Taipeh will seine Tore chinesischem Kapital öffnen. | Opposition fürchtet um Eigenständigkeit der Insel. | Wien/Taipeh/Peking. Taiwan und China stehen vor einem großen Schritt der Annäherung: Die beiden Länder wollen bis Juni einen Rahmenvertrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit schließen. Doch in Taiwan stößt der von Präsident Ma Ying-jeou voran getriebene Pakt, der unter dem Kürzel ECFA firmiert, nicht nur auf Gegenliebe. Die Opposition protestiert, und viele befürchten eine zu starke Anbindung an China. | Interview mit Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
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Doch die Wirtschaft hat durchaus Interesse an dem Vertrag: Denn sie bindet sich zusehends an China. In Folge deutlich gestiegener Produktionskosten haben taiwanische Unternehmen bedeutende Teile der Fertigung neben Südostasien vor allem nach China verlagert. Taiwanische Firmen haben dort große Investitionen getätigt (nach Schätzungen zwischen 100 und 250 Milliarden US-Dollar).
Taiwan zählt zu den asiatischen Tigerstaaten. Früher geprägt von landwirtschaftlicher Produktion und billigen Massenartikeln, wird die Wirtschaftsentwicklung heute vor allem von der IT-Industrie angetrieben. Da sich Taiwans Bruttoinlandprodukt zu 70 Prozent von den Exporten speist, ist man auf freien Handel angewiesen. Die Volksrepublik ist dabei der wichtigste Handelspartner, vor Japan und den USA.
War Taiwans Wirtschaft bisher mit Hindernissen in China konfrontiert, sollen diese nun durch das Abkommen abgebaut werden. Der Vertrag sieht vor, dass Zölle auf taiwanesische Waren gesenkt werden oder ganz entfallen, Investitionsbedingungen in China sollen verbessert werden.
Doch auch Taiwan öffnet seine Tore, die bisher dem chinesischen Kapital verschlossen waren. Damit will Taiwan gegenüber den südostasiatischen Asean-Staaten wie Thailand oder Vietnam wieder Boden gutmachen. Denn diese haben Anfang des Jahres ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnet.
Das Abkommen sieht vor, dass China zukünftig etwa im taiwanesischen Dienstleistungsbereich, im Baugewerbe oder in Wertpapiere investieren darf. Und genau hier setzt die Kritik in Taiwan an dem Abkommen an: Dieses würde die Insel zu nahe ans Festland binden und die Gefahr bergen, dass China sich in der Folge Taiwan einverleibt, wettert die Opposition.
Peking verlangt Wiedervereinigung
Taiwan wird von China als abtrünnige Provinz betrachtet und auch nur von wenigen Ländern als eigenständiger Staat anerkannt. De-facto ist die Insel aber unabhängig.
Das von China 2005 beschlossene Anti-Sezessionsgesetz hält hingegen an der Wiedervereinigung von Festlandchina und Taiwan fest. Den Taiwanesen wird aber ein hohes Maß an Autonomie zugesichert. Kritiker des Abkommens in Taiwan fürchten, dass der Wirtschaftsvertrag genau in diese Richtung führt. Nämlich, dass Taiwan eine chinesische Sonderverwaltungszone wie Hongkong oder Macau wird. Die Opposition fährt derzeit eine Kampagne, bei der auf satirischen Plakaten der Anschluss Taiwans an China ausgerufen wird.
Präsident Ma versuchte nun zu beruhigen. Der geplante Handelspakt sei nicht der erste Schritt in einem Vereinigungsprozess, sondern ein Wirtschaftsabkommen, das zum Frieden in der Region beitragen könne, verkündete der Präsident gestern, Dienstag. Schon zuvor hatte Ma immer wieder beschworen, dass ohne den Vertrag die Insel wirtschaftlich ins Hintertreffen gerate.
Auch wenn der Wirtschaft das Abkommen wohl hilft, geht Ma damit innenpolitisch ein großes Risiko ein. Nachdem es unter seinem Vorgänger Chen Shui-ban immer wieder zu heftigen Spannungen mit China gekommen war, hat Ma seit seiner Wahl 2008 die Versöhnung mit Peking im Eiltempo vorangetrieben.
Taiwan schielt aufFestland-Touristen
So hat Ma die zuvor zehn Jahre lang unterbrochenen Gespräche mit China wiederaufgenommen. Es gibt nun direkte Charterflüge und auch der chinesische Tourismus auf der Insel wurde ausgeweitet. Wegen der schwierigen Wirtschaftslage würden viele Taiwanesen auf die konsumfreudigen Festlandtouristen schielen, heißt es.
Doch die Umfragewerte von Präsident Ma sind im Keller. "Selbst vielen Befürwortern war die Geschwindigkeit der Annäherung an China in den letzten zwei Jahren zu schnell", sagt der Analyst Bernt Berger von der deutschen "Stiftung Wissenschaft und Politik". Er vermutet, dass vor allem Taiwans Wirtschaft hinter dem Abkommen steckt.
Chinas Interessen hinter dem geplanten Pakt sind laut Beobachtern klar. Neben wirtschaftlichen Vorteilen, die der Vertrag bringt, ist jedes Näherrücken "der abtrünnigen Provinz" an Festlandchina in Peking willkommen.