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Wann kann man sich ein Recht auf Arbeit leisten?

Von Andreas Unterberger

Politik

Was die Schaffung von zehn neuen Gerichtshöfen bedeutet. | Soziale Grundrechte hängen an einer Leistbarkeitsklausel. | Vom AMS bezahltes Studium? | "Wiener Zeitung": An der Mega-Aufgabe einer Verfassungsreform sind in den letzten Jahrzehnten viele Gremien gescheitert. Warum soll jetzt ein relativ schwaches Gremium aus zwei ehemaligen Politikern - Sie und Andreas Khol -, zwei Landeshauptleuten und Beamten einen Teilerfolg schaffen? | Peter Kostelka: Wenn man es nach der Funktion beurteilt, ist es natürlich relativ schwach, weil die Landeshauptmänner ja noch dazu nicht an den Sitzungen teilnehmen. Die lassen sich permanent vertreten.


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Mit hohen Funktionsträgern haben wir es jedoch bei der letzten derartigen Veranstaltung versucht: beim Verfassungskonvent. Das hat nicht funktioniert.

Das war aber nicht der einzige Versuch bisher.

Es ist für mich schon die fünfte derartige Veranstaltung, an der ich teilnehme: Die Grundrechtskommission, die Reformkommission unter Kreisky, die Bundesstaatsreform unter Vranitzky nach dem Pakt von Perchtoldsdorf, der Konvent unter Schüssel und jetzt die Expertengruppe.

Diese gibt nun das Ziel einer Großreform auf und macht nur noch Kleinreformen.

Wir haben - man möge uns das verzeihen - gemeint, man müsse mit den Dingen anfangen, von denen wir sicher waren, dass man sie zusammenbringt. Deshalb steht die Verfassungsbereinigung am Anfang. Denn Verfassungsgerichtshof-Präsident Korinek hat da im Konvent sehr viel vorgearbeitet. Es gab nur noch eine Reihe von Details, etwa um künftige Entwicklungen wie neue Staatsverträgeeinzufangen.

Diese Bereinigung ist aber für den normalen Bürger nicht wirklich relevant, sondern nur für Juristen.

Er bringt eine notwendige Klarheit; Adressat ist aber in erster Linie der Jurist, nicht der Bürger. Beim zweiten Teil des fertigen Pakets schaut es anders aus. Er heißt sperrig "Landesverwaltungs-Gerichtsbarkeit". Das ist für den Bürger deswegen spannend, weil bisher die erste und zweite Instanz weisungsgebundene Beamte sind und der Verwaltungsgerichtshof über allem schwebte. Es gibt dazwischen ein paar Senate, die in Richtung Gerichtsbarkeit gehen, aber noch nicht Gerichte sind, die Verwaltungssenate, der Bundesasylsenat, der Finanzsenat.

Die haben alle derzeit nicht die richterliche Unabhängigkeit.

Manche Länder hatten schon damit begonnen, den Mitgliedern dieser Senate die Lebensbestellung eines Richters zuzugestehen. Das alles wird jetzt mit einem Strich eliminiert. Künftig gibt es nicht zwei Verwaltungsinstanzen und eine Gerichtsinstanz, sondern es gibt nur noch eine Verwaltungsinstanz - etwa die Bezirksverwaltung, das Finanzamt oder den Bürgermeister für Bauangelegenheiten - und darüber zwei gerichtsförmige Instanzen.

Alle jene Senate werden abgeschafft?

Die Verwaltungssenate, Asylsenate, Finanzsenate werden Gerichte, und zwar nach dem Modell "Neun plus eins". Jedes Land bekommt einen Landesgerichtshof, der zuständig ist für die autonome Landesverwaltung und die mittelbare Bundesverwaltung.

Jene, die dort arbeiten, sind unabsetzbare, unversetzbare Richter?

Ja.

Die Justizministerin kritisiert, dass Verwaltungsbeamte zu Richtern werden. Müssen die Richter am Gerichtshof erster Instanz nicht die Richterdienstprüfung haben?

