Washington - Paraden und Picknicks, Fahnenschwenken und Feuerwerk - dies alles gehört zum Ritual am 4. Juli in den USA. Doch in diesem Jahr wird die patriotische Feier am Nationalfeiertag zu einer Art Nervenprobe. Da die Behörden schon seit Tagen vor möglichen Terroranschlägen warnen, wird so mancher Bürger die großen Menschenmengen wohl lieber meiden. Zum ersten Unabhängigkeitstag nach dem 11. September werden die Sicherheitsmaßnahmen drastisch verschärft.
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Seit Monaten leben die Menschen in den USA mit ständigen Warnungen vor neuen Terrorangriffen - ein gewisser Abstumpfungseffekt scheint unvermeidlich. Doch der 4. Juli wäre in der Tat ein besonders symbolträchtiges Datum für einen erneuten Anschlag. Außenminister Colin Powell verwies auf Geheimdienstberichte, wonach am Donnerstag besondere Vorsicht angeraten sei. Dennoch sollten die Amerikaner "den 4. Juli genießen". Konkretere Hinweise auf mögliche Anschlagspläne gibt es nach Angaben der Behörden nicht.
Die Bundespolizei FBI wies ihre 56 Niederlassungen im ganzen Land an, die Sicherheitsmaßnahmen auszuweiten. Das Militär will nach Presseberichten die Flugpatrouillen über zwölf Großstädten verstärken. An der Freiheitsstatue in New York, dem Gateway Arch ("Tor zum Westen") in St. Louis und den gigantischen Präsidentenköpfen in Mount Rushmore (South Dakota) wurden Flugverbote verhängt. Auch andere Symbole der USA wie etwa die McDonald's-Firmenzentrale in Oak Brook (Illinois) werden verschärft überwacht.
Besonders strikt sind die Sicherheitsvorkehrungen in Washington, wo auch in diesem Jahr wieder Hunderttausende Menschen auf der Mall, der großen Grünanlage im Regierungsviertel, erwartet werden. Geplant sind dort unter anderem ein Konzert mit Chuck Berry, Aretha Franklin und der Charlie Daniels Band vor dem Kapitol und das traditionelle Feuerwerk am Washington Monument. Rund um die Mall errichtet die Polizei einen Zaun, um die Kontrollen zu erleichtern. Eine U-Bahn-Station sowie eine Brücke in das Stadtzentrum werden gesperrt.
Nicht zuletzt die zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen führen den Bürgern vor Augen, dass dies ein Unabhängigkeitstag unter besonderen Umständen ist. Nach einer Umfrage des Magazins "Newsweek" halten immerhin 57 Prozent einen Anschlag für "wahrscheinlich". So manche werden deshalb zu Hause bleiben oder den großen Menschenversammlungen aus dem Weg gehen. "Ich fahre an den Strand", sagt Mitch Kidwell, ein Regierungsangestellter aus Washington. Die Mall in der Hauptstadt sei wahrscheinlich am Donnerstag "nicht der sicherste Ort".
Dennoch stellen sich die Behörden in Washington und anderswo auf großen Andrang zu den Festivals, Konzerten und Paraden ein. Viele werden schon deshalb teilnehmen, weil sie es als ihre patriotische Pflicht sehen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wenn es in diesem Jahr keine Menschenmassen gebe, dann hätten die Terroristen "gewonnen", meint der Abgeordnete Charles Rangel aus New York.
Außenministerium warnt vor Anschlägen im Ausland
Das US-Außenministerium hat die Bürger des Landes bei Auslandsreisen zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen. In einer Erklärung des Außenministeriums hieß es, die Regierung erhalte weiterhin glaubwürdige Hinweise, dass "extremistische Personen weitere terroristische Aktionen gegen US-Interessen planen". Die Warnung bleibe bis 1. Oktober in Kraft, hieß es weiter. Zugleich wies das Außenministerium darauf hin, dass der Regierung derzeit keine Informationen über mögliche Ziele, Zeitpunkte oder Angriffsformen vorlägen. Vorsicht und Wachsamkeit seien dennoch wichtig, da "terroristische Gruppen nicht zwischen offiziellen und zivilen Zielen unterscheiden".