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Warum der Brexit die letzte Chance für TTIP ist

Von Thomas Jakl

Gastkommentare

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© Fotolia, wz

Die neue britische Premierministerin Theresa May betont bei jedem ihrer Gespräche mit europäischen Spitzenpolitikern: "Brexit heißt Brexit", und lässt damit keinen Zweifel daran, dass das Referendum einen eindeutigen Handlungsauftrag zur Folge hat. Die Arbeiten am EU-Austrittszenario für Großbritannien nehmen Fahrt auf. Und es gibt keinen Plan B.

Das ist gut so, denn der abzutragende Schutthaufen ist von beachtlicher Größe. Großbritannien wird mit dem Austritt einen großen Teil seines Rechtsbestandes verlieren. Alle (direkt anzuwendenden) EU-Verordnungen gelten für das Vereinigte Königreich mit dem Austritt nicht mehr, es sei denn, Großbritannien erlässt sie neu als britisches Recht. Keine Zulassungssysteme für Pflanzenschutzmittel, Biozidprodukte, Industriechemikalien, kein EU-Umweltzeichen - allein das gesamte umweltbezogene Produktrecht (um nur ein einzelnes Beispiel aus dem Rechtsbestand zu nennen) fällt mit einem Schlag weg. Schon jetzt wird die Umorientierung der Unternehmen spürbar - die Dienste der britischen Behörden werden in EU-Fragen nur noch sehr eingeschränkt in Anspruch genommen. Auch ihre Stimme in EU-Gremien verliert rapide an Gewicht.

Auch die unzähligen Handelsabkommen, welche die EU mit anderen Staaten abgeschlossen hat, stehen für das Vereinigte Königreich nun auf der Agenda und zur Disposition. Übernimmt man diese Abkommen und schließt sie als Großbritannien mit dem Partner außerhalb der EU erneut ab? Es gilt, den britischen Platz in der Welt neu zu definieren - das Commonwealth wird da in den Überlegungen mit Sicherheit einen besonderen Platz einnehmen. Wie steht es aber um die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zu den USA? Dieses "special relationship" hat sich ja ebenfalls während der vergangenen Jahrzehnte über Großbritannien als EU-Mitglied definiert. Selbstredend wird von beiden Seiten auch hier eine rasche Bekräftigung und Intensivierung der Beziehungen angestrebt werden.

EU-USA-Freihandelsabkommen ist vor dem Erlöschen

Aber zuallererst gilt es, das Verhältnis des scheidenden Partners zur Union auf neue Beine zu stellen, und schon mehren sich die Stimmen in Europa, die vor einem britischen Rosinenpicken warnen. Freier Warenverkehr ohne Freiheit des Personenverkehrs? "No way!" Mitspracherecht bei neuen Gesetzesvorhaben? "Nice try." Teilnahme an EU Förderprogrammen? "Wait and see." In mühsamer Detailarbeit wird über Jahre der britisch-europäische Rechtsbestand entflochten und dann neu verwoben werden müssen.

Nun nähert sich ein mit dieser Gemengelage durchaus verwandter, parallel laufender Verhandlungsprozess seiner abschließenden Phase: das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Union und den USA. Verfehlte Kommunikation, anfängliche Intransparenz, (teilweise konstruierte) Bedrohungsszenarien und tatsächliche Auffassungsunterschiede auf beiden Seiten des Atlantiks haben zu einer nahezu irreparablen Imageschädigung dieses an sich so wichtigen Vorhabens geführt.

Auch hier gilt es, nicht über verschüttete Milch zu jammern. Es ist, wie es ist - nie und nimmer erhält dieses Abkommen in seiner derzeitigen Form mit seiner (wie auch immer entstandenen) Geschichte die Zustimmung aller nationalen Parlamente. Trotzdem - es wäre lohnend, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Erleichterung der Handelsbeziehungen zwischen diesen beiden Märkten wäre (ebenso wie der Wissensaustausch) ein wichtiger Impuls. Für zahlreiche Fragestellungen hat der Verhandlungsprozess zudem taugliche Lösungsansätze geliefert. Etwa den Ersatz der ursprünglich geplanten privaten Schiedsgerichte durch echte richterliche Institutionen oder die Erkenntnis, dass gewisse Sektoren, die auf beiden Seiten des Atlantiks zu unterschiedlich gehandhabt werden (etwa im Umweltbereich), eben nicht harmonisierbar sind.

Ohne echten "Gamechanger" - also einen glaubwürdigen Anlass, der einen Neustart ermöglicht - hat TTIP keine Chance auf Realisierung. Der Brexit könnte genau dies sein und als Anlass dienen, TTIP zukünftig als trilaterales Abkommen zwischen der EU, den USA und Großbritannien zu verhandeln. Schließlich hätte TTIP ja auch die Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich (als EU-Mitglied) und den USA umfasst.

"Window of opportunity" durch Brexit für Neustart als UK-TTIP

Der Konsens, auf dem man den neuen Verhandlungsprozess aufsetzen müsste, wäre getragen von der Notwendigkeit, die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien und zwischen Großbritannien und den USA neu zu definieren. Voraussetzung für diesen Schritt wäre, dass Großbritannien seinen Austrittsantrag stellt, sodass man die Verhandlungen mit dem Ziel führt, das Verhältnis der EU zu zwei externen Partnern zu gestalten. Unbestritten bedarf die endgültige Ausformung des britisch-europäischen Verhältnisses zahlreicher Detailabkommen oder umspannender Lösungsansätze, die weit über die derzeit mit den USA im Rahmen von TTIP verhandelten Materien hinausgehen.

Die europäisch-britischen Bande werden (so viel ist unbestritten) jedenfalls ungleich enger, intensiver und weitreichender sein als jene einer transatlantischen Partnerschaft. Aber eine Basis wäre zumindest geschaffen. Spezifische bilaterale Regelungen könnten auf der Basis eines UK-TTIP weiterentwickelt werden.

Auch inhaltlich wären britische Verhandler ideale Vermittler zwischen den beiden bisherigen Verhandlungspartnern, hat man doch als zwar europäisches Land in vielerlei Hinsicht Verständnis und Sympathie für amerikanische Zugänge. Offene Fragen gibt es zudem noch mehr als genug.

UK-TTIP böte die Chance für einen glaubwürdigen Neustart eines Prozesses, der auf den bisherigen TTIP-Verhandlungsergebnissen aufbauend transparent geführt würde. Mit offenem Visier unter breiter Einbindung der Zivilgesellschaft. Die Einbettung Großbritanniens in die Handelsbeziehung zwischen der EU und den USA ist eine von allen nachvollziehbare Notwendigkeit. Die Akzeptanz für dieses Vorhaben wäre jedenfalls ungleich größer als für TTIP in seiner aktuellen Situation. Ein derartiger Schritt hätte auch den Vorteil, die Handlungsfähigkeit und Gestaltungskraft der europäischen Institutionen zu dokumentieren und neues Vertrauen aufzubauen.

Der Brexit schafft die Notwendigkeit, Antworten auf Fragen zu entwickeln, die sich zum Teil auch im Rahmen von TTIP stellen. Diese Situation aktiv und gestaltend zu nutzen, ist eine einmalige Chance - für TTIP wahrscheinlich die letzte.

Thomas Jakl ist Sektionsleiter-Stellvertreter der Sektion V (Abfallwirtschaft, Chemiepolitik und Umwelttechnologie), Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.