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"Wäre ich nicht Trafikant, hätte mich der Staat erhalten müssen"

Von Petra Tempfer

Wirtschaft
© Stanislav Kogiku

Jede frei werdende Trafik wird an einen Menschen mit Behinderung vergeben - das ist europaweit einzigartig.


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"Ich war der klassische Gymnasiumabbrecher und habe eine Kochlehre begonnen", sagt Andreas Schiefer. In dieser Branche sah er seine Zukunft - bis er während der Lehrzeit einen schweren Autounfall hatte. "Mir ist ein Auto über den Fuß gefahren, und im Spital haben sie dann noch dazu einen Wirbelbruch übersehen", erzählt er. Mit dem Resultat, dass er nach zwei Monaten im Krankenhaus und drei Monaten in einem Rehabilitationszentrum insgesamt ein Jahr lang nicht arbeiten gehen konnte. Daraufhin habe er sich einen Behindertenpass gelöst - den er bei Bewerbungen allerdings nicht herzeigte. Warum? "Ich habe gemerkt, dass er nur hinderlich war", sagt Schiefer.

Ein Drittel bleibt in der Familie

Nach mehreren Jobs, unter anderem im Schichtdienst, fand er keine Arbeit mehr - und hatte vier Kinder zuhause. Bis ihm ein Freund den Tipp gab, sich eine Trafik zu kaufen. Das tat Schiefer dann schließlich auch. Möglich wurde das durch das Vergabekonzept der Monopolverwaltung, zu deren Kernaufgabe die Neuvergabe von Tabakfachgeschäften zählt. Demnach wird jede frei werdende Trafik an einen Menschen mit Behinderung vergeben. Das sind jährlich rund zwei Drittel der Vergaben, weil Trafiken auch innerhalb der Familie weitergegeben werden dürfen - und ist europaweit einzigartig. Aktuell sind 53,4 Prozent aller Tabaktrafikanten laut Monopolverwaltung Menschen mit Behinderung. Deren Anteil steige stetig an.

Von seiner ersten, relativ kleinen Trafik sattelte Schiefer schließlich auf eine größere um, die er noch heute besitzt. "Ich bin seit 24 Jahren Trafikant. Wäre ich das nicht, hätte mich - polemisch betrachtet - vermutlich der Staat erhalten müssen."

Schiefer ist heute Landesgremialobmann der Tabaktrafikanten in der Wirtschaftskammer Wien und stellvertretender Bundesgremialobmann in der Wirtschaftskammer Österreich. Voraussetzungen dafür, dass er die Ausschreibungen der Monopolverwaltung für die Trafiken gewonnen hat, waren seine Behinderung von mehr als 50 Prozent sowie das geringe Pro-Kopf-Einkommen.

"Es geht dabei um die sozialen Aspekte", präzisiert Trafikanten-Obmann Josef Prirschl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" am Rande der Präsentation der neuesten Zahlen zur Tabakbranche am Dienstag. Die Monopolverwaltung sei das größte soziale Unternehmernetzwerk Österreichs, ergänzt Geschäftsführer Hannes Hofer.

Für den Grad der Behinderung brauche es einen Feststellungsbescheid des Sozialministeriumservice. Die Art der Behinderung sei grundsätzlich irrelevant - der Betroffene müsse freilich geschäftsfähig sein. Viele Behinderungen seien auf den ersten Blick gar nicht zu sehen.

Einwöchige Trafikakademie

Menschen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen zu Unternehmern zu machen, sei dabei die größte Herausforderung, so Hofer. Vor einiger Zeit habe man daher die Trafikakademie ins Leben gerufen. Hinter diesem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich eine einwöchige, theoretische Ausbildung in St. Pölten, auf die Praxistage in zwei unterschiedlichen Trafiken in der Nähe des Wohn- oder künftigen Trafikstandortes folgen.

Für die Kosten von etwas mehr als 2000 Euro gibt es laut Prirschl Förderungen vonseiten der Länder - in vielen Fällen würden diese aber vom Arbeitsmarktservice (AMS) bezahlt. "Viele Bewerber kommen vom AMS zu uns." Bleibt noch die Frage, wie sich ein sozial bedürftiger Mensch eine Trafik leisten kann. Einer aktuellen Ausschreibung auf der Homepage der Monopolverwaltung zufolge kostet zum Beispiel eine Tabaktrafik in Wels rund 50.000 Euro.

"Dafür gibt es ein Fördersystem", sagt dazu Prirschl. Konkret 26.200 Euro (wenn die Kosten bei mehr als 50.000 Euro liegen) als Zuschuss vom Bundessozialamt, das über die jeweiligen Bundesländer ausgeschüttet wird, als auch einmalig 10.000 Euro aus dem Solidaritätsstrukturfonds. "Zusätzlich gibt es die Bewertung der Trafik, die es leichter macht, dass Banken einen Kredit gewähren", sagt Prirschl.

Dass Menschen mit Behinderung in Österreich bei der Neuvergabe von Trafiken begünstigt werden, hat eine 236-jährige Geschichte - das reicht in die Zeit von Kaiser Josef II. So lange gibt es das Tabakmonopol, und schon bald nach dessen Gründung wurden Kriegsopfer und schuldlos verarmte Beamte und deren Angehörige bei der Vergabe von Tabakverkaufsbewilligungen bevorzugt.

