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Warten, was passiert

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Fragen der in Brüssel ansässigen Briten kreisen um Jobs, Pensionen und die Ausbildung.


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Brüssel. Ein Engländer und ein Waliser sitzen in einer Bar. Sie schauen Fußball. Ihre Mannschaften sind bereits gegeneinander angetreten, sie können also entspannter miteinander reden als noch ein paar Tage zuvor, vor der Begegnung ihrer Teams bei der EM. Dennoch setzen sie sich vor dem Anpfiff an unterschiedliche Tische: Auf dem einen Bildschirm wird nämlich das Match Wales gegen Russland gezeigt, auf dem anderen ist das Spiel England-Slowakei zu sehen.

"Wenn die Engländer verlieren und die Briten am Donnerstag für einen Austritt aus der EU stimmen, ist das eine furchtbare Woche", sagt der Engländer. "Wenn wir gewinnen, vielleicht noch dazu statt der Engländer Gruppensieger werden und dann auch noch die Briten für einen Verbleib in der EU sind, ist das eine ausgezeichnete Woche", erklärt der Waliser.

Die beiden kennen einander, der Journalismus verbindet sie. Und noch etwas anderes: der Wunsch, dass Großbritannien weiterhin Teil der Europäischen Union bleibt. Auf der Insel könnte solch Einmütigkeit erstaunen, da den Walisern - wie den Schotten - eine größere Sympathie für die EU nachgesagt wird als den Engländern. Aber in Brüssel werden die Unterschiede kleiner, ist die EU-Skepsis geringer.

Tausende Briten haben mit der belgischen und gleichzeitig EU-Hauptstadt ihren Job und Alltag verknüpft. Schätzungsweise sind es 20.000 bis 30.000 Menschen. Sie arbeiten in den EU-Institutionen, in verschiedenen Agenturen und Organisationen, in zahlreichen Unternehmen. Einige - wie die Europamandatare rund um Nigel Farage, den Vorsitzenden der "Unabhängigkeitspartei" Ukip - nutzen ihren tageweisen Aufenthalt dazu, gegen die Union zu poltern. Doch etliche fühlen sich nach vielen Jahren im Ausland Europa und dessen institutionellem Zentrum verbunden. Sie zahlen in Belgien Steuern, schicken ihre Kinder hier zur Schule, haben Anspruch auf Sozialleistungen. Doch was passiert mit ihren Arbeitsverträgen, dem Kindergartenplatz und den Pensionsleistungen, wenn ihre Heimat aus der Gemeinschaft ausscheidet?

Aus für die Karriere

Das sind Fragen, die Caroline Laske immer wieder zu hören bekommt. Doch die Antworten darauf kann die Vorsitzende der Vereinigung BBCA (Brussels British Community Association), einer Plattform für britische Bürger, Gruppen und Organisationen, kaum kennen. Es ist schlicht noch nicht klar, wie die künftige Zusammenarbeit des Königreichs mit dem Kontinent gestaltet wird.

"Es gibt viel Unsicherheit über das, was geschehen wird", berichtet Laske: "Die Menschen machen sich Gedanken über ihre Pensionen, über ihr Aufenthaltsrecht oder die Ausbildung ihrer Kinder." Denn mit dem EU-Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist nicht nur die Möglichkeit verbunden, seinen Wohnsitz ohne weiteres wählen zu dürfen. Es geht auch um Krankenversicherungen oder Kindergeld. Daher wälzen einige schon die Überlegung, die belgische Staatsbürgerschaft anzunehmen und damit einen EU-Pass zu erhalten. Aber in erster Linie "warten alle ab, was passiert", meint Laske.

Manche können nicht einmal mehr Einfluss auf die Entscheidung in ihrer Heimat nehmen. Denn nach 15 Jahren im Ausland verlieren Briten ihr Stimmrecht. Wer dieses noch besitzt, muss sich aber für das Votum registrieren. Gemeinsam mit der Botschaft in Brüssel war die BBCA aktiv, um Landsleute darüber zu informieren. Ansonsten bemühte sich die Vereinigung um Neutralität.

Denn die Debatte rund um den potenziellen Brexit, das Ausscheiden der Briten aus der Union, wurde emotional und politisch so aufgeheizt, dass jede Aussage ihre Sprengkraft haben kann. Daher bitten etliche Gesprächspartner darum, ihren richtigen Namen nicht zu nennen.

Wie James, der Beamte in der EU-Kommission, der nicht weiß, was für seine Stelle vorgesehen ist. Er würde im Falle eines Brexit zwar nicht von einem Tag auf den anderen entlassen werden; die Trennungsverhandlungen würden sich nämlich über zwei Jahre hinziehen. Und das noch bevor es überhaupt zu einer Neuregelung der Beziehungen kommt, die weitere Jahre dauern würde. Mit der Karriere, mit Aufstiegschancen wäre es allerdings vorbei. Einen Spitzenposten wird kaum jemand bekommen, der kein EU-Bürger ist.

Edward hingegen, der zumindest den Sieg der walisischen Mannschaft feiern konnte, macht sich keine Sorgen um seinen Job. Darüber, dass sein Land bald kein Mitglied der EU sein könnte, aber schon. Er hat seine Stimme für einen Verbleib Großbritanniens bereits abgegeben, per Post. Auch er fühlt sich dem Kontinent verbunden, sieht in der Gemeinschaft mehr Vor- denn Nachteile. Die Konsequenzen eines Austrittes will er sich nicht ausmalen. Doch einer Sache ist sich Edward sicher: Es wäre eine schmutzige Trennung, keine einvernehmliche. Der Brite konstatiert: "Beim Rausgehen werden wir auf den Teppich machen."