Nein. Wir haben uns dagegen ausgesprochen. Es muss ja das Ziel sein, dass die besten Baurechts-Juristen in die Rechtsmittelinstanz gehen, wo sie sinnvollerweise noch eine entsprechende Zusatzausbildung bekommen. Das ist viel adäquater, als jemanden mit Richterdienstprüfung zu nehmen, der die Verwaltung nie gesehen hat.

Und muss der Bauspezialist dann nicht auch Asyl, Wasserrecht und so weiter judizieren?

Nein. Es wird Fachsenate geben. Der Bundesasylsenat wird zwar in diesem Verwaltungsgerichtshof erster Instanz aufgehen. Dennoch können all seine Senate bestehen bleiben. Es wird dann Asylsenate des Verwaltungsgerichtshofes erster Instanz geben. Die müssen und sollen dann nicht alle in Wien sein, so wie auch nicht die Finanzsenate mit Beteiligung von Laienrichtern - Ökonomen oder was auch immer - nach Wien verlegt werden. Es soll nur eine gemeinsame Organisation sein.

Wie viele Köpfe sind da vorgesehen?

Die Organisationsgewalt bei den Landesverwaltungsgerichten werden die Länder haben. Das werden in Summe an die 150 Leute sein. Und mindestens ebensoviel beim Bundesverwaltungsgericht erster Instanz, weil die ja auch die Finanz und das Asylrecht haben.

Der Gerichtshof heißt nur deshalb "erster Instanz", weil das davorliegende Verwaltungsvorverfahren nicht mitgezählt wird?

Richtig. Insgesamt ist es die zweite Instanz, und darüber dann der Verwaltungsgerichtshof. Dieser bekommt ungleich besser vorbereitete Entscheidungen, über die er dann auch schneller entscheiden kann, um eine bundeseinheitliche Judikatur sicherzustellen.

Wird der Gerichtshof erster Instanz räumlich auch am Judenplatz angesiedelt?

Das wird bewusst räumlich getrennt.

Was bedeutet die neue Struktur machtpolitisch?

Landeshauptleute wie auch Bundesminister verlieren die Weisungsrechte an die bisherige zweite Instanz.

Die wissen das alle schon?

Davon gehe ich aus. Das war auch eine Ursache von Widerständen in den Ländern.

Die umstrittenen sozialen Grundrechte kommen noch nicht.

Da hat es eine erste Diskussion gegeben, die erfolgversprechend war. Bei den Grundrechten haben sich im Konvent die Positionen ziemlich anzunähern begonnen. Davon wird nun ausgegangen. Es gibt noch einige massive Probleme, was die Durchsetzung der sozialen Grundrechte und die geforderte Leistbarkeitsklausel betrifft.

Was bedeutet diese Klausel?

Die Wirtschaftskammer, aber auch die Sozialpartner meinen, die sozialen Grundrechte sollten nur gelten, sofern man sie sich nach der wirtschaftlichen Lage jeweils leisten kann. Das ist ja kein Problem. Dass die Grundrechte und ihre Ausgestaltung 1955 andere waren als 2005, liegt auf der Hand. Problematisch ist nur, dass die Formulierung auch eine Abhängigkeit von der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs herstellt. Das ist schon ein Problem. Wenn sich in der Wettbewerbsfähigkeit der 27 EU-Länder etwas ändert, hat das natürlich auch Rückwirkungen auf Österreich. Vom Verfassungsgerichtshof zu verlangen, diese Wettbewerbsfähigkeit als obersten Maßstab auf die Umsetzung anzulegen, ist etwas viel. Darüber haben wir aber im Detail noch zu diskutieren.

Was bedeutet das nun für den Bürger, wenn in der Verfassung beispielsweise ein Recht auf Arbeit steht.

Das kann natürlich nicht das Recht des Einzelnen auf einen bestimmten Arbeitsplatz sein, so wie auch das Recht auf Ehe nicht das Grundrecht jeder Österreicherin auf einen Mann und umgekehrt jedes Mannes auf eine Frau sein kann. Es geht nur darum, dass Eheschließung ermöglicht wird und dass eine Politik gemacht wird, die arbeitsplatzfördernd ist. An diesem Grundsatz werden sich etwa die AMS-Gesetze vor dem Verfassungsgerichtshof zu messen haben. Es ist richtig, dass bei sozialen Grundrechten die Einklagbarkeit schwieriger sein wird als beim Briefgeheimnis. Wir haben aber derzeit im sozialen Bereich überhaupt keine verfassungsrechtlichen Maßstäbe, obwohl das existenziell das tägliche Leben jedes Österreichers in wesentlich höherem Maße trifft.

