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Warum das Vogerl einen Käfig braucht

Von Gerhard Strejcek

Reflexionen

Über Glücksspiel, Zufall und Recht: Eine Tour d’Horizon mit historischen und literarischen Abstechern.


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Man würde glauben, dass die Rechtsordnung nichts dem Zufall überlässt, aber dem ist nicht so. "Zufall" ist auch ein Rechtsbegriff, dessen sich die gesetzgebenden Organe bedienen. Er spielt eine Rolle bei Lebensversicherungen, im Schadenersatz- und im Wahlrecht, kennzeichnet aber vor allem das Glücksspielrecht. Die Gretchenfrage, ob ein Spiel unter das strenge Regulativ des Glücksspielgesetzes fällt, hängt davon ab, ob dessen Ergebnis ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängt. Eine abschließende Liste derartiger Spiele existiert nicht. Dem Gesetz unterliegen neben den klassischen Casinospielen auch die sogenannten Ausspielungen wie das historische Zahlenlotto, das Lotto 6 aus 45 und die Euromillionen.

Gemeinsam ist den Ausspielungen, dass sie eine große, breit gefächerte Anhängerschaft in ihren Bann ziehen, obwohl abgesehen von der Dienstleistung nur die Hoffnung verkauft wird. Die Ziehungen gehen medienwirksam über die Bühne, im TV-Studio warten zweimal wöchentlich Moderatorinnen, "Glücksfeen" genannt, und Maschinen, die zum Teil aus Plexiglas bestehen, auf ihren Einsatz. Das Glück ist ein Vogerl, heißt es, und somit entscheidet ein Luftstrahl, der etwas stärker bläst als ein Flügelschlag des Schicksals, über Gewinn und Verlust.

... und Maschinen aus Plexiglas warten wöchentlich zweimal auf ihren Einsatz.
© ORF

Hingegen ziehen bei der spanischen Weihnachtslotterie, einem Großereignis, ausgewählte Kinder aus unterprivilegierten Familien je eine Kugel und sagen laut singend die soeben gezogene Zahl an. Ein Schelm, wer denkt, dass hier aus Marketinggründen die Weihnachtsmetaphorik strapaziert wird.

In der Kombinatorik lernen wir im Zuge des Mathematikunterrichts, dass es bei den genannten Ausspielungen zwischen elf und vierzehn Millionen Möglichkeiten gibt, die Kugeln ohne Zurücklegen aus einer großen Auswahlmenge zu ziehen. Da es aber nur vergleichsweise wenig günstige Möglichkeiten gibt zu gewinnen, erscheint Lottospielen vernünftig denkenden Menschen als irrational. Deshalb ließ auch Johann Nestroy im "Lumpazivagabundus" eine Lotto-Fee als das Schicksal steuernde Instanz auftreten und keine Mathematik-Königin oder Statistikerin.

Rund um Wien etablierte sich an trüben Quellen ein Wahrsager-Unwesen, zeitweise musste der Wiener Magistrat den Zugang zum Agnesbründl am Hermannskogel sperren, wo angeblich die Lottozahlen für Wissende schon vor der Ziehung in einem natürlichen Wasserbecken ablesbar waren.

Dennoch war das Lotto nicht nur Zeitvertreib der Unaufgeklärten. So finden sich handschriftlich notierte Lottozahlen auf Partituren und Notenblättern, die Mozart im Multitaskingverfahren zu Papier brachte, während er sich lebhaft mit Konstanze oder Lorenzo da Ponte unterhielt; auch Goethe, der in Leipzig und in Straßburg mit heißem Bemüh’n, aber ohne Magister- oder gar Doktortitel zu erreichen, Rechtswissenschaften studierte, schrieb seiner Mutter, welche Zahlen bei einer der lokalen Lotterien "herausgekommen" waren.

