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Walter Eselböck

Von Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter

Reflexionen
Walter Eselböck im Gespräch mit "extra"-Mitarbeiter Martin Hablesreiter im Garten seines Lokals in Schützen am Gebirge (Bgld). Foto: Stummerer

Der Koch Walter Eselböck über seine Besessenheit in der Küche, die ständige Suche nach Abwechslung, das Mediengetöse rund um Starköche - und das Konzept der pannonischen Küche.


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"Wiener Zeitung": Herr Eselböck, Sie werden häufig als bester Koch Österreichs bezeichnet. Wie wird man das? Walter Eselböck: Zu Beginn betrieben wir ja keinen Gourmettempel, sondern ein Jugendlokal. Ich war DJ und legte Platten auf, und hatte vom Kochen keine Ahnung! Dazu haben mich erst viel später meine Gäste getrieben.

Wie kam es dazu?

Ein Theateragent, der Mario Adorf, Helmut Qualtinger und Erich Fried unter Vertrag hatte, besaß ein Haus in Donnerskirchen. Die Männer waren häufig bei mir zu Gast und zudem alle sehr essbegeistert. Doch da es ihnen bei uns nicht besonders schmeckte, empfahlen sie mir zum Studium ein paar Lokale in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Also setzte ich mich mit meiner Frau ins Auto und wir fuhren los. Auf dieser Reise habe ich begriffen, worum es in einer Küche gehen kann. Als wir zurückkamen, begann ich selber zu kochen, weil ich keinem anderen zutraute, meine Ideen umzusetzen. Zum Leidwesen meiner Frau gab es in den darauffolgenden sechs Jahren in meinem Leben nichts anderes als Kochen. Ich war wie besessen. Mein Ehrgeiz hätte fast unsere Ehe zerstört.

Sie haben sich also alles selbst erarbeitet und nie eine Ausbildung zum Koch gemacht?

Nein, nicht im klassischen Sinn. Aber ich glaube, darauf kommt es nicht an. Entweder man hat Gefühl oder nicht. Wenn man mit voller Motivation antritt, so wie ich, kann man vielleicht noch mehr bewegen. Natürlich ist der Anfang schwer, wenn man nicht weiß, wie man ein Erdäpfelpüree macht oder eine Rindsuppe. Interessanterweise habe ich trotzdem bereits im ersten Jahr eine Gault Millau-Haube bekommen! Und fünf oder sechs Jahre später war ich schon Koch des Jahres. Das war eine Watschn für die ganze Branche!

Ist es schwer, an der Spitze zu bleiben, wenn man schon so viel erreicht hat ?

Kochen ist kein Sport, sondern ein Prozess. Ich werde bestimmt nicht mein ganzes Leben lang kochen, sondern rechtzeitig damit aufhören. Sobald ich die Lust verliere, ziehe ich einen Schlussstrich und mache etwas Neues. Ich brauche ständig neue Aufgaben und bin immer auf der Suche nach Abwechslung. Ich interessiere mich für Architektur, liebe Kunst und lese viel. Wenn ich ins Ausland fahre, gehe ich nicht nur in Restaurants, sondern auch in Museen. Das ist für mich eine Frage der Grundeinstellung zum Beruf und zum Leben generell.

Sie lassen sich also auch in Museen für neue Gerichte inspirieren?

Die Einflüsse kommen von überall her. Es gibt kein Rezept für gute Ideen. Natürlich fällt mir beim Arbeiten selbst am meisten ein.

Walter Eselböck. Foto: Stummerer

Sehen Sie sich selbst als Künstler?

Nein, nein, nein! Mein persönlicher Anspruch ist Qualität. Ich versuche, meine ganz persönliche Definition von Qualität in meiner Arbeit umzusetzen.

Auf Ihrer Karte liest man von Saibling-Spargel-Schnecken, Paprika-Holunder-Kaltschalen oder Jivara-Maracuja-Krokant. Was treibt Sie an, wenn Sie ein Gericht entwickeln?

