"Zur Erinnerung an die 106 Schüler der Realschule Schottenbastei sowie an die am 29. April 1938 von anderen Wiener Schulen zugewiesenen 330 Schüler, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am 1. Juli 1938 von dieser Schule vertrieben wurden - Niemals vergessen", so lautet die Inschrift auf einer Gedenktafel, die am Mittwochabend im Wiener Bundesgymnasium Schottenbastei enthüllt wurde. Die Gedenktafel ist ein Ergebnis eines Schulprojektes, das sich unter der Leitung des Geschichtslehrers Gerold Kröter mit dem Schicksal der damals vertriebenen SchülerInnen befasste.
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Die damalige Realschule Schottenbastei war eine so genannte Sammelschule, erzählt Kröter, in der ab 29. April 1938 jüdische und als jüdisch geltende SchülerInnen zusammengefasst wurden. Die "arischen" SchülerInnen wurden Ende April von der Schottenbastei an die Realschule in der Glasergasse verwiesen und von dort an andere Schulen weiter geschickt. Am Ende des Schuljahres 1937/38 mussten die jüdischen SchülerInnen die Schule verlassen, die meisten ohne die Möglichkeit eines Schulabschlusses.
Am Beginn des Schuljahres 1938/39 kamen die "arischen" SchülerInnen wieder an die Schottenbastei zurück.
Auswanderungs- und Fluchtpläne bestimmten den Alltag
Angesichts des nationalsozialistischen Terrors rückten die schulischen Probleme rasch in den Hintergrund. Für Eltern und SchülerInnen der Schottenbastei ging es in ihrem letzten Schuljahr bald nur noch um die Rettung des eigenen Lebens. Auswanderungs- oder Fluchtpläne bestimmten das tägliche Leben.
"Schon kurz nach dem Anschluss 1938 wurden wir von unseren ,arischen´ Schulfreunden separiert", berichtet Kurt Duldner, "aber ich muss sagen, dass sich alle unsere damaligen Lehrer korrekt und anständig benommen haben".
Er war damals Schüler in der Schottenbastei, flüchtete im Alter von 15 Jahren mit seinem Cousin über Belgien und Frankreich bis nach Shanghai, wo er drei Jahre im Ghetto verbringen musste. "Dabei hat mein Vater nach dem Anschluss immer gesagt, ,Des gibt´s bei uns net, in ein paar Wochen ist alles vorbei´".
In Wirklichkeit "änderten sich die Dinge schlagartig", erzählt Duldner, "jeden Tag kamen neue Restriktionen". Das Geschäft seines Vaters wurde arisiert, sein Bruder wurde "zum Gaudium der Passanten von der SA gezwungen, die Straße von Anti-Hitler-Sprüchen zu säubern", viele Verwandte sind unter der Nazi-Herrschaft ums Leben gekommen.
"Ich hatte Glück", sagt Duldner, "ich habe überlebt". Heute lebt er in New York - und unterstützt über Vermittlung des Wiener Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz ein anderes EU-Schulprojekt in Floridsdorf, wo der jüdische Friedhof von einer SchülerInnengruppe in Ordnung gebracht worden ist und weiter gepflegt wird. Beim Festakt in der Schottenbastei traf er erstmals mit der 17-jährigen Tanja Tupy zusammen, die im Rahmen dieses Schulprojektes "Schulen adoptieren Monumente" auf diesem Friedhof auch die Gräber seiner Verwandten wieder in Ordnung gebracht hat.
Sie kamen aus Paris, London, Tel Aviv, New York
Am Mittwoch Abend traf Duldner auch zum ersten Mal seine alten Schulkameraden wieder: Hans Kremenezky war aus New York gekommen, Edi Frankfurt aus Tel Aviv, Herbert Wise aus London. Sie alle erzählen ähnliche Lebensgeschichten von Vertreibung und Flucht, auseinander gerissenen Familien- und Freundesbanden. "Ich will jetzt gar nicht anfangen, Details über das Leben der Juden, anderer Minderheiten und der Widerständler zu erzählen", sagt Duldner, "aber wären alle Bäume Bleistifte und der Himmel das Papier, es wäre nicht genug, um die Gräueltaten von Hitlers SS zu beschreiben". Vieles sei heute über diese Zeit bekannt, "um so trauriger" mache es ihn, "dass es bis heute Bewunderer der Nazi-Ideologie gibt, die ,Andersartige´ hassen und Hitlers Ideen glorifizieren - vereinzelt selbst in den USA, dem Einwandererland für viele Vertriebene", erzählt Duldner aus seiner neuen Heimat.