War als Spielerin bekannt: Maria Theresia.
© Gemälde von Martin van Meytens, um 1752 (Ausschnitt), gemeinfrei

Im alten, kaiserlichen Österreich fanden Ziehungen in Prag, Linz und Wien statt, die Ergebnisse konnten auf Holztafeln vor den Kollekturen abgelesen werden, sie wurden in den Diarien und Zeitungen abgedruckt. Nicht zuletzt aufgrund der leistbaren Einsätze hält sich die soziale Gefährlichkeit der Ausspielungen in Grenzen, wogegen sie auch im Internet-Zeitalter für die Betreiber - vom Gesetz Konzessionäre genannt - profitabel sind. Das war nicht immer so: Einige Lotto-Pächter des 18. Jahrhunderts mussten bitteres Lehrgeld zahlen, schlitterten in die Insolvenz, übernahmen sich in ihren kühnen, auf der Kostenseite nicht hinreichend abgesicherten Plänen. Ein heutiger Lotterienkonzessionär benötigt ein einbezahltes Milliarden-Kapital, kein anderes Unternehmen muss so viel Geld (1.200 Millionen Euro) aus klaren Quellen kraft Gesetz aufbringen.

Historisch ist von Interesse, dass das in Österreich seit der theresianischen Epoche kontinuierlich bis heute angebotene Zahlenlotto (5 aus 90) seine Wurzeln in einem politischen Bestellungsvorgang hat. Das Spiel heißt auch Lotto Genovese, weil es an die Kreation der fünf leitenden Ratsherren aus einer Gruppe von neunzig Kandidaten in Genua erinnert, die durch Ziehung von fünf Namen, nicht durch Wahl, erfolgte. Etymologisch stammt das Lotto vom niederländischen Wort "lot" für "Los" ab, das auch bei Auktionen eine Rolle spielt.

Aus den Niederlanden stammte auch der Philosoph Johan Huizinga, der die freiheitsbeschränkende Internierung in einem Geisellager und den anschließenden Hausarrest während der NS-deutschen Besatzung dazu nutzte, um seine 1938 in Basel publizierten, grundlegenden Aussagen über den Spieltrieb des Menschen in seiner Monografie "Homo Ludens" neu aufzusetzen. Huizinga lehrte bis 1942 an der Universität Leiden, jener Stadt, in die Anne Franks Helferin Miep Gies als Kind zur Aufpäppelung gesandt wurde. Auch der aus Groningen stammende Autor schwor seine Mitbürger auf Empathie mit den verfolgten Juden ein. Erst nach dem Abzug der Besatzer konnte sein Werk über den Spieltrieb posthum erscheinen.

Demokratie und Zufallsauswahl scheinen nur auf den ersten Blick unvereinbar. Nach der Nationalrats-Wahlordnung kann bei Stimmengleichstand das Los entscheiden, woraus erkennbar wird, dass Vergleiche zwischen Glücksspielen und Wahlen nicht unziemlich sind. Puristen werden nun einwenden, dass Ermittlungsverfahren zumeist rationalen Regeln folgen, immerhin ringen seit den Tagen des Belgiers Victor d’Hondt zahlreiche Wahlmathematiker und Mathematikerinnen um das optimale, "gerechte" Ermittlungsverfahren, das in der Bundesrepublik, aber auch in Österreich schon mehrfach geändert wurde. Aber im Fall einer Pattstellung hilft das Los weiter, wie schon die Römer wussten, ehe sie die Würfel fallen ließen.

Maria Theresias Spiele

Wirtschaftshistorisch betrachtet sind die Lotterien und deren Verpachtung mittlerweile erwachsen gewordene Kinder einer absolutistischen, merkantilistischen Ära. Dass sie aus Italien in den Norden importiert wurden, ist kein Zufall, sondern hängt damit zusammen, dass Franz Stephan von Lothringen, nachmaliger "römischer" Kaiser Franz, in der Toskana mit dem Lotto und anderen Lustbarkeiten konfrontiert wurde und sie in Wien etablierte. Seine Gattin Maria Theresia, die man als Kaiserin apostrophieren kann, auch wenn sie formell die Titel Erzherzogin und Königin (von Ungarn) trug, war auch als Spielerin bekannt.

Die bei ihr stattfindenden Runden von "Pharao" und anderen Hazardspielen trieben manche Teilnehmer an die Grenze des Ruins, wogegen sich die Herrscherin dabei königlich amüsierte. Gemeinsam mit Franz Stephan kam die lebensfrohe und beliebte Habsburgerin auf die Idee, das Lotto einem Italiener namens Ottavio Cataldi zu verpachten. Das Herrscherpaar selbst beteiligte sich mit "caratti" genannten Anteilsscheinen still am Erfolg des Pächters, der sich allerdings in Grenzen hielt.

