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Warmlaufen für die Nato-Spitze

Von Ronald Schönhuber

Politik

Im September endet Jens Stoltenbergs Amtszeit als Generalsekretär. Es deutet alles auf einen Zweikampf hin.


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Die Nachricht kam für viele überraschend: Just zu jener Zeit, als europäische Spitzenpolitiker mit hektischer Krisendiplomatie versuchten, Russlands Präsidenten Wladimir Putin doch noch von einem Krieg gegen die Ukraine abzubringen, kündigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen Karrierewechsel an. Wegen der größten sicherheitspolitischen Bedrohung auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg ließ sich der Norweger zwar noch dazu überreden, ein weiteres Jahr an der Spitze des transatlantischen Militärbündnisses anzuhängen, doch am 30. September wird der 63-Jährige nun definitiv das Amt des Notenbankchefs in seinem Heimatland antreten.

Über einen möglichen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wird schon spekuliert, seit Stoltenberg vor mehr als einem Jahr bekannt gegeben hat, nicht mehr für eine dritte Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Doch die Gerüchte, die auf den Gängen des Nato-Hauptquartiers in Brüssel ausgetauscht wurden, verstummten in den vergangen Monaten meist ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren. Als so gut wie fix galt damit lediglich, dass ein Nicht-Amerikaner das Rennen machen wird. Denn nach den ungeschriebenen Nato-Regeln stellen die Europäer den Generalsekretär und die Vereinigten Staaten den militärischen Oberbefehlshaber.

Frau an der Spitze gesucht

Knapp vier Monate vor Stoltenbergs Ausscheiden scheint sich nun aber langsam ein Feld mit in Frage kommenden Kandidaten herauszukristallisieren. So dürfte es beim am Montag begonnenen USA-Besuch der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen inoffiziell auch um den Job an der Nato-Spitze gehen. Frederiksen erteilte derartigen Spekulationen im Vorfeld zwar eine Absage und betonte in Interviews vor allem ihr gutes Verhältnis mit US-Präsident Joe Biden, ein kategorisches Nein zu einem Wechsel ins Brüsseler Hauptquartier vermied sie aber.

Für die dänische Ministerpräsidentin spricht nicht zuletzt, dass es innerhalb der Nato starke Stimmen für die erstmalige Ernennung einer Frau für den wichtigsten zivilen Posten des Verteidigungsbündnisses gibt. Und anders als etwa die ebenfalls häufig genannte estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, die in den vergangenen Monaten mit ihrer betont harten Haltung gegenüber dem russischen Aggressor für Schlagzeilen gesorgt hat, ist Frederiksen innerhalb der Nato-Staaten weitgehend unumstritten. "Sie macht einen guten Job und ist eine gute Kollegin in der Europäischen Union. Ich denke, dass sie eine äußerst ernst zu nehmende Kandidatin für den Posten des Generalsekretärs wäre", sagte etwa der litauische Präsident Gitanas Nauseda, als er in der vergangenen Woche beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau zu Frederiksens Chancen befragt worden war. Der belgische Premierminister Alexander De Croo lobte die Sozialdemokratin, die erst zu Jahresbeginn als Regierungschefin bestätigt worden ist, als "unglaublich gute Kollegin", die die Qualifikation für diesen Posten habe.

Sunak unterstützt Wallace

Sofern Frederiksen tatsächlich das Amt der Nato-Generalsekretärin anstrebt, dürfte ihr größter Konkurrent aber womöglich ein Mann sein. Denn dem britischen Verteidigungsminister Ben Wallace, der vor knapp drei Wochen schon mehr oder weniger offiziell seinen Ring in den Hut geworfen hat, werden ebenfalls gute Chancen eingeräumt. So hat der britische Premierminister Rishi Sunak, der am Donnerstag ebenfalls mit Biden zusammentrifft, bereits seine tatkräftige Unterstützung für den 53-Jährigen signalisiert. Wallace sei fantastisch und werde "weltweit bewundert", sagte Sunak am Montag.

Gegen Wallace, der als entschiedener Unterstützer der Ukraine im Kampf gegen Russland gilt, spricht allerdings die stets fein austarierte Machtarithmetik der Nato. So haben die Briten bereits drei Mal den Generalsekretär gestellt, zuletzt bis 2003 mit George Robertson. Zudem wird Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht müde, auf eine stärkere militärische Rolle der EU-Staaten zu pochen. Damit wäre der britische Verteidigungsminister, der das Amt des Generalsekretärs als "fantastischen Job" bezeichnet hat, nach dem Brexit wohl das falsche Signal.