Ein neues Willkommen in der verlorenen Heimat
Das Schulprojekt hat die ehemaligen Schulfreunde wieder zusammengebracht und auch ihre Namen sind jetzt auf einer Tafel in der Schule verewigt. "Für mich bedeutet diese Gedenktafel mehr, als sich irgend jemand vorstellen kann", sagt Duldner, "sie ist für mich ein neues Willkommen in meiner alten Heimat".
Das Projekt hat vor über einem Jahr mit der Durchsicht der Schüler- und Klassenkataloge mit Daten, Noten und sonstigen Eintragungen aus jener Zeit begonnen. SchülerInnen, die mit ihren Eltern Österreich verlassen konnten, wurden von der Schulbürokratie im Katalog mit dem Vermerk "Wegen Nichtbezahlung des Schulgeldes" gestrichen, erzählt Kröter, nichts deutet auf Vertreibung hin. Deutlicher wird der Schülerkatalog am Ende des Schuljahres 1937/38. Penibel wurde vermerkt, dass die "nicht arischen Schüler" die Schule verlassen mussten.
"Ein wesentliches Ziel unserer Arbeit ist es, etwas über die Schicksale der Menschen zu erfahren, die hinter den Namen im Katalog stehen. Also haben wir die Daten der Schüler gesammelt und an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geschickt, mit der Bitte, uns bei einer Kontaktaufnahme zu helfen", beschreibt Kröter den Projektfortgang. So seien die 19 SchülerInnen der 6., 7. und 8. Klasse, die an dem Projekt mitgewirkt hatten, mit vielen ehemaligen SchülerInnen in Kontakt gekommen. 62 Betroffene hätten geantwortet, zum Teil sehr umfangreiche Lebensberichte zugesandt und ihre Mitarbeit angeboten.
"Sehr bald stand für uns fest, dass wir durch eine Gedenktafel an die Tatsache der Vertreibung und die betroffenen Menschen erinnern wollen", sagt Kröter - "und wir wollen den ehemaligen SchülerInnen damit zeigen, dass im heutigen Unterricht eine lebendige Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfinden kann, ja eigentlich stattfinden muss".
Er hofft, dass die Kontakte mit den Vertriebenen dazu beitragen, dass seine SchülerInnen "für rechtspopulistische und rechtsextreme Denk- und Handlungsweisen weniger anfällig werden".
Es hat alles "nur" mit Unmenschlichkeit begonnen
"Es liegt an euch jungen Menschen, einen Unterschied zu machen", sagt Duldner beim Festakt, "ihr könnt Toleranz vorleben und Toleranz weitergeben ... auch und gerade jetzt, wo die ganze Welt auf Österreich blickt". "Ihr seid die Zeugen einer Zeit, die wir weitergeben müssen", sagt Leon Zelman von der Jüdischen Kultusgemeinde, "vergesst nicht, dass alles ,nur´ mit Unmenschlichkeit und Hass begonnen hat".
Kröter ist es "wichtig zu betonen, dass Projekte dieser Art alleine vom Engagement der SchülerInnen und LehrerInnen getragen werden. Sie dürfen nicht dafür verwendet werden, das nachhaltig geschädigte Ansehen Österreichs in der Welt zu verschönern".
Lernen gegen eine Wiederholung der Vergangenheit
Für die musikalische Umrahmung des Festaktes am Mittwoch sorgte die Gruppe "10 saiten 1 bogen". Geiger Herwig Strobl nutzte die Gelegenheit, um zu erzählen, wie der Bürgermeister von Wels - angesprochen darauf, ob er für ein internationales Jugendmusiktreffen in Wels Mittel aus dem Kulturbudget zur Verfügung stellen könne - meinte, das ginge nicht, weil ÖVP und FPÖ dem im Gemeinderat nicht zustimmen würden.
Eine Geschichtslehrerin aus dem BG I wies Strobl nach der Veranstaltung streng zurecht. Es stehe ihm nicht zu, "so eine parteipolitische Geschichte hier zu erzählen", das könne "jemanden aus dem Publikum stören" und "uns Schwierigkeiten machen".
"Es heißt doch, wenn wir nicht aus der Vergangenheit lernen können, dann sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen", hatte Duldner in seiner Festrede gesagt.