen aus der Region - "Linzer Wasser" steht demonstrativ am Zapfhahn auf der Schank. Friedl begann bereits 1995 als Küchenchef in einem Restaurant regional zu kochen, "ich war sicher der Zeit sehr voraus, es ist damals nicht wirklich verstanden worden", erzählt er und lacht. Spätestens seit das Kopenhagener Restaurant Noma von René Redzepi im Vorjahr zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, ist der Regionaltrend in der Gastronomie endgültig nicht mehr aufzuhalten. Auch 2011 wurde das Noma von der britischen Fachzeitschrift "Restaurant Magazine" wieder zum besten Restaurant gewählt und löste damit eine lange Siegesserie von Ferran Adrias El Bulli ab - die Regionalküche folgt auf die Molekularküche. Redzepi, der auch bei Adria gekocht hat, will die Küche wieder "entglobalisieren", wie er in einem Interview mit der "Welt" sagte: "Wenn in Restaurants nur noch Physalis aus Venezuela oder Kobe-Rind aus Japan auf die Teller kommt, vergisst man leicht, was bei uns vor der Haustüre wächst und wie man es zubereitet."

Was in Skandinavien Moltebeeren und Rentiere sind, sind im Zentralraum Oberösterreich etwa Spargel und Seefische. Georg Friedl bezieht seine Produkte aus einem Umkreis von etwa 100 Kilometern, das Gemüse kommt aus dem Eferdinger Becken, das Fleisch von den Bauern aus der Umgebung. "Ich bin in Oberösterreich gut aufgestellt und glücklich, dass ich nicht woanders sitze, weil ich die Produkte hier wirklich vor der Haustüre habe. In manchen anderen Gegenden ist es sicher schwierig, regional einzukaufen." Abwechslung und Authentizität machen für ihn den Reiz des regionalen Kochens aus: "Ich könnte auch asiatisch kochen, aber es wäre nie so authentisch wie vor Ort. Für mich war es immer reizvoll, dass ich den Geschmack der Jahreszeit und der Region auf den Teller bringe." Deshalb gibt es bei Friedl auch Spargel erst, wenn ihn sein Gemüsebauer erntet und nicht den Spargel aus beheizten Zelten. "Der Umweltgedanke läuft automatisch mit. Wenn man das kauft, was zur Verfügung ist, kauft man besser." Für Friedl gehören zum regionalen Kochen auch alte, fast vergessene Zubereitungsarten. "Ich schaue nach alten Rezepten und versuche, das alte Handwerk zu erhalten. Wir haben viele Pensionisten im Lokal. Die sagen, es schmeckt wie früher. Aber auch die Jungen schätzen das Regionale und Saisonale total."

Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem Echten bestimmt auch den privaten Konsum. Je undurchsichtiger die industriellen Herstellungsverfahren oder die Produktherkunft der Lebensmittel werden, umso mehr wächst der Wunsch nach einfachen und "wie früher" hergestellten Produkten. Kräuter und Para-

deiser wachsen am Fensterbrett oder am Balkon, Gemüse wird am Markt gekauft, kleine Läden und spezialisierte Produzenten sprießen aus dem Boden. Der Blick auf die Herkunft der Lebensmittel im Supermarkt gehört für viele zum festen Ritual. 87 Prozent aller Österreicher gaben in einer Fessel-GfK-Umfrage an, regionale Produkte im Haushalt zu verwenden, heißt es im aktuellen Lebensmittelbericht des Umweltministeriums. Die Hauptgründe für den Konsum regionaler Produkte sind die erwartete Frische (80 Prozent), die hohe Qualität (79 Prozent) und der gute Geschmack (77 Prozent). Zwei Drittel der Konsumenten verbinden Regionalität aber auch mit Natürlichkeit und 59 Prozent haben ein größeres Vertrauen in die Produktion und Verarbeitung dieser Produkte, erläutert die Studie des Lebensmittelberichts. "Regionalität ist das neue Bio", sagt auch Hermine Hackl vom Agrarmarkt Austria Marketing. Das rotweißrote AMA-Gütesiegel garantiert die Herkunft aus Österreich, dass etwa ein Tier in Österreich geboren, geschlachtet und verarbeitet wurde. "Manche Produzenten sagen, die österreichische Herkunft ist ihnen zu wenig, sie wollen es auf die Region herunterbrechen." So können sich die Produzenten etwa die Herkunft "Tullnerfeld" ihrer Produkte kontrollieren und für die Konsumenten bestätigen lassen. "Die Konsumenten wollen Ehrlichkeit, dass draufsteht, was drinnen ist", sagt Hackl. Der Handel reagiert mit Regionalprogrammen und Shop-in-Shop-Regalen mit Produkten aus der Region. Der Trend erhält durch Lebensmittelskandale, Umwelt- und Klimakatastrophen emotionale Bestätigung. "Früher war es superschick, fremdländische Produkte zu kaufen", sagt Hackl. "Heute rümpft man darüber die Nase und hält es für unverantwortlich. Man wartet, bis die Erdbeeren bei uns reif sind." Und entdeckt dabei vergessene Produkte wieder: "Früher hat man sich für den Waldviertler Karpfen geniert. Da war der Shrimpscocktail viel schicker. Mittlerweile gibt es viele kreative Karpfenrezepte", sagt Hackl. "An der Regionalität hängen viele Emotionen, man stärkt die Individualität und ist mittlerweile stolz auf die regionalen Spezialitäten."

Gastwirtschaft Floh:

Tullnerstraße 1, 3425 Langenlebarn

www.derfloh.at

Mühlvierteln im Salzamt:

Obere Donaulände 15, 4020 Linz

www.muehlvierteln-salzamt.at