Somit hat die heutige Konstruktion ein 270 Jahre altes Vorbild: Der "Staat" errichtet ein Monopol und profitiert von der Konzessionserteilung direkt durch Beteiligungen und indirekt durch hohe Abgaben. EU-weit kennen fast alle Mitgliedstaaten Restriktionen des Marktes, um die Abschöpfung zu ermöglichen, aber auch, um ordnungspolitische Ziele zu verfolgen.

Auf der Ebene der Spielbanken erfolgten die Verstaatlichungen erst später, zunächst durch eine Aktiengesellschaft in der Ersten Republik, die notorisch an Geldmangel litt, und dann seit den späten 1960er Jahren durch ein Modell, das nach Abschaffung der Monopolverwaltung im Finanzministerium auf Konzessionsvergabe an juristische Personen mit Staatsbeteiligung unter strenger Limitierung der Zahl setzt. Derzeit wären fünfzehn Spielbankkonzessionen verfügbar, de facto und vermutlich auch bald wieder wird das 1989 neu gefasste Gesetz nur zwölf Spielbanken und nur eine Ausspielungskonzession sowie ein richterliches Auswahlorgan vorsehen.

Pokerturniere dürfen in Österreich nur in Spielbanken stattfinden. Wer eine gute "Hand" hat, wie es im Spielerjargon heißt, wird sich zwar nicht bluffen lassen, aber zweifellos kann bei vielen Pokerarten, wenn es zu keinem Showdown kommt, der Zufall abgedrängt oder einem Täuschungsmanöver untergeordnet werden. Dennoch beherrscht Mephisto so manchen Pokerspieler.

Wetten unterscheiden sich von Glücksspielen durch ihren realen Bezug, da sie (meist) tatsächliche Ereignisse betreffen, die zum Zeitpunkt des Glücksvertragsabschlusses noch in der Zukunft liegen und von Buchmachern mit Quoten belegt werden. Die Prognoseentscheidung der Wettteilnehmer stützt sich oft auf genauere Kenntnisse der Materie, was eine trügerische Sicherheit verleiht. Denn auch Wetten wohnt ein aleatorisches Element inne, der Zufall kann die Überhand gewinnen, vor allem wenn sich eine Gesamtwette auf Tipps für viele unterschiedliche Ligen oder Sportarten bezieht. In Österreich sind Sportwetten Landessache, es gibt recht viele Anbieter, aber auch Verbote gewisser Wettarten oder Modifikationen. Die besten Kenntnisse über alle 22 Spieler und den Platzboden nutzen wenig, wenn etwa die wackeren Wikinger der Färöer gegen Österreich gewinnen.

Potentielle Gefahren

Nicht die Zufallsabhängigkeit der Spiele, wie sie seit jeher im Glücksspielgesetz angesprochen wird, ist daher das entscheidende Merkmal, welches sie gefährlich macht, sondern die potentielle Gefahr, die von gewissen Spielen und Wetten ausgeht. Auch die Veranlagung und die Ausgeglichenheit einer Person spielen eine Rolle; professionelle Spieler trennen ihre Haushalts- und Spielbudgets strikte. Poker ist brandgefährlich, weil es in Mode ist und Menschen verführen kann, sich auf ungleiche Gefechte einzulassen. Das Internet vervielfacht die Gefährlichkeit, weil sich User zu jeder Tages- und Nachtzeit einloggen können und bei unseriösen Anbietern keine Kontrollen durchgeführt oder Limits eingezogen werden.

Daher spricht viel für einen ordnungspolitisch regulierten und kontrollierten Markt, in dem die Anbieter strenge Limits setzen und Identitätskontrollen durchführen müssen. Totalverbote bringen hingegen gar nichts, weil sie der organisierten Kriminalität Tür und Tor öffnen. Daher sollte Glücksspiel, das den angeborenen Spieltrieb des "homo ludens" befriedigt, erlaubt sein, aber eben nur in einem Rahmen und in einem Korsett von Schutzvorkehrungen gegen auffälliges und existenzgefährdendes Spielverhalten und, was auch wichtig ist: Es muss transparent und seriös abgewickelt werden und in einem sicheren Umfeld vor sich gehen.

Eine längere Fassung dieses Textes erscheint dieser Tage in der neuen Ausgabe der Zeitschrift "wespennest" (Nr. 182, 12,- Euro), die dem Thema "Zufall" gewidmet ist.

https://wespennest.at/


Gerhard Strejcek ist Professor für öffentliches Recht und Leiter des Zentrums für Glücksspielforschung an der Universität Wien.