Wer über Kriegsverbrechen in Tschetschenien berichtet oder sie anprangert, lebt gefährlich. Nicht zufällig wurde vor zwei Jahren in Moskau die bekannte Journalistin Anna Politkowskaja ermordet: Sie hatte sich mit ihren Enthüllungen über die Verbrechen der russischen Sicherheitskräfte und pro-russischen Kadyrow-Milizen nicht an den Kodex des Schweigens gehalten. | Als Wladimir Putin 1999 den zweiten Tschetschenien-Feldzug begann, um sich einen Sieg bei den Präsidentenwahlen in Russland zu sichern, lautete das Motto: Die Welt darf über die Gräueltaten, die in der russischen Teilrepublik im Namen Moskaus begangen werden, nichts wissen. Internationale Organisationen wurden rausgeworfen, Menschenrechtsbüros geschlossen, Journalisten wurden die Visa verweigert.
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Zehntausende Tschetschenen verschwanden spurlos. Sie wurden von den russischen Truppen und den Milizen des mit ihnen verbündeten Ramzan Kadyrow gefoltert und ermordet, weil sie oder Familienangehörige sich dem Widerstand angeschlossen hatten. Oder weil sie es abgelehnt hatten, sich an den Verbrechen im Auftrag Kadyrows zu beteiligen.
Zur Rechenschaft gezogen wurden die Täter fast nie. Und werden es bis heute nicht. Die Justiz schmettert die Anklagen regelmäßig ab. Die Tschetschenen im Inland und im Exil haben deshalb damit begonnen, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. Rund 47.000 Anträge auf Strafverfolgung sollen bei ihm eingegangen sein. Seit sich der Gerichtshof der Fälle annahm, hat es rund 60 Verurteilungen Russlands gegeben, die Hälfte davon im vergangenen Jahr. Damit verbunden waren Strafzahlungen an die Hinterbliebenen.
Das Gericht in Straßburg wollte nun auch der Anwalt Stanislaw Markelow anrufen, in Abkehr von seiner bisherigen Haltung, für den Rechtsstaat in Russland selbst kämpfen zu wollen. Er hatte es 2003 geschafft, den russischen Ex-Oberst Juri Budanow hinter Gitter zu bringen, der im Jahr 2000 eine 18-jährige Tschetschenin vergewaltigt und ermordet hatte. Als Budanow kürzlich frühzeitig aus der Haft entlassen wurde, wollte sich der Anwalt der tschetschenischen Familie nun doch an das Gericht in Straßburg wenden. Kurz nach dieser Ankündigung wurde er in Moskau auf offener Straße erschossen.
Auch der in der Vorwoche in Wien ermordete tschetschenische Flüchtling Umar Israilov hatte sich an den Menschenrechtsgerichtshof gewandt, um dort Zeugnis über Gräuel in Tschetschenien abzulegen.
Er selbst war von Kadyrow schwer misshandelt worden, weil er nicht mit dessen Regime kooperieren wollte. Die Botschaft der beiden Morde ist klar: Russlands Machthaber wollen nicht, dass sich internationale Gerichte des Themas annehmen. **