Barack Obama wollte von Anfang an den Eindruck vermeiden, dass er sich als erster schwarzer Präsident besonders stark dem Thema Rassismus | widmet. Doch viele afroamerikanische Künstler sind des Schweigens mittlerweile leid.
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Washington. Eine Kulisse mit größere Symbolkraft hätte man sich kaum vorstellen können. Dort, wo sich am 28. August 1963 knapp 250.000 Menschen versammelt hatten, um nach dem Marsch auf Washington die "I have a dream"-Rede von Martin Luther King zu hören, stand 50 Jahre später der erste afroamerikanische US-Präsident, um jenen Tag zu würdigen, an dem Amerika einen enormen Schritt in Richtung Freiheit und Gerechtigkeit gemacht hatte. Und Barack Obama machte seinem Ruf als brillanter Redner vor dem Lincoln-Denkmal alle Ehre. Mit eindrucksvollen Bildern erinnerte er an die Mühsal und das Leid der schwarzen US-Bevölkerung, aber auch an den ungebrochenen Kampfgeist der Bürgerrechtsbewegung.
Bei der Bewertung der gegenwärtigen Probleme blieb Obama aber selbst an diesem denkwürdigen Tag vage. Reizthemen wie die ausuferende Polizeigewalt gegen Schwarze wurden gar nicht erst angesprochen.
Diese Distanz zur afroamerikanischen Sache zieht sich wie ein roter Faden durch Obamas Amtszeit. Bereits von Beginn an hat der Demokrat peinlich genau darauf geachtet, sich als Präsident für alle Amerikaner zu positionieren. Auf gar keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, dass er sich als erstes afroamerikanisches Staatsoberhaupt besonders stark dem Thema Rassismus widmet. Dementsprechend blieb die viel beachtete Rede über das schwierige Verhältnis von Schwarzen und Weißen in den USA, die Obama im Wahlkampf 2008 hielt, für lange Zeit die letzte. Dann äußerte er sich erst wieder im Frühjahr 2012 umfassend, als ihm die Debatte um den erschossenen schwarzen Teenager Trayvon Martin kaum eine andere Wahl ließ.
Allerdings hatte Obama auch damals vor allem mit starken Gefühlen operiert. "Trayvon Martin, das hätte ich vor 35 Jahren sein können", sagte der US-Präsident, nachdem der Nachbarschaftswächter George Zimmermann, der den unbewaffneten Martin erschossen hatte, freigesprochen wurde. Und trotz der ganz offensichtlichen persönlichen Betroffenheit versuchte Obama auch hier jede Politisierung des tragischen Vorfalls zu vermeiden. In der von allen großen US-Medien beklatschten Rede hatte der Präsident keinen einzigen konkreten Vorschlag dazu gemacht, wie die dem Tod des Teenagers zugrundeliegenden Probleme beseitigt werden könnten.
Nicht einmal Kanye West
Es mag auch diese Zögerlichkeit Obamas gewesen sein, die dazu geführt hat, dass nun anderswo die Mauer des Schweigens durchbrochen wurde. Denn auch für afroamerikanische Künstler war es lange ein ungeschriebenes Gesetz, sich nicht allzu laut in der Öffentlichkeit über Rassismus zu äußern. Wer lange genug darauf herumhämmerte, wurde ins "extremistische" Eck gestellt. Daher war es gelebte Praxis schwarzer Künstler - vor allem wenn sie auf den Mainstream abzielten -, ausweichend und diplomatisch auf Fragen bezüglich ihrer "black experience" zu antworten.
Was passiert, wenn man diese Regeln bricht, musste 2005 selbst Kanye West erfahren. Bei einem Spendenaufruf für die Opfer des Hurrikans "Katrina" - New Orleans ist mehrheitlich schwarz - erklärte der schwarze Rapper im Live-Fernsehen frustriert, dem damaligen Präsidenten George W. "sind schwarzen Menschen egal". Bush hatte seinen Urlaub erst am dritten Tag von "Katrina" unterbrochen, der Regierung wurden immense Versäumnisse beim Katastrophenmanagement vorgeworfen. In den USA, wo jeden Abend die Talkshow-Hosts des Spätabendprogramms den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung (Free Speech) bis jenseits der Grenzen des Geschmacks ausreizen dürfen, konnte der Aufschrei gegen Kanye West aber kaum größer ausfallen. Er entschied sich, sich öffentlich zu entschuldigen.
Das sei ein Wendepunkt für viele schwarze Musiker gewesen, diagnostizierte die schwarze Rapperin Nicki Minaj gegenüber dem Magazin "Rolling Stone". Denn Kanye West war damals der Quasi-Sprecher der Hip-Hop-Bewegung, ein enorm einflussreicher Künstler, und selbst er konnte sich es nicht leisten, die große gesellschaftliche Spaltung in den USA anzusprechen.
"Negro-Nase und Afro-Haar"
Doch dieses Jahr kam Beyoncé. Die derzeit am besten verdienende weibliche Musikerin, die von ihren Fans nur "Queen Bee" genannt wird, hat den Spieß umgedreht. Sie hat ihr Imperium zwar auf extrem eingängigen Tanzliedern über Beziehungen und Girlpower aufgebaut und dominierte das Mainstream-Radio wie keine andere.
Dann machte sie ein Jahr künstlerische Pause. Und nun ist alles anders: Das neue Album beschäftigt sich vorrangig mit dem, was es bedeutet, schwarz in den USA zu sein. In der Single "Formation" lobt sie ihre "Negro-Nase", ihr "Afro-Haar". Das Video endet mit einem Graffiti, auf dem zu lesen ist "Stop shooting us", und wurde einen Tag vor Beyoncés Performance in der Halbzeit der Super Bowl veröffentlicht. Bei der Super Bowl muss normalerweise alles im Vorfeld abgesegnet werden, weil es eines der meistgesehenen TV-Ereignisse in den USA ist. Doch Beyoncé handelte sich freie Hand aus. Und überraschte die Welt mit einer Performance der neuen Single inklusive Black-Panther-Outfits bei den Tänzerinnen, Black-Panther-Grüßen und einem Tanz in der X-Formation, um des schwarzen Bürgerrechtlers Malcolm X zu gedenken. Der US-amerikanische Feuilleton beschäftigte sich nach der Super Bowl monatelang mit der Frage: "Wann wurde aus Beyoncé eigentlich eine Schwarze?"
Diese Woche, nachdem zwei Schwarze bei Polizeikontrollen getötet worden sind, nutzte Beyoncé ihre Webseite, um ihre Botschaft zu verdeutlichen: "Es liegt jetzt ans uns, eine Position einzunehmen und zu fordern, dass sie aufhören, uns zu töten."
Beyoncé drängt ihre Fans dazu, die jeweiligen Politiker des Bezirks zu kontaktieren, um Druck zu machen, damit diese "Plage der Ungerechtigkeit in unseren Gemeinschaften" endlich aufhöre. Bei ihrem Konzert in Schottland am Donnerstagabend, vor der blutigen Nacht in Dallas, ließ sie sämtliche Namen schwarzer Polizeiopfer auf eine Leinwand projizieren.