Der Verfassungsgerichtshof soll dann sagen können: mehr Geld für das AMS?

Nicht nur. Es gibt jetzt beispielsweise im Arbeitslosenrecht eine überholte Bestimmung, dass neben einem Bezug von Arbeitslosen- oder Notstandsgeld die Aufnahme eines Studiums unzulässig ist. Ich würde das Studium jedoch als ein zusätzliches Engagement zur persönlichen Besserqualifizierung betrachten; ob das vor einem solchen Grundrecht halten würde, ist mehr als fraglich. Das ist unwahrscheinlich. Das heißt nicht nur: mehr Geld, sondern auch mehr Gerechtigkeit.

Dann könnten aber doch alle österreichischen Studenten ein halbes Jahr lang arbeiten und anschließend auf Kosten des AMS vier Jahre lang studieren.

Jemand, der AMS-Leistungen bekommt, hat in erster Linie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Das heißt selbstverständlich, wenn jemand einen Arbeitsplatz vermittelt bekommt, muss er den annehmen.

Verfassung: Der leichte Teil ist ausformuliertAbgesehen von der Leistbarkeitsklausel steht der Grundrechtskatalog?Peter Kostelka: Es schaut zumindest nicht schlecht aus, dass es das erste Mal seit Existenz dieses Landes einen in sich geschlossenen Grundrechtskatalog gibt. Unser Problem ist ja, dass es nie diesen nationalen Schulterschluss, diesen nationalen Konsens gegeben hat wie in Großbritannien, Amerika oder Frankreich.

Auch bei den Schulkompetenzen soll jetzt eine Lösung kommen?

Ja. Die Organisation der Schulverwaltung stellt derzeit ein Problem dar, weil die Bundesverfassung ziemlich rigide vorsieht, dass es parallel nebeneinander eine Schulverwaltung der Länder und des Bundes gibt.

Also Landesschulräte und Schulabteilungen.

Richtig. Das sind beides nicht gerade schlanke, synergieorientierte Organisationen. Manche Länder - ich glaube, vier von den neun - haben diese Schulverwaltungen zusammengelegt, was aber klar verfassungswidrig ist. Künftig soll es Landesbildungsdirektionen geben, bis auf die Bezirksebene wird das sicher nicht hinuntergehen. Die politisch zusammengesetzten Bezirks- und Landesschulräte, die eher zu einer ineffizienten Politisierung der Schule geführt haben, wird es nicht mehr geben.

Wie geht es der Idee: Qualitäts-Kontrolle durch den Bund, Verwaltung durch die Länder?

Unbestritten ist, dass Qualitätsmanagement-Agenturen Bundesbehörden zu sein haben. Ein Bregenzer Kind muss auch im Burgenland in die Schule gehen können.

Bisher waren die Kontrollmechanismen zwischen Bund und Ländern sehr punktuell orientiert. Sie sind hervorragend geeignet bis hin zur Weisung über die Zuordnung von Schülern. Aber es wird notwendig, in der Breite dafür zu sorgen, dass etwa in Problembereichen eine Qualifizierungsmaßnahme gesetzt wird, dass es Nachschulungen für Lehrer gibt, dass man nicht bei jeder Schularbeit, aber bei einer oder zwei im Jahr in allen Schulstufen den Standard zu erheben versucht und dann das Ganze auswertet. Und das ist eine absolute Voraussetzung für die Chancengleichheit, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs.

Hören Sie denn als Ombudsmann viele Klagen über die Schulen?

Es gibt Klagen, dass in manchen Schulen wirklich unvorstellbare Zustände herrschen. Sowohl qualitativ als auch disziplinär wie auch durch Übergriffe. Es gibt Schulen, an denen geschlagen wird.

