)
Wifo befürwortet Privatisierung von Energieversorgern. | Kindergartenjahr "schwerster Fehler" im Koalitionspakt. | "Wiener Zeitung":In den USA liegen die längerfristigen Zinsen seit Monaten unter den kurzfristigen. Als das zum letzten Mal im Jahr 2000 der Fall war, war es das Vorzeichen einer Rezession. Gibt es das Risiko einer weltweiten Rezession?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Karl Aiginger: Wir erwarten, dass sich die Konjunktur in den USA abkühlt. Allerdings wird die Weltkonjunktur der jetzigen Jahre nicht von den USA bestimmt, sondern von China und dem erweiterten Europa. Amerika war lange Zeit - besonders durch den IT-Boom um die Jahrtausendwende - der Motor der Weltwirtschaft. Jetzt hat Europa einen Nachfrageschub, der eher von Osteuropa, China oder Indien getragen wird. Dadurch ist eine gewisse Konjunkturabschwächung in den USA kompensierbar. Es ist nicht mehr so, dass Europa die Grippe bekommt, wenn die USA einen Schnupfen haben.
http://www.wienerzeitung.at/Images/2007/1/25/948_008_180118_250125aig2.jpg
Gilt das auch für das Rekord-Leistungsbilanzdefizit der USA? Müssen wir auch hier vor einer Korrektur keine Angst haben?
Es ist natürlich nicht alles egal, was in den USA passiert. Wenn die Konjunktur dort eine harte Landung macht, wäre das für die Weltwirtschaft nicht egal. Es sieht aber derzeit so aus, als würde sich das Leistungsbilanzdefizit schrittweise und sanft verringern. Natürlich birgt die Situation Gefahren. Ich sehe aber die Wahrscheinlichkeit einer sanften Korrektur bei weit über 50 Prozent.
Blicken wir kurz nach Deutschland. Die OECD schreibt in ihrer Herbstprognose, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland einen vorübergehenden, "leichten Stagflationsschock" in Europa auslösen wird. Was kann man sich darunter vorstellen?
Es wird eine kleine Delle im ersten Halbjahr 2007 geben, und es muss natürlich einen kleinen Effekt auf die Verbraucherpreise geben. Diese Effekte werden aber nicht so groß sein, dass man von Inflation oder Stagnation sprechen könnte. Die Auftriebskräfte sind stärker. Außerdem sind der technische Fortschritt und das Produktivitätswachstum in Europa mittlerweile so hoch, dass man diese Kostensteigerungen verkraften kann.
Kommen wir nach Österreich: Im Programm der neuen Regierung ist vorgesehen, dass im Budget heuer auf Bundesebene 620 Millionen. Euro eingespart werden, weitere 200 Millionen bei Ländern und Sozialversicherungen. Ist das so kurzfristig überhaupt noch möglich?
http://www.wienerzeitung.at/Images/2007/1/25/948_008_180120_250125aig3.jpg Ich möchte den Finanzminister nie daran hindern, Einsparungen anzustreben. Die wären auch tatsächlich notwendig. Wir wollen ja über den Konjunkturzyklus ein ausgeglichenes Budget erzielen, gleichzeitig wollen wir die Abgabenquote senken und die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöhen. Gemeinsam mit dem Wunsch, in guten Konjunkturjahren das Budgetdefizit stärker zu senken, erfordert das die Quadratur des Kreises. Wenn man fragt, was man heuer bereits tun kann, so ist das etwa eine Zurückhaltung bei Neuanstellungen im öffentlichen Dienst. Hier will die Regierung ja nur jeden zweiten Posten nachbesetzen. Weiters ist das eine Bindung der Ermessensausgaben (Budgetausgaben, für die keine gesetzliche Verpflichtung besteht, werden gekürzt, Anm.) und es sind vielleicht Privatisierungen. Ich glaube, wenn man all das 11 Monate lang versucht, dann wird man wohl diese halbe Milliarde an Einsparungen zustande bringen.
Was genau meinen Sie mit Privatisierungen? Im Regierungsprogramm sind keine vorgesehen?
Ich halte für möglich, dass man über Privatisierungen im kommunalen Bereich, bei den Ländern oder beim Bund nachdenkt. Ich bin nicht für Privatisierungen um jeden Preis. Aber es gibt schon einige Möglichkeiten. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat sich ja im jüngsten Weißbuch dafür ausgesprochen, die öffentlichen Mehrheitsbeteiligungen an Stromversorgern aufzugeben, und zwar sowohl beim Bund als auch bei den Ländern und im kommunalen Bereich.
