Die deutsche Tragödie namens "Groko" ist der Abgesang auf die Ära Merkel. Es ist die Stunde des politischen Nachwuchses.
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Wer glaubte, der deutsche Merkelismus habe sich überlebt, kann sich nur verwundert die Augen reiben. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer als neuer CDU-Generalsekretärin hat Kanzlerin Angela Merkel ein todgeweihtes Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Die "kleine Merkel", wie Kramp-Karrenbauer von manchen genannt wird, soll Schwächen der Kanzlerin kaschieren und wird vermutlich als Bauernopfer enden. Das mag bei einigen Parteigängern gut ankommen, dem Bürger dürfte es egal sein. Die Tragödie namens "Groko", die derzeit in Berlin aufgeführt wird, ist der Abgesang auf die Ära Merkel, neue Gesichter hin oder her. Die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse in Berlin tendiert ebenso gegen null wie ihre Überlebenschancen.
Es erinnert an Platons Höhlengleichnis: Niemand traut sich aus dem Kanzleramt hinaus, um den politischen Ist-Zustand zur Kenntnis zu nehmen. Deutschland ist tief gespalten, der Bruch geht durch die Mitte. Alexander Gauland ist der Oskar Lafontaine der CDU. Er zieht den Konservatismus zur AfD ab, wie Lafontaine seinerzeit die sozialistische Linke in die andere Richtung führte.
Wer hiervor die Augen verschließt, kann nur noch wie Merkel reagieren und mit neuen Köpfen überholtes Denken anbieten. Alte Themen werden umetikettiert, neue Gesichter tragen sie vors Wahlvolk - wie soll das gehen? SPD und CDU/CSU haben bei der Bundestagswahl historische Einbußen hinnehmen müssen, das lässt sich selbst mit subtilster Camouflage nicht wettmachen. Wenn das Vertrauen der Menschen in die Politik in Abstrafungsmentalität umschlägt, ist die Zeit für politische Visionen vorbei. Denn sie sind immer auch an den gebunden, der sie an den Himmel malt.
Es ist die Stunde des politischen Nachwuchses. Wie die politische Bandbreite zukünftig aussieht, hängt maßgeblich davon ab, welcher Typus von Politikerin und Politiker das Parkett betritt. Ethik und Moral werden hierbei eine neue Rolle spielen, für ökonomischen Lobbyismus darf da kein Platz mehr sein. Sonst könnte man die Parteien gleich in Traditionsvereine mit Vorstand, Kassen- und Wimpelwart umwandeln und die Marke Deutschland wie einen Konzern führen, bei dem Gewinnmaximierung wie ein Fetisch angebetet wird.
Ohne Ethik und Moral bleiben Visionen Schwarz-Weiß-Denken. Erst Menschlichkeit und Zugewandtheit geben ihnen Farbe. Die gegenwärtige politische Klasse verfügt nicht mehr über das notwendige Farbgefühl. Die brennenden Fragen basieren auf dem Ist-Zustand der Gesellschaft. In Frankreich und Österreich hat sich der demografische Wandel am deutlichsten vollzogen, verbunden mit diametral entgegengesetzter politischer Ausrichtung. Die Demokratie lebt von diesen Spannungsbögen. Sie muss sie aushalten können. In Deutschland zeichnet sich der überfällige Wandel ab. Bei den Sozialdemokraten könnte Juso-Chef Kevin Kühnert so ein Politikertyp sein. Bei der FDP und der Linken bewegen sich mit Christian Lindner und Sahra Wagenknecht bereits Talente auf dem politischen Parkett. Die CDU/CSU ergeht sich noch in Diadochenkämpfen. Das macht Hoffnung.