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Manche Maßnahmen verlieren an Bedeutung, ein Lockdown ist politisch unmöglich. Es heißt: Impfen oder scheitern.
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Mühsam ernährt sich das Dashboard. Aber nur jenes, das den Verlauf der Impfaktion anzeigt. Ein paar Tausend lassen sich jeden Tag den ersten Stich geben, fast genauso viele infizieren sich aber täglich mit dem Coronavirus. Und es ist nur eine Frage von Tagen, bis mehr Menschen über eine Infektion als über eine Impfung zu Immunität gelangen.
Der Vergleich sollte eigentlich sicher machen. Das Risiko von schwerwiegenden Komplikationen ist auch für Jüngere ungleich höher bei einer Infektion. Bis zum Juli dieses Jahres liegen Daten der Gesundheit Österreich GmbH vor, wie wahrscheinlich im Fall einer Infektion eine Behandlung im Spital ist. Wenig verwunderlich variiert das je nach Alter stark, aber immerhin einer von 50 jüngeren Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren mit einer laborbestätigten Corona-Infektion erkrankt so schwer, dass er oder sie im Spital behandelt werden muss. Bei über 60-Jährigen ist es schon einer von sechs und bei über 70-Jährigen jeder Dritte.
Dem gegenüber stehen schwere Nebenwirkungen im Zusammenhang mit einer Impfung, wobei bei den zwei Vektorimpfstoffen (AstraZeneca, Janssen) spezifische Thrombosen auftauchten und bei den zwei mRNA-Impfstoffen (Moderna, Biontech/Pfizer) Herzmuskelentzündungen als seltene Nebenwirkungen registriert wurden. Aber in einem unvergleichlich geringeren Ausmaß. Immerhin wurden in Österreich mehr als elf Millionen Impfungen verabreicht und mehr als 5,9 Millionen Menschen geimpft.
Dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen wurden danach 15 Sinusvenenthrombosen (zwei Todesfälle) sowie 127 Herzmuskelentzündungen gemeldet. In insgesamt 1.255 Fällen wurde ein Krankenhausaufenthalt in zeitlicher Nähe zur Impfung registriert. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch einen kausalen Zusammenhang gab. Im Einzelfall sind die Ursachen oft schwer zu eruieren. Wegen einer Covid-Erkrankung liegen aber allein jetzt 1.780 Personen im Krankenhaus, und dies bei derzeit 66.852 aktiven Fällen, wie dem Dashboard Ages zu entnehmen ist.
Die hohe Krankheitslast von Sars-CoV-2 führt seit Beginn dieser Pandemien zu einer systemischen Bedrohung der Gesundheitsversorgung. Wenn sich in kurzer Zeit sehr viele Menschen infizieren, landen mit einem Zeitverzug weniger Wochen mehr in den Spitälern und auf Intensivstationen, als das System vertragen kann. Und das, obwohl Österreich im Vergleich zu anderen Ländern in der EU in dieser Hinsicht recht gut aufgestellt ist.
In Ländern mit hoher Impfrate liegen wenige im Spital
Bisher waren Kontaktbeschränkungen das Mittel der Wahl der Politik. Durch das Schließen von Schulen, Lokalen und Geschäften sowie durch das Verbot von Veranstaltungen wurden Übertragungsmöglichkeiten behördlich stark eingeschränkt. Durch die Lockdowns konnte man die Infektionszahlen begrenzen und damit auch das Erkrankungsgeschehen einigermaßen in den Griff bekommen. Auf der anderen Seite standen Freiheitsbeschränkungen mit wirtschaftlichen, sozialen und auch psychischen schwerwiegenden Auswirkungen.
Mit der Impfung steht nun ein jedenfalls gelinderes Mittel zur Verfügung. Zum einen senken die Impfungen im Individualfall das Risiko schwerer Erkrankungen erheblich. Die Wirksamkeit gegen eine Behandlung auf einer Intensivstation wird durