Zum Hauptinhalt springen

Warum der EU-Türkei-Flüchtlingsdeal schlecht ist

Von Vangi Theodora

Gastkommentare
Theodora Vangi ist Teil des Nothilfeteams von Care in Griechenland.
© privat

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mehrere triftige Gründe sprechen gegen den Flüchtlingsdeal, den die Europäische Union mit der Türkei geschlossen hat:

1. Der Deal schafft einen gefährlichen Präzedenzfall<p>Das Abkommen zwischen der EU und Türkei spricht eine deutliche Sprache: Schutz von Flüchtlingen kann zwischen verschiedenen Staaten und ihren Schlüsselfiguren kommerzialisiert und ausgegliedert werden. Die Türkei lässt sich für das Managen der Migrationsbewegung Richtung EU bezahlen, wobei weder Menschenrechtsverletzungen noch das Schlepperwesen eingedämmt werden. Der Deal gilt bei der EU als "großer Erfolg", er soll auf andere Länder – wie etwa Libyen – ausgeweitet werden. Der Libyen-Deal will die libyschen Machthaber dabei stärken, Flüchtlinge und Migranten auf See aufzugreifen und nach Libyen zurückzuschicken.

Der EU-Türkei-Deal hat also einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, indem er das Recht, international Schutz zu suchen, aufs Spiel setzt. Solche Deals untergraben die Europas Verpflichtung zu den Menschenrechten.

2. Statistiken erzählen nicht die ganze Geschichte

Der EU-Türkei-Deal wird von der Europäischen Kommission vor allem deshalb gelobt, weil er, so die Auffassung, Ergebnisse liefere: Von monatlich Hunderttausenden Neuankömmlingen im Jahr 2015 ist die Zahl auf dreitausend im Jahr 2016 gesunken – und noch weniger 2017. Aufgrund dieser Statistik bezeichnet die Kommission, unterstützt von einigen Mitgliedsstaaten, den EU-Türkei-Deal als Beispiel für eine Einigung mit anderen größeren Transitländern. Allerdings wurde der Einfluss der Schließung der Balkanroute, die zur selben Zeit stattfand, dabei nicht betrachtet. Dieser hat die Zahl der Flüchtlinge, die in Griechenland angekommen sind, ebenfalls deutlich reduziert. Noch wichtiger: Das Fehlen jeglicher legaler Optionen in die EU hat Menschen nicht davon abgehalten, sich auf den Weg zu machen. Die Reise wurde aber gefährlicher und die Wege wurden vielfältiger.Das macht es gleichzeitig schwerer, Menschen in Not zu helfen: 2016 war das tödlichste Jahr im Mittelmeer.

Zahlen sind nicht der einzige Erfolgsmaßstab. Wann werden die Auswirkungen dieses Deals untersucht?

3. Das Schlepperwesen floriert – Menschen flüchten nach wie vor

Der EU-Türkei-Deal hat definitiv dazu beigetragen, dass das Schlepperwesen blüht und gedeiht. Menschen, die verzweifelt sind, sich mit Familienmitgliedern vereinigen wollen, Sicherheit suchen: Diese Menschen fliehen – egal, ob es Deals gibt oder nicht. Menschen nehmen angesichts der steigenden Anzahl abgewiesener Asylanträge und Rückschiebungen in die Türkei furchtbare Risiken auf sich. Fatima, eine afghanische Mutter zweier Kinder, wartete mehr als ein Jahr darauf, dass ihr Asylantrag bearbeitet wurde. Als sie keine Möglichkeit mehr sah, auf legalem Weg mit ihrer Familie in Irland zusammen zu kommen, suchte sie einen Schlepper. Für den Gegenwert von 3000 Dollar wurde ihr versprochen, dass sie und ihre Familienmitglieder nach Ungarn kämen.

Sie hat Ungarn nie erreicht. Das Auto des Schmugglers war in einen Autounfall verwickelt. Fatima wachte in einem Spital auf, ohne zu wissen, wo ihre Kinder abgeblieben waren. Doch damit nicht genug: Ihre Mutter ist bei dem Unfall gestorben und ihr selbst mussten beide Beine amputiert werden.

In einem Umfeld, wo alle andere Systeme zusammengebrochen sind, bleibt für die Menschen die Familie das einzig Greifbare.

4. Aus Asylwerbern wurden Menschen gemacht, die in Lagern festgehalten werden

Der EU-Türkei-Deal hat zu noch nie dagewesenen – überfüllten, minderwertigen, unsicheren – Anhaltezentren und Camps in ganz Griechenland beigetragen. Trotz der Bemühungen, die Zustände zu ändern, leben viele Flüchtlinge nach wie vor in Zelten und monatelang in einer Vorhölle gefangen ohne zu wissen, wie es weitergeht und wann ihr Asylprozess überhaupt startet. Die anhaltende Internierung unter extrem schlechten Lebensbedingungen, ohne Zeithorizont, hat eine massive Einwirkung auf die physische und psychische Gesundheit.

Sie ist auch gegen das europäische Recht: Dieses erlaubt dem Asylwerber nämlich, sich sehr wohl innerhalb des Landes, an dem sein Asylprozess stattfindet, zu bewegen.

5. Der Deal ist nur die Spitze des Eisbergs

Wenn man sich die jüngsten Entwicklungen der EU-Migrationspolitik ansieht, ist der Türkei-Deal nur die Spitze des Eisbergs. Die EU macht Migrationspolitik zu einer engstirnigen Sicherheitspolitik. Das hat dazu geführt, dass die Situation auf den griechischen Inseln sich weiter verschlechtert und die Rechte der Menschen, die Sicherheit und Zuflucht in Europa suchen, untergraben werden. Die Bewegungsfreiheit der Hilfesuchenden wird eingeschränkt, indem sie in Lagern auf den griechischen Inseln festgehalten werden. Es wurden mehr Anhaltelager geschaffen, der Beschwerdeprozess wurde eingeschränkt, Rückschiebungen erleichtert.

Nach dem Einspruch von drei Flüchtlingen gegen den Türkei-Deal hat sich der Europäische Gerichtshof als nicht zuständig erklärt. Die Begründung: Staatsoberhäupter der EU-Mitgliedsstaaten hätten diese Vereinbarung mit der Türkei getroffen, nicht der Europäische Rat. Das zeigt, dass dieser Deal nur eine Kurzschlussreaktion angesichts der fehlenden Einwanderungspolitik der EU ist.

Alle europäischen Mitgliedsstatten müssen eine kohärente Strategie in Bezug auf Migration verfolgen. Das beinhaltet ein Asylsystem und legale Wege der Migration ebenso wie diplomatische Bemühungen, die sich mit den Ursachen des Konflikts beschäftigen.