Immer weniger Trafiken

Nach den Kriegsopfern zum Beispiel der Napoleonischen Kriege waren es jene des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Danach brach das Konzept laut Prirschl ein wenig ein - und zwar darum, weil es schlichtweg immer weniger Kriegsversehrte gab. Schließlich wurden auch Zivilinvalide in die Gruppe der Begünstigten aufgenommen. Und nach einer Gesetzesnovelle des Tabakmonopolgesetzes vor etwa eineinhalb Jahren dürfen frei werdende Trafiken - die Weitergabe innerhalb der Familie ausgenommen - ausschließlich an Menschen mit Behinderung vergeben werden: Ist bei einer Bewerbung kein Mensch mit Behinderung dabei (was laut Prirschl äußerst selten der Fall ist), zieht die Monopolverwaltung die Ausschreibung zurück.

Die Anzahl der Trafiken schrumpft allerdings. Waren es im Jahr 2015 noch 3525 Tabakverkaufsstellen (in Kombination zum Beispiel mit einem Lebensmittelgeschäft) und 2485 Tabakfachgeschäfte, so waren es im Vorjahr nur noch 2947 Verkaufsstellen und 2344 Fachgeschäfte. Denn: Der Markt sei rückläufig, so Prirschl und Hofer am Dienstag.

Im Vorjahr wurden in Summe 11,8 Milliarden Zigaretten verkauft, was einen Rückgang um 0,8 Prozent oder 4,6 Millionen Schachteln bedeutet. Die Steuereinnahmen aus Tabakwaren sind um ein Prozent gesunken. Der Staat hat im vergangenen Jahr rund 1,9 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer eingenommen. Inklusive Mehrwertsteuer sogar 2,4 Milliarden Euro. Der Jahresumsatz der Trafikanten aus Tabakwaren belief sich auf 3,2 Milliarden Euro. Eine Packung von 20 Stück kostete im Vorjahr durchschnittlich 5 Euro - der Steueranteil liegt dabei bei 77 Prozent.

"30 Prozent Verlust bis 2030"

Im vergangenen Jahr hätten sich die Zigarettenpreise um lediglich 5 Cent pro Packung erhöht, so Prirschl - davor seien es jährlich durchschnittlich 14 Cent gewesen. Im Vorjahr wurde der Automatismus bei der Erhöhung der Tabaksteuer abgeschafft, am 1. April dieses Jahres tritt allerdings ein neues Tabaksteuermodell in Kraft, womit auch die Preise für Zigaretten wieder steigen dürfen. Prirschl hielte eine Verteuerung von 20 Cent pro Packung für "marktverträglich". Mehr nicht, weil sonst der Anteil der Schmuggelzigaretten noch mehr steige - im Moment seien rund 15 Prozent der Ware nicht in Österreich versteuert.

Prirschl geht dennoch davon aus, bis 2030 etwa 30 Prozent der Menge zu verlieren. Das gesetzliche Rauchverbot in der Gastronomie seit 1. November des Vorjahres, Cannabidiol-Produkte (CBD), die in Trafiken nicht verkauft werden dürfen, sowie Schmuggel-Zigaretten machten der Branche schwer zu schaffen.

Seit dem gesetzlichen Rauchverbot in der Gastronomie habe sich der Zigaretten- und Zigarrenabsatz um durchschnittlich vier Prozent verringert. Allein im November habe das Minus rund zehn Prozent betragen, so Prirschl. "Jede Zigarette oder Zigarre, die in Lokalen nicht geraucht wird, fehlt am Markt", sagt er, der massiv gegen das gesetzliche Rauchverbot eingetreten war. In Summe seien seit November 113 Millionen Stück weniger Zigaretten gekauft worden - das sind 5,65 Millionen Schachteln.

Rauchbare Aromaprodukte

Ein Dorn im Auge sind ihm auch die CBD-Produkte mit einem THC-Gehalt unter 0,3 Prozent, für deren Verkauf es in Trafiken keine Zulassung gibt. Daher gibt es sie in diversen Geschäften oder beim Automaten zu kaufen - allerdings nicht als Rauchwaren, sondern als "Aromaprodukt zum Riechen", so Prirschl.

"Bei uns werden dafür die Endlospapers ohne Tabak gekauft: Wir wissen also, was der Konsument mit den CBD-Produkten tut", meint er. Das bedeute Verluste von 150 Millionen Euro: So viel macht der Markt mit rauchbaren CBD-Produkten hierzulande aus. Auch im Sinne des Jugendschutzes appellieren Prirschl und Hofer daher an die Regierung, dem einen Riegel vorzuschieben, indem diese Artikel künftig nur noch in Trafiken verkauft werden dürfen.

Der Löwenanteil von 70 Prozent des Ertrages einer Trafik werde noch immer über Tabakwaren erzielt - die zweite große Säule sei das Glücksspiel, sagt Prirschl. Da die Branche aber davon ausgeht, dass der Anteil der Raucher weiter zurückgehen wird, müsse man sich neue Einnahmequellen überlegen. Seit einiger Zeit dürfen Trafiken auch "Coffee to go" verkaufen. Denn, so Prirschl: "Kaffee und Zigaretten passen zusammen." Oder, um es mit den Worten Schiefers zu sagen: "Das reine Zigaretten-über-die-Budl-Schieben stirbt aus."