Zum Hauptinhalt springen

Warten auf die Überweisung

Von Nina Brnada

Politik
Ratlose Rentner, ausgestattet mit Bescheiden diverser Magistratsabteilungen und Ärzte, pilgern zur Pensionsversicherungsanstalt in der Leopoldstadt und suchen Rat.
© Brnada

Mehr als 13 Prozent aller unselbständig erworbenen österreichischen Pensionen gehen ins Ausland.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. 24 Jahre lang war Ljubiša J. auf seinen Knien. Tag ein, Tag aus. Rutschen, auf fremden Böden kriechen, sich auf den eigenen Armen stemmen und immer wieder das gleiche machen: Parkettböden verlegen - etliche, Hunderte, er hörte irgendwann auf, sie zu zählen.

Heute sitzt Ljubiša J. aufrecht auf einem Stuhl und stützt sich mit Mühe auf der Tischkante ab. Der gebürtige Serbe atmet schwer, sein Doppelkinn ist aufgedunsen und mächtig, es scheint, als würde es dem Mittfünfziger die Luft abschnüren. Die Augen hinter der trüben Brille sind gerötet, seine Haut schimmert ungesund gelblich. Zwischen seinen Händen hat er einen Ordner ausgebreitet, daraus klaffen penibel gestapelte Zettel in Klarsichtfolien - es sind Bescheide diverser Magistratsabteilungen und Ärzte. Wie im Akkord holt er einen nach dem anderen heraus, deutet mit den Fingern auf Datierungen und Unterschriften und stellt der Frau gegenüber immer die gleiche Frage: "Warum warte ich schon seit drei Jahren auf meine Pension aus Serbien?"

Ihm gegenüber sitzt eine Vertreterin der Delegation der serbischen Pensionsversicherungsanstalt, die heuer zum dritten Mal in Folge zu einer Informationsveranstaltung lädt. Eine Handvoll Funktionäre aus Serbien haben sich Krawatten umgebunden und sind nach Österreich gekommen, um ihre Landsleute - jene, die in Österreich leben, aber serbische Pensionen bekommen - bei allfälligen Fragen zu beraten. Derzeit gibt es rund 9000 Betroffene.

Neben Wien, wo vergangenes Jahr 39 Interessierte zu Gesprächen kamen, gab es in der Vergangenheit auch Veranstaltungen in Linz oder Salzburg. Heute sind Juristen anwesend, ranghohe Abteilungsleiter und sogar ein Vertreter der serbischen Botschaft. Alles "Herrschaften", wie es einer der Anzugträger einem Besucher erklärt, die sich um die Angelegenheit "kümmern werden, machen Sie sich keine Sorgen".

Ljubiša J. schaut gebannt, wie seine Gesprächspartnerin in ihr Notebook tippt, danach erscheint auf dem Schirm die gesamte Dokumentation aus den serbischen Dateien. Ja, Herr Ljubiša J. hatte drei Mal den Antrag auf eine Pension in Serbien gestellt, steht da geschrieben, er wurde aber genauso oft abgewiesen.

Persönliches Gespräch ist erwünscht

Grund dafür seien die negativen ärztlichen Befunde aus Österreich gewesen, erklärt die Juristin. Jetzt aber, wo seine Invaliditätspension in Österreich bewilligt worden sei, sei ein positiver Bescheid in Serbien wohl ebenfalls nur eine Frage der Zeit, sagt sie.

Die meisten, die zu den Beratungen kommen, haben Fragen zur Prozedur. Trotz Informationen im Internet suchen viele immer noch das persönliche Gespräch, meint Milan Nešic, Abteilungschef der internationalen Sektion der Serbischen Pensions- und Invaliditätsversicherung. Und weil die Leute hier direkt auf die elektronischen Pensionsdateien in Serbien zugreifen können, wäre eine individuelle Beratung einfacher, sagt er, "wir kommen hierher für unsere Kunden."

Und diese wiederum pilgern in das gewaltige Gebäude der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt in Wien-Leopoldstadt. Dieses Herz einer immer älter werdenden Gesellschaft besteht aus etlichen Schaltern, Warteschlangen und Beratungskojen. Hier sind an diesem Tag vier Tische mit serbischen Fähnchen versehen und für die ausländischen Berater reserviert. Es scheint, als ginge es viel mehr darum, eine gute Atmosphäre zu schaffen als handfeste Problemlösungen anzubieten - wie beispielsweise der Fall Marija B.s zeigt:

Sie bekommt sowohl eine österreichische als auch eine serbische Pension, aber die aus ihrer Heimat Serbien beträgt lediglich 70 Euro, "und die österreichische ist auch nicht besonders hoch", sagt sie. Marija B. entschuldigt sich von Anfang an, ihr Serbisch sei schon etwas eingerostet, sie habe es lange nicht mehr gesprochen, denn sie sei mit einem Österreicher verheiratet gewesen.

Marija B. ist eine adrette, ältere Dame mit beigem Herbstmantel aus weichem Stoff, frisch frisierten, blonden Haaren, einem dezenten Goldring und gepudertem Gesicht. Doch dieses Gesicht bewegt sich ständig, auch wenn sie es nicht will. Sie erzählt der Beraterin, sie habe in Serbien über zehn Jahre in einem Kinderheim gearbeitet - in Subotica in der multikulturellen Vojvodina. Ihre Pension wird im Quartal ausbezahlt, doch jeweils zwei Monate zu spät, sagt sie.

Die Berater können nicht mehr tun als ihr eine Telefonnummer auf einen Zettel zu kritzeln, bei der die ältere Dame in Serbien anrufen könne - hier vor Ort aber kann ihr niemand sagen, warum die Zahlungen nicht rechtzeitig einlangen.

Auslandspensionen nicht nur Thema für Migranten

Auslandspensionen sind nicht nur ein Thema für Migranten in Österreich - sondern auch für jene, die eine österreichische Pension beziehen, aber nicht in Österreich leben. Mehr als 13 Prozent aller unselbständig erworbenen, österreichischen Pensionen gehen ins Ausland, die meisten nach Deutschland, dann Serbien, viele auch nach Bosnien-Herzegowina, Kroatien und in die Türkei. Die durchschnittliche Inlandspension beträgt rund 1100 Euro, während eine österreichische Auslandspension im Schnitt nur rund 400 Euro wert ist.