Schutzsuchende bekommen kostenlose Karten für die Wiener Multi-Kulti-Party.
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Wien. Eine Party, bei der feiernd protestiert wird, findet am Freitag im Wiener Rathaus statt. 3500 Menschen werden auf dem 18. Flüchtlingsball erwartet. Durchgemischtes Publikum, Musikprogramm aus aller Welt und ein guter Zweck zeichnen den alternativen Höhepunkt der Wiener Ballsaison aus. Neben Entscheidungsträger und Businessleute werden auch Asylweber im Festsaal des Wiener Rathauses das Tanzbein schwingen.
Fast 1000 Menschen, ein Teil davon Schutzsuchende, besuchen die Veranstaltung kostenlos. Diese nach gängigen Normen eher untypischen Ballbesucher wohnen oder lernen Deutsch im Integrationshaus. Für sie hat für einige Stunden das Feiern Priorität. Danach widmen sie sich wieder ihrem Alltag: laufende Verfahren, Besuche bei der Polizei und Gericht, Arbeitsverbot und finanzielle Not.
Dem bunten Publikum des Flüchtlingsballs entsprechend lautet der Dress Code "Bekleidung beliebig, aber erwünscht". Die Interpretation macht jeder für sich. Das Ergebnis ist eine Varianz aus Jeans und T-Shirts bis zu nationalen Trachten, Ballkleidern und Fracks.
Enkhabayar Enkhtaivan ist eine von den zirka 3000 Menschen, die jährlich im Integrationshaus betreut werden. Die Wiener Balltradition kennt die Mongolin nicht, erste Erfahrungen wird sie heuer in einem schwarzen Kleid im Rathaus sammeln. Auch ihre 11-jährige Tochter Enkhbofor hält ihr rosa-schwarzes Kleid für die Feierlichkeit bereit. Enkhtaivans Alltag ist ihrem kranken Mann und den zwei Töchtern gewidmet. Die ganze Familie wohnt im Integrationshaus. Enkhtaivan lernte dort auch die deutsche Sprache. Auf einen Asylbescheid wartet sie seit 2005. Gerne würde Enkhtaivan als Schneiderin arbeiten, doch ohne Asylbescheid wird ihr die Berufstätigkeit nicht gestattet.
In Begleitung ihrer achtjährigen Tochter besucht auch die Nigerianerin Wasiat Dawodu den Flüchtlingsball. Die 32-jährige diplomierte Buchhalterin ist alleinerziehend und bewohnt gemeinsam mit ihren drei Kindern das Integrationshaus. Sie ist seit 2004 in Österreich, hat subsidiären Schutz, darf hier arbeiten, findet aber trotz abgeschlossener Ausbildung und mehrjähriger Berufspraxis keine Stelle. Damit sie nicht weiter dem Arbeitsmarkt fernbleibt, plant Frau Dawodu, eine Ausbildung als Kindergartenassistentin zu machen. Auf den Flüchtlingsball freut sie sich sehr, hat sie bereits schon drei besucht. Ihre Haare sind geflochten, ein langes Kleid in Beige und Braun steht bereit.
"Menschen mit Niveau"
"Zum ersten Mal habe ich hier so ein großes Fest erlebt und so viele Menschen mit Niveau getroffen", erinnert sich Frau Dawodu an ihren ersten Flüchtlingsballbesuch. Sie war von der Art des Tanzens in Österreich überrascht: nicht von den Traditionstänzen, sondern die Art der Bewegungen zu Popmusik. Auch Männer mit bunt gefärbten Haaren, wie der Ballorganisator Nikolaus Heinelt, waren ihr neu. Damit er während der Veranstaltung leicht erkennbar bleibt, wählt er jedes Jahr eine Farbe wie Grün oder Pink für seine Haarpracht.
Der Reinerlös kommt dem Integrationshaus zugute. Durchschnittlich 50.000 Euro pro Saison sind in den letzten Jahren zusammen gekommen. "Diese Summe wird für Bildung, Betreuung, Beratung ausgegeben", sagt Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Vereins Integrationshaus. Der Ballerlös fließt konkret in Sprach- und Ausbildungsprojekte, eine Beratungsstelle, zu der auch eine unabhängige kostenlose Rechtsberatung für Flüchtlinge und ein Kindergarten gehört. Das Angebot wird mit zwei Wohnprojekten ergänzt: Beim Projekt "Caravan" finden 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein Zuhause samt Betreuung. Das Wohnheim des Integrationshauses verfügt über bis zu 110 Wohnplätze.
Los der Asylwerber bessern
Zum Feiern und Protestieren wurde vor 18 Jahren der Ball ins Leben gerufen. Man nutzt diese Plattform, um aktuelle Themen anzusprechen, die das Leben von Flüchtlingen wie jenes der mongolischen Familie Enkhtaivan und der Nigerianerin Wasiat Dawodu erleichtern könnten. Ein wichtiger Punkt ist die unzureichende Grundversorgung für Asylwerber. "Seit 2004 sind als Grundversorgung 17,50 Euro pro Person täglich vorgesehen. Diese bekommt der Organisationsträger wie beispielsweise das Integrationshaus. Davon bekommen die Asylwerber Taschengeld und die Personal- und Wohnkosten werden gedeckt", erklärt Andrea Eraslan-Weninger. Wenn sich ein Flüchtling beispielsweise privat versorgt, bekommt er 10,80 Euro täglich für Wohnung, Essen und Kleidung.
Ein gleichberechtigter Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt könnte Schutzsuchenden ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen und von der Grundversorgungsabhängigkeit lösen. Dies betrifft derzeit zirka 25.000 Menschen. So viele befinden sich derzeit laut Eraslan-Weninger in laufenden Asylverfahren. Obwohl die Sozialpartner sich schon seit längerer Zeit einig sind und einen Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber befürworten, gibt es nach wie vor keinen Erlass des Sozialministeriums. Es kommt zu Paradoxa - Interessenvertretungen sagen "Ja", die Politik sagt "Nein", die Wirtschaft benötigt Fachkräfte, nutzt aber nicht die Qualifikationen, die Asylsuchende mitbringen. Und wer bei seiner Flucht nicht die Diplome eingepackt hat, kann kaum mit einer Anerkennung seiner Ausbildung in Österreich rechnen.
Auch jugendliche Asylsuchende sind zum Nichtstun verdammt. Viele möchten eine Lehrausbildung absolvieren: Dies ist jedoch nicht möglich, weil die Lehre als Arbeit zählt und eine gesonderte Genehmigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz erforderlich ist. Nicht nur der Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch die Möglichkeit, Sprachkurse und Ausbildungen während der Zeit des Asylverfahrens kostenlos besuchen zu können, ist ein wichtiges Anliegen des Integrationshauses. So könnten Asylsuchende entschieden besser für den Arbeitsmarkt vorbereitet werden: Einen Job bekommt nur der, der gut Deutsch spricht.
Die Solidarität mit den Schutzsuchenden spiegelt sich beim Flüchtlingsball auch in der Mitternachtseinlage wider. Statt "Alles Walzer" präsentiert ein Laienchor, bestehend aus Mitarbeitern des Integrationshauses, ein extra komponiertes Lied zum Thema Integration. Als Vorlage dient das Stück "No nos moveran" ("Nein, wir gehen nicht weg") der amerikanischen Sängerin Joan Baez. Das Original ist ein "Standard" der Occupy-Bewegung rund um den Globus.