Bleiben wir noch beim Regierungsprogramm: Gibt es darin irgendwelche Maßnahmen, die Sie aus ökonomischer Sicht besonders stören?
Neben der fehlenden Senkung der Lohnnebenkosten ist der schwerste Fehler der Verzicht auf das verpflichtende Kindergartenjahr. Das ist eine Sünde. Als wir das im Weißbuch gefordert haben, haben wir uns das wirklich gut überlegt. Das Jahr ist unbedingt notwendig, damit die Schüler beim Eintritt in die Schule dieselben Voraussetzungen haben. Wenn das nicht der Fall ist, geht das Schulsystem schief. Das beginnt dann damit, dass es gute und schlechte Klassen gibt und bewirkt in weiterer Folge, dass manche Schulen einen schlechten Ruf bekommen und dort nur mehr schlechte Lehrer unterrichten. Wir haben das bewusst als letztes Kindergartenjahr konzipiert, damit wir nicht jenen Kindern, die mit sechs noch nicht schulreif sind, ein Kindheitsjahr wegnehmen. Wir haben das auch bewusst als verpflichtendes Jahr für alle gefordert, nicht nur für Kinder von Migranten. Man kann nämlich nicht so ohne weiters zwischen In- und Ausländern unterscheiden. Es gibt auch Inländerkinder mit Entwicklungsrückstand und es gibt auch Inländerkinder, die sprachlich sehr schlecht sind.
Stichwort Facharbeitermangel: Kann Lehre noch attraktiv sein, wenn ständig davon die Rede ist, die Akademikerquote müsse steigen?
Das hängt davon ab, ob es eine Kombination von Facharbeit und Matura geben wird. Ich hoffe, dass es Sabbatical geben wird, dass man den Berufsweg zwecks Weiterbildung unterbrechen kann. Das ist sicher für Lehrlinge eine attraktive Sache. Aber wir sind noch nicht so weit. Wir haben noch immer eine starke Selektion bei der Berufsentscheidung, abhängig beispielsweise von Elternhaus, Region und Geschlecht. Das erste wäre einmal, dass alle den Pflichtschulabschluss nachholen, die ihn noch nicht haben. Und wir sind dafür, die Blum-Prämie (seit 2005 Betriebsförderung für zusätzliche Lehrplätze, Anm.) weiterzuführen, sie aber neu zu strukturieren.
Wie soll das aussehen?
Die Prämie sollte für jene Bereiche höher sein, in denen die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass man in dem Beruf, den man lernt, auch später tätig ist. Bei mehr als der Hälfte der ehemaligen Lehrlinge ist das nicht der Fall. Der Blum-Bonus müsste dort höher sein, wo wirklich Bedarf besteht. Denn es ist nicht der Sinn der Lehre, dass man in diesem Lebensalter als billige Arbeitskraft zur Verfügung steht.
Wie könnten Lehre und Matura kombiniert werden?
Es muss ein neuer Schultyp gefunden werden, wo Schüler die Option haben, eine Lehre zu machen - ein Umbau der Berufsschulen, so dass diese Schultypen auch zur Matura führen können. Derzeit ist der einzige Weg zur Matura über Mathematik oder Latein, aber genauso gut könnte er über eine Lehrausbildung sein.
Bis zum Jahr 2010 soll es Vollbeschäftigung geben - also eine Arbeitslosenrate unter 4 Prozent -so steht es auch im Regierungsprogramm. Ist das realistisch?
Wir haben in unserem Weißbuch bewusst keine Zahl genannt. Wir glauben, dass es einer Strategie bedarf, bei der man an allen Ecken und Enden arbeitet. Politiker, Regierungen müssen sich Ziele für eine Legislaturperiode setzen, insofern finde ich es gut, dass dieses Ziel gesetzt wurde. Es ist zur Zeit aber nur mit vielen Maßnahmen erreichbar - und mit dem Glück einer guten internationalen Konjunktur.
Letzte Frage: Können Sie sich vorstellen, auch einmal ein Amt in einer Regierung auszuüben?
Ich bin schon einmal eingeladen worden, in eine Regierung zu gehen. Aber ich sehe meine Rolle eher in der wirtschaftspolitischen Beratung. Da habe ich meine Stärken. Ich glaube, ich wäre ein sehr schlechter Politiker, weil ich viel zu wenig auf populistische Strömungen Rücksicht nehme und sie oft nicht einmal verstehe.