Ein inneres Bedürfnis. Ich glaube, dass jeder Mensch, der etwas schafft, es letztlich für sich selbst tut. Eine Idee umzusetzen macht glücklich. Das ist in der Küche nicht anders als in der Malerei, in der Architektur oder in der Wirtschaft. Für mich wäre es extrem langweilig, immer dasselbe zu kochen. Deswegen versuche ich ständig, neue Gerichte zu entwickeln.

Sie sind sich also selbst der beste Kunde?

Ich habe das große Glück, ein Publikum für meinen eigenen Geschmack zu haben. Was ich selbst als gut empfinde, gefällt offensichtlich anderen auch. Andererseits gibt es Grenzen in Österreich, denn wir sind nicht unbedingt ein Gourmetland. Denken Sie nur an die Nouvelle Cuisine oder die Molekularküche. Diese Entwicklungen passierten in Frankreich und in Spanien, in Kulturen, die sich stark für Kreativität interessieren. Bei uns setzen sich neue Strömungen viel schwerer durch. Tatsächlich passieren Neuerungen aber umgekehrt: der Druck kommt vom Konsumenten, und darauf reagieren Köche, Architekten und Künstler, wenn sie etwas "erfinden". Der Konsument hat mehr Macht, als er glaubt.

Das heißt, Sie stoßen mit Ihren Kreationen auch auf Ablehnung?

Mittlerweile weiß ich, wie weit ich gehen kann. Ganz ausleben darf ich mich nicht! So gesehen, muss ich mich schon dem Mainstream unterordnen.

Was würde denn herauskommen, wenn Sie sich ganz ausleben könnten?

Gerichte, die keiner versteht. Der österreichische Esser ist leider nicht so aufgeschlossen, und der Wille zum Ausprobieren ist nicht so groß wie etwa in Spanien oder Frankreich. Das sind Fressländer. Für die Menschen dort hat gutes, auch neues Essen Priorität. Bei uns träumt man von einem Auto und einem Haus, Essen dagegen ist im Vergleich dazu tendenziell unbedeutender.

Sind wir gegenüber den Italienern oder den Franzosen sinnlich verarmt?

Essen hat in unserem Leben einfach nicht diesen Stellenwert. Vor kurzem war ich in einem Gasthaus essen - und es war fürchterlich. Ich glaubte Plastik zu essen. Optisch ganz schön, aber ohne jeden Geschmack. Das kommt alles von internationalen Logistikgruppen, die schlechte Glashausware global vertreiben. Überall auf der Welt sieht das Lebensmittel gleich aus, schmeckt gleich und ist völlig identitäts- und geschmacklos.

Warum essen die Leute das Zeug?

Weil sie nichts anderes mehr kennen. Ich befürchte, dass wir den Geschmack verloren haben. Auch innerhalb der Familien spricht man offenbar nicht über Essen oder Geschmack. Allerhöchstens wird die Dummheit verbreitet, dass Fett grauslich und mager gesund sei. Die Menschen sind so ahnungslos. Butter ist schlecht, Margarine gut, sagen sie. Ahnungslos. Und die Werbeindustrie puscht solche Meinungen noch.

Das klingt ziemlich deprimierend: Gibt es denn gar keine Hoffnung?

Noch vor zehn Jahren war ich überzeugt, dass sich die Leute irgendwann wehren, ihre eigenen Ideen verwirklichen und vielleicht sogar wieder selber kochen werden. Es gibt doch keine schwachsinnigeren Argumente als: "Ich habe keine Zeit zum Kochen" oder "Das ist so teuer". Das sind doch alles dumme Ausreden! Betrachten Sie doch diese angebliche Zeitverschwendung namens Kochen: Familie oder Freunde stehen gemeinsam in der Küche, Eltern und Kinder reden miteinander, es gibt keinen Fernseher, keinen Computer, keine Zeitung. Das gemeinsame Kochen gehört eigentlich verordnet! Ja, wir brauchen einen Kaiser, der uns zum gemeinsamen Kochen verpflichtet ( lacht ). Tatsächlich baut doch das Kochen psychische und familiäre Probleme ab.

Sie meinen, dass Kochen und gutes Essen aggressionslindernd wirken?

