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An den Finanzmärkten hat der jüngste Rundumschlag der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) bisher wenig Auswirkungen gehabt. Eines haben die Bonitätsprüfer aber jedenfalls erreicht: Die Rufe nach einem europäischen Gegengewicht zu den US-dominierten Agenturen S&P, Moody’s und Fitch, die derzeit die Richtung vorgeben, sind so laut wie nie zuvor - und auch an Vielfalt kaum zu überbieten.
So hat der deutsche Außenminister Guido Westerwelle am Dienstag die Schaffung einer europäischen Ratingagentur nach dem Vorbild der Stiftung Warentest gefordert. Tatsächlich kursieren seit längerem Ideen, eine Bonitätsprüfungs-Institution im Rahmen einer Stiftungslösung ins Leben zu rufen. Würde die Agentur nämlich direkt den Staaten oder der Europäischen Union unterstellt, könnte die Glaubwürdigkeit ihrer Urteile leiden. Ob eine Stiftungslösung wirklich die nötige Unabhängigkeit garantiert, kommt jedoch ebenfalls auf deren konkrete Ausgestaltung an.
Andere Konzepte einer europäischen Ratingagentur gibt es mittlerweile zuhauf: So trägt sich der Unternehmensberater Roland Berger seit Monaten mit der Idee, selbst ein solches Institut ins Leben zu rufen. Auch der EU-Rechnungshof wurde zuletzt als eine Möglichkeit ins Spiel gebracht. Hier gibt es jedoch Kritiker wie Karl Aiginger, den Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, der dem Rechnungshof nicht unbedingt die ökonomische Expertise zutraut. Aiginger selbst plädiert dafür, die bestehenden Kompetenzen der Industriestaaten-Organisation OECD oder des Internationalen Währungsfonds auszubauen. Diese würden bereits jetzt in ihren Berichten Urteile über Staaten abgeben. Diese könnten einfach ergänzt werden.
Ebenfalls auf bestehenden Ressourcen aufbauen würde das Beratungsunternehmen "Finance Trainer". Dort verweist man darauf, dass die Geschäftsbanken bereits ein von der Aufsicht kontrolliertes Ratingverfahren anwenden. Darauf könnte ein europäischer Datenpool aufgebaut werden.
Die Frage bleibt, ob eine europäische Ratingagentur tatsächlich andere Ergebnisse bringen würde als eine US-dominierte. Es gibt den Verdacht, dass die gewinnorientierten Agenturen S&P, Moody’s und Fitch gar kein Interesse an einem Ende der Krise hätten. Wie Aiginger meint: "Je unsicherer die Welt ist, umso mehr Ratings haben die Ratingagenturen zu machen." Die Frage ist, ob die Investoren diesen Argwohn teilen - und ob man ihnen eine Alternative bietet, die über eine höhere Glaubwürdigkeit verfügt.