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Wall-Street-Kritik findet Anklang

Von Georg Friesenbichler

Politik

Die Bewegung nimmt sich den arabischen Frühling zum Vorbild.


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New York. Dass Michael Moore im Zuccotti-Park auftaucht, ist nicht wirklich eine Überraschung. Schließlich hat er in seinem jüngsten Film von 2009, "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte", gewohnt polemisch angeprangert, dass wie im alten Rom auch in den USA eine kleine Elite über den Großteil des Geldes und die Macht verfügt. Das sehen die Leute, die den Park zwischen Wall Street und World Trade Center seit zwei Wochen besetzt halten, genau so. "Wir sind die 99 Prozent", steht auf Plakaten zu lesen - gemeint ist der Prozentsatz der Bevölkerung, die von dem einen Prozent der Reichen mit Gier und Korruption unterdrückt werden. "Occupy Wall Street" ("Besetzt die Wall Street") nennt sich die Bewegung, die immer mehr Zulauf gewinnt.

Prominente Schauspieler wie Susan Sarandon, Roseanne Barr oder Alec Baldwin haben bereits ihre Unterstützung bekundet und haben teilweise den Park, für den sie den ursprünglichen Namen "Liberty Plaza Park" reklamieren, schon besucht. Die Anspielung der Namensgeber auf den Tahrir-Platz, dem Freiheitsplatz in Kairo, von dem aus die ägyptische Revolution startete, ist unverkennbar.

Wie die ägyptische Jugend nutzt auch diese amerikanische Twitter, Facebook und anderen Internetplattformen für den Protest. Die offizielle Website heißt nycga.cc (New York City General Assembly). Die unterstützenden Websites occupytogether.org und occupywallst.org, die das Anliegen verbreiten wollen, melden, dass sich auch in Chicago, Los Angeles und vielen anderen US-Städten ähnliche Gruppen gebildet haben. Und auch in Europa schließen sich schon einige Gruppen an, die auch beim Internationalen Protesttag am 15. Oktober mitmachen wollen.

Sympathie bei Milliardär und Nobelpreisträger

Spätestens, seitdem Demonstranten am Samstag die Brooklyn Bridge stundenlang blockiert haben und 700 von ihnen vorübergehend festgenommen wurden, ist die Bewegung, die anfangs nur belächelt wurde, auch in den US-Medien angekommen. Und am Sonntag fand sich der Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Stiglitz im Liberty Park ein, um den Besetzern zu bestätigen, dass die Banken die politischen Prozesse gekapert hätten. Er sprach sich außerdem für höhere Steuern für die Wohlhabenden und eine Finanztransaktionssteuer aus.

Auch Milliardär George Soros meint über die Protestierenden: "Offen gesagt kann ich ihre Gefühle verstehen." Auf der einen Seite müssten Kleinunternehmer mit immer höheren Zinsen kämpfen, auf der anderen Seite fahre die Finanzbranche riesige Gewinne ein und habe Spielraum für üppige Bonuszahlungen, sagte der Finanzinvestor.

Aber es geht den Protestierenden nicht mehr nur um die Wall Street, das Finanzzentrum des Landes. Frust über die ungleiche Einkommensverteilung mischt sich mit Verärgerung über Arbeitslosigkeit, Erderwärmung und Ellbogengesellschaft. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie nicht wollen, dass eine Minderheit über die Mehrheit regiert.

Diese Haltung ähnelt jener, die in Spanien, Griechenland oder Israel für Proteste sorgte, aber auch jener der konservativen "Tea Party", die mittlerweile entscheidenden Einfluss auf die Republikanische Partei hat. Von solch weitreichender Wirkung auf die Politik sind die Anti-Wall-Street-Aktivisten noch weit entfernt, auch wenn sie, für US-Verhältnisse beachtlich, einige Tausend Menschen auf die Straße bringen. Aber sie profitieren von der Enttäuschung der Menschen über Präsident Barack Obama, der Banken und Versicherungen gerettet hat, dessen Konjunkturpakete aber Armen, Arbeitslosen und unter dem Verfall der Immobilienpreise leidenden Hausbesitzern nicht geholfen haben.