Ja, sicher! Es geht aber gar nicht um das Kochen selbst, sondern um die Kommunikation dabei. Wenn die Frau in der Küche alles allein erledigt, der Mann vorm Fernseher sitzt und die Kinder in ihre Zimmer verschwinden, dann bringt das gar nichts. Leider ist das aber die Realität. Bei uns ist Essen kein Genuss, sondern eine Belästigung.

Woher kommt diese Geringschätzung des Essens?

Ganz einfach, vor fünfzig Jahren erzeugte jeder sein Essen im eigenen Haus. Lebte man am Land, gab es einen kleinen Gemüsegarten, ein paar Hühner, vielleicht sogar zwei Schweine. Dann kam der Supermarkt, der für Reichtum stand. Man wollte den anderen zeigen, dass man sein Essen nicht mehr selbst herstellen muss, sondern einfach nur ins Geschäft geht und kauft, was man braucht. Der Supermarkt hat uns dem Essen entfremdet. Bei etwas bewussterem Einkaufen und Kochen könnten sich auch die Mittel- und die Unterschicht sehr gut und gesund ernähren. Das ist leistbar. Wenn bewusste Ernährung gesellschaftlich akzeptiert wäre, würden nicht so viele übergewichtige, mit Weißbrot vollgestopfte Menschen durch die Gegend laufen.

Glauben Sie, dass mittlerweile schon ein Schulfach zum Thema Essen nötig wäre?

Sicher. Es ist erschreckend, wie wenig der Konsument eigentlich weiß. Ein Großteil der Menschen weiß weder, wo das Essen herkommt, noch wann welches Gemüse reif ist, oder wie gesund oder ungesund die einzelnen Produkte sind. Ich glaube, dass eine sehr frühe Bildung zu diesen Themen extrem wichtig wäre.

Erstaunlicherweise aber taucht auch in Österreich beinahe täglich ein neuer Starkoch auf. Wie verträgt sich das mit der kulinarischen Grundeinstellung hierzulande? Wie ist das zu erklären?

Das sind doch nur Medienprodukte. Ein netter Pressetext und ein Foto genügen heute, um morgen ein Starkoch zu sein. Mediengerechte Stars sind für Journalisten natürlich ein gefundenes Fressen. Ein inszenierter Promi macht viel weniger Arbeit als eine gut recherchierte Geschichte. Journalisten lieben es, fertige Texte auf den Schreibtisch gelegt zu bekommen.

Sie selbst arbeiten also nicht mediengerecht?

Nein, nicht mehr. Früher habe ich leider jedes Klischee bedient und jede mediale Dummheit mitgemacht. Ich habe einem Magazin sogar meine Uhrensammlung gezeigt, blöd, wie ich damals war! Aber die Oberflächlichkeit solcher Berichte beginnt mit der Zeit wirklich weh zu tun. Heute brauche ich den Medienrummel nicht mehr.

Sind Sie ein Revoluzzer?

Nein, das ist eine Frage der Reife. Irgendwann sagt man sich einfach: Ich muss nicht Armin Assinger sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass jene, die medial am besten funktionieren, natürlich am bekanntesten sind. Ich kenne diese Medienköche ja alle. Gehen Sie in Wien auf Feste? Ich meine jene Partys, bei denen irgendwelche Menschen schwachsinnige Dummheiten in die ATV- und Seitenblicke-Kameras sagen. Nach der fünften Einladung zu solchen Events kam ich zur Erkenntnis: Das ist nicht meine Welt. Ich selbst gehe seit zehn Jahren nicht mehr auf solche Feste. Ich bin weder Dancing Star noch Fernsehfußballer.

Wer sind denn eigentlich Ihre Gäste?

Ganz unterschiedlich. Oft sind es Künstler, Schauspieler, natürlich Unternehmer, aber auch ganz einfache Leute. Viele kommen mit Gutschein - oft beschenken Kinder ihre Eltern, damit die einmal im Leben in ein Spitzenlokal kommen. Solche Leute reagieren dann sehr unterschiedlich. Manche fühlen sich unwohl, andere sind begeistert. In letzter Zeit kommen auch viele Neureiche aus dem Osten, aber das sind eigentlich gute Leute. Den schlechten Ruf der reichen Russen kann ich weder bestätigen noch nachvollziehen.

