Präsident Fischer schaltet sich ein. | Algieri: Referenden würden Prozesse in der EU verlangsamen. | Polaschek: Nein-Sager gehen eher zu den Abstimmungen. | Wien. Zwar erreichte die Bürgerinitiative "Rettet Österreich" bei den Nationalratswahlen nur 0,73 Prozent, trotzdem geben die EU-Skeptiker ihren Kampf gegen den europäischen Reformvertrag nicht auf. Für den 5. November haben sie eine Demonstration in Wien angekündigt - mit Hilfe der "Krone" werden wohl auch ein paar hundert Demonstranten erscheinen.
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Obwohl seit dem Sommer ebenfalls ein Befürworter von Volksabstimmungen, wird Werner Faymann wohl eher nicht teilnehmen. Der SPÖ-Chef versucht vielmehr, die ÖVP am Verhandlungstisch von der Notwendigkeit von Referenden "über wesentliche Änderungen des EU-Vertrags" zu überzeugen - oder die Thematik aus den Regierungsverhandlungen auszuklammern. Letzteres will die Volkspartei auf keinen Fall. Man könne nicht jenes Thema ausklammern, das einer der Gründe für den Bruch der letzten Koalition war, heißt es dazu aus der ÖVP.
Für die Koalitionsgespräche könnte sich die EU-Frage zu einem regelrechten Stolperstein entwickeln. Die ÖVP - per Eigendefinition die Europapartei - kann und will in dieser Frage keinen Fußbreit abweichen. Aber auch Faymann ist in seiner Position gefangen, will er nicht seinen Förderer, "Krone"-Herausgeber Hans Dichand, erzürnen.
Angeblich hat sich nun auch Bundespräsident Heinz Fischer in die Sache eingeschaltet. Er kritisiert die "Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe" durch die SPÖ. Vor allem dürfte sich Verfassungsrechtler Fischer an der Formulierung "wesentliche Änderungen" stoßen. Das Staatsoberhaupt soll nun an einer Kompromissformulierung arbeiten, mit der beide Seiten leben können. Wie diese aussehen könnte, ist allerdings höchst ungewiss. Die ÖVP scheint jedenfalls nicht wirklich kompromissbereit. Wenn, dann müsse sich Fischer an die SPÖ wenden, denn diese habe schließlich den gemeinsamen europäischen Kompromiss, der seit dem Beitritt bestanden habe, abgewichen, heißt es aus dem Umfeld von ÖVP-Chef Josef Pröll. Von Fischers Sprecher Bruno Aigner hört man dazu übrigens nur eines: "Kein Kommentar."
Für den Politikwissenschafter Emmerich Tálos ist die Debatte nicht aktuell, da kein neuer EU-Vertrag zur Debatte stehe. Er schlägt vor, dass sich SPÖ und ÖVP darauf einigen, Volksabstimmungen über jene EU-Fragen abzuhalten, die die österreichische Bundesverfassung tangieren. Andere Fragen, etwa der Beitritt der Türkei, sollten EU-weit abgestimmt werden.
Für Franco Algieri, Forschungsdirektor am Österreichischen Institut für Europa- und Sicherheitspolitik in Maria Enzersdorf, hätte eine Umsetzung der SPÖ-Linie vor allem für das Ansehen Österreichs in Europa eine große Bedeutung. Österreich stehe innerhalb der Union unter ständiger Beobachtung, sagt Algieri: Wenn es sich nun auf die Position der SPÖ zurückzieht, wäre dies "dem Image Österreichs in der EU sehr abträglich". Man würde - ähnlich wie Großbritannien oder Polen - als neuer Blockierer innerhalb Europas dastehen.
Auch für die praktische EU-Politik wäre die Umsetzung der SPÖ-Linie schädlich, ist sich Algieri sicher: "Die Prozesse würden noch länger dauern." Entscheidungen würden durch die Volksabstimmungen um Monate verzögert. Doch gerade schwierige Situationen wie die derzeitige Finanzkrise erlaubten keine Verzögerung, sagt der Politikwissenschafter.