Der Verfassungsprozess hat noch eine andere Wurzel als die von Ihnen erwähnte: Von der Raschauer-Kommission bis zur Wirtschaftskammer hieß es immer wieder, dass durch eine Föderalismusreform Milliarden einsparbar sind. Da haben Sie jetzt aber wenig Hoffnung gemacht.

Doch, es gibt schon einiges, wenn auch nicht fürs erste Paket. So soll die Parallelität von AMS und Sozialämtern abgeschafft werden. Bei den Kompetenzen sollen Parallelen zwischen Bund und Ländern ausgeräumt werden. Das ist ein schwieriges Kapitel, deswegen war es nicht das allererste. Das Ziel ist, von den derzeit 180 Kompetenztatbeständen auf 70 bis 80 zu gehen.

Die Kompetenzen muss es ja trotzdem geben.

Es mag das Triftwesen, der Transport von Holz auf Flüssen, ein Problem der 1920er Jahre gewesen sein, heute ist es das nicht mehr. Dagegen sind Atomkraft und Umweltschutz nicht erwähnt. Insofern geht es auch um eine Modernisierung der Begrifflichkeit.

Eine Aufteilung der Zuständigkeiten auf Bund und Länder ist durchaus vertretbar. Es wird aber auch hoffnungsvoll eine dritte Säule diskutiert, dass derjenige von ihnen aktiv werden kann, der darauf verweist, dass er eine sinnvolle Regelung vornehmen kann und muss. Das wird er in einem politischen Prozess nachzuweisen haben. Derzeit wird ja all das vor dem Verfassungsgerichtshof erst nach vielen Jahren ausdiskutiert.

Wie steht es um die Idee, dass die Länder auch selbst die Festsetzung von Steuersätzen verantworten müssen?

Ich würde den Aufbau einer eigenen Einziehungsbehörde der Länder nicht ausschließen, aber diese Frage wurde noch nicht einmal andiskutiert.

Das muss ja nicht eine eigene Behörde sein. Es könnte ja das normale Finanzamt für jedes Bundesland einen zusätzlichen Prozentsatz einheben.

Davon werden Gemeinden wie Vösendorf begeistert sein, die ein sehr hohes Steueraufkommen haben. Die können mit der Steuer heruntergehen, aber in einer südburgenländischen oder einer Nordtiroler Gemeinde wird das schwierig. Auch dort hat es eine Volksschule zu geben, im Nahbereich eine Hauptschule, in der Bezirkshauptstadt ein Gymnasium, die Polizei etc.

Aber das haben wir ja jetzt schon: Die Gemeinde verdient an den lokalen Arbeitsplätzen, ihre Vertreter werden aber von der Wohnbevölkerung gewählt.

Ich bin ja nicht dagegen. Was ich nur meine, ist, dass neben der Sparsamkeit auch der Grundsatz der Solidarität sicherzustellen ist.

Wenn jetzt die Finanzausgleichsverhandlungen wieder beginnen, dann sind aber für fünf Jahre die Gelder ohnedies wieder verteilt.

Wir haben ja nur die Regeln zu fassen und da ist noch nicht einmal ganz klar, ob die Finanzverfassung überhaupt in unserem Mandat enthalten ist. Eine diesbezügliche Frage haben wir an die Bundesregierung gestellt, auf die Antwort warten wir noch.

Wir sollten zuerst einmal die unmittelbar auf den Tisch gelegten Hausaufgaben machen, nämlich die Vermeidung und Eliminierung von Doppelstrukturen in der Verwaltung.

Zur Person

Der promovierte Jurist Peter Kostelka (61) gilt als ausgewiesener Kenner der Bundesverfassung - mit akribischer Liebe zum Detail. Diese Eigenschaft kommt dem gebürtigen Bleiburger, der erst vergangene Woche für weitere sechs Jahre zum Volksanwalt gewählt wurde, vor allem in seiner Rolle als SPÖ-Chefverhandler in Sachen Verfassungsreform entgegen.

Seine ersten politischen Sporen verdiente sich Kostelka als VSStÖ-Funktionär. Das Parlament kennt er perfekt: zuerst als Sekretär im SPÖ-Klub, später als Bundesrat und Beamtenstaatssekretär und von 1994 bis 2001 als Klubobmann. 2001 wechselte er in die Volksanwaltschaft.