Wie reagieren Sie, wenn es jemandem bei Ihnen nicht schmeckt?

Früher war ich sehr sensibel, wenn jemand mein Essen beanstandet hat. Mittlerweile trifft mich das nicht mehr wirklich. Freie Internetplattformen, auf denen Kritik geäußert wird, nehme ich nicht ernst. Gourmetkritiker müssen gebildet sein und sollten sich jahrelang mit dem Thema auseinandergesetzt haben, bevor sie sich äußern. Ich meine das nicht überheblich. Wenn es jemandem schmeckt und er deswegen wieder kommt, freue ich mich natürlich. Wenn jemand dagegen meine Leistung rundweg ablehnt, kann ich nur sagen: Es gibt ja hundert andere Möglichkeiten etwas zu essen. Und kein Gast soll sich bei mir ärgern. Schade um die Zeit.

Gibt es etwas, das Sie selbst nicht essen?

Nein. Nur leidenschaftslos gekochtes Essen mag ich nicht!

Das heißt, Sie würden auch ein Schafsauge in Marokko probieren?

Sicher, das habe ich auch schon gemacht. Ich habe sogar schon Schlangen gegessen. Und ich liebe lebende Scampi sehr; die bekommt man in Kroatien. Weltklasse. Überhaupt liebe ich die frischen Zutaten der kroatischen Küche.

Und damit komme ich wieder zu einem Problem der heimischen Gastronomie: In Kroatien kann ich einen frischen, sechs Kilo schweren Steinbutt kaufen, kochen und essen. Das ist wunderbar. So etwas in Österreich zu servieren, ist jedoch absurd. Was wir an Esswaren - lebend oder tot - durch die Gegend karren, ist doch reiner Irrsinn! Ich frage mich, ob wir wirklich jedes Obst und Gemüse außerhalb der Saison essen müssen!

Im Frühjahr gibt es bei Ihnen also keine Weintrauben zum Käse?

Nein, das finde ich blöd. Was ich mache, ist einwecken - während der Saison natürlich. Ich bin seit langem auf lokale Produkte, wie heimische Fische spezialisiert. Hummer gibt es bei mir nicht. Scampi serviere ich nur, wenn ich gerade aus Kroatien gekommen bin und welche mitgebracht habe. Auch ohne französische Butter habe ich es zum Vierhaubenkoch gebracht. Gemüse oder Meeresfische durch die halbe Welt zu transportieren, ist doch verantwortungslos. Denken Sie nur an den Thunfisch-Kult - so eine Blödheit!

Sie verfolgen also nach wie vor das Konzept der pannonischen Küche?

Ich habe immer gesagt: Wenn bei mir ein Gast die Augen schließt, ein Gericht in den Mund nimmt und weiß, dass er sich in Schützen am Gebirge befindet, dann ist mir etwas gelungen.

Zur Person

Walter Eselböck. Foto: Stummerer

Walter Eselböck, 1957 in Wien geboren, arbeitete von 1975 bis 1981 als Barkeeper und Diskjockey, ehe er sich 1981 erstmals als Gastronom selbstständig machte. 1984 eröffnete Eselböck zusammen mit seiner Frau Eveline das Restaurant Taubenkobel im burgenländischen Schützen am Gebirge, wo er - der nie eine reguläre Kochausbildung absolviert hat - seitdem selbst am Herd steht. 1995 wurde Eselböck zu Österreichs Koch des Jahres gewählt, 2003 erhielt das Restaurant Taubenkobel die vierte Haube von Gault Millau; 2005 wurde es vom Guide Michelin mit 2 Sternen bewertet und zu den besten Restaurants Österreichs gelistet.

Walter Eselböck ist vielseitig unternehmerisch tätig und betreibt gemeinsam mit seinen Töchtern Stephanie und Barbara (und deren Ehemännern) im Burgenland eine Greislerei, einen Weinhandel, ein Weingut und ein Hotel am Neusiedlersee.

Sonja Stummerer, geboren 1973, und Martin Hablesreiter, geboren 1974, leben als Architekten, Designer und Autoren in Wien. Ihr jüngste Publikation, "Food Design XL", ist 2010 im Springer Verlag erschienen.