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Die Freiheit geht nicht über alles. Sie bedarf vielmehr in jedem Falle der Konfrontation mit übergeordneten Werten.
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Im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen über die Zulässigkeit der Verhängung von Verboten und der Einschränkung von Freiheiten ist daran zu erinnern, dass große Denker und ehrwürdige Traditionen solche Einschränkungen unter gewissen Umständen gutheißen und verteidigen. So erklärt der große Denker des Liberalismus, John Stuart Mill, in seiner Schrift "On Liberty" (1859) das Einschränken von Freiheiten dann für zulässig, ja geboten, wenn der Gebrauch einer bestimmten Freiheit in die Freiheitssphäre eines anderen eingreift. Laut Immanuel Kant ist die Freiheit von vornherein durch die Existenz anderer beschränkt und von der "Willkür", die den sozialen Zusammenhang vernachlässigt, so abgegrenzt, dass nur eine begrenzte Freiheit unter dem Ideal eines allgemeinen Gesetzes zusammengefasst werden kann. Auch die christliche Tradition, die schon auf antike Ansätze zurückgreift, sieht das Gemeinwohl als Norm und Grenze der individuellen Freiheit. Jedenfalls ist die Berufung auf die Befriedigung eines Bedürfnisses kein ausreichender Legitimationsgrund für die Freiheit, das Bedürfnis auch zu befriedigen, umgekehrt rechtfertigt die Verletzung fremder Rechte korrigierende Eingriffe.
Dass dies nicht bloß ein abstraktes Gedankenspiel ist, sondern durchaus Bereiche der Rechtspolitik berührt, zeigen drei Beispiele:
Das Rauchverbot in geschlossenen, öffentlichen Räumen, gegen das im Namen der Freiheit Sturm gelaufen wird. Dabei lässt sich das Rauchverbot im öffentlichen Raum und ohne Einwilligung des Gegenübers mit Mills Formel nicht nur rechtfertigen, sondern es erscheint geradezu als geboten, seit seriöse Studien nachgewiesen haben, dass Passivrauchen gesundheitsschädlich ist, der Raucher also nicht nur in fremde Privatsphäre eindringt, sondern auch die Gesundheit des Gegenübers gefährdet.
Ähnlich verhält es sich mit Initiativen engagierter junger Menschen in verschiedenen Parteien gegen Zigarettenautomaten. Diese sind als der Gesundheit förderlich ebenso begrüßenswert wie Initiativen gegen Glücksspielautomaten, die ja in erster Linie dem Profit dienen und die Gesundheit und Existenz gerade junger Menschen, deren Schutz im Allgemeininteresse liegt, gefährden.
Als drittes Beispiel für eine sinnvolle Einschränkung behaupteter Freiheiten, hinter denen sich Süchte sozialschädlicher Art, wie unbeschränkte Kauflust und Rücksichtslosigkeit gegenüber arbeitenden Menschen, verbergen, ist der Versuch einer Minderheit von Geschäftsleuten, das Gebot der Sonntagsruhe zu Fall zu bringen und damit die Gemeinschaft, insbesondere Familien, eines wichtigen ruhe- und sinnstiftenden Stützpunktes, einer Enklave in der ansonsten gleichmäßig dahinfließenden Lebenszeit und eines Ausblicks auf die Ewigkeit, auf die wir alle hingeordnet sind, zu berauben. Es bleibt zu hoffen, dass hier die Allianz zwischen Gewerkschaft und Kirche einen Dammbruch verhindert, der nur scheinbar der Freiheit der Menschen zugutekäme.
Norbert Leser ist emeritierter Professor für Sozialphilosophie und Präsident des Universitätszentrums für Friedensforschung in Wien.
Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.