"Europa der zwei Geschwindigkeiten"
Zudem bestehe die Gefahr, dass die übrigen Staaten sagen könnten: "Wenn Österreich nicht mitmacht, dann macht es halt nicht mit." Dies würde den Prozess der Gruppenbildung innerhalb der Europäischen Union beschleunigen, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wäre vorprogrammiert, ist sich Algieri sicher.
Die Ursache für die Debatte ortet der Europa-Experte in der "Ur-Angst der Nationalstaaten": Eine so weitgehende Veränderung des EU-Vertrages, dass das Staatsgefüge nachhaltig beeinträchtigt wird. "Dieses Problem sehe ich gerade im Vertrag von Lissabon allerdings nicht", sagt Algieri zur "Wiener Zeitung". Österreich werde durch den EU-Vertrag nicht in seinen Grundfesten erschüttert. Wenn dem so wäre, würde in den anderen EU-Staaten, etwa in Deutschland, auch viel mehr diskutiert. Für Algieri handelt es sich daher um eine "abstruse und künstliche Debatte", die einer Wahlkampfsituation entspringt.
Für Martin Polaschek ist es vor allem die komplizierte Materie der Europapolitik, die gegen Volksabstimmungen spricht. Der Grazer Europarechtshistoriker stellt sich die Frage, "in wie weit hat die Bevölkerung überhaupt Einsicht in solche Dinge?" Mangels intensiver Beschäftigung mit der Materie bestehe die Gefahr, dass sich die Menschen eher von Ressentiments leiten lassen könnten. Komplexe Fragen könnten im Rahmen einer Volksabstimmung nicht behandelt werden, da nur Ja oder Nein zur Auswahl stünden, verschiedene Varianten aber kaum abgefragt werden könnten. Auch zeige die Erfahrung aus der Schweiz, dass die "Motivation der Neinsager", zur Abstimmung zu gehen, größer ist als jene der Befürworter einer Initiative, sagt Polaschek. Nicht zuletzt stelle sich auch die Frage, was die Motivation ist, eine Volksabstimmung durchzuführen. Gerade das französische Votum über die EU-Verfassung 2005 war ausschließlich der französischen Innenpolitik geschuldet, nicht aber Europa.
"Die SPÖ will von Fall zu Fall entscheiden"
In Österreich ist eine Volksabstimmung dann verpflichtend, wenn ein EU-Vertrag eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellt. "Dies wäre etwa der Fall, wenn die EU zu einem Staat würde und Österreich nur noch ein Gliedstaat wäre", erklärt Franz Merli, Staatsrechtler an der Uni Graz. Der Lissabon-Vertrag hingegen - da sind sich die Experten einig - stellt keine solche Gesamtänderung dar.
Nun will die SPÖ aber nicht nur bei einer Gesamtänderung der Verfassung, sondern auch bei "wesentlichen Änderungen" des EU-Vertrags das Volk entscheiden lassen. Was aber ist eine "wesentliche Änderung"? "Schwer zu sagen, was sie damit meinen", sagt Merli. Im Prinzip stelle zum Beispiel jeder Beitritt eine Änderung der EU-Verträge dar. Warum SPÖ-Chef Faymann dann bei Kroatien eine Volksabstimmung ausschließt, bei der Türkei aber nicht? "Meiner Meinung nach will es sich die SPÖ offen lassen und von Fall zu Fall entscheiden können", sagt Merli.
Ein solcher Schritt wäre formalrechtlich nicht argumentierbar, da der Vertrag mit Kroatien technisch gesehen gleich wäre wie jener für die Türkei. "Man müsste inhaltlich argumentieren", sagt Merli, etwa mit der Größe der Türkei, die alleine im Bereich der Landwirtschafts- und Strukturpolitik eine völlige Änderung der bisherigen Politik erfordern würde, während eine Aufnahme Kroatiens diesbezüglich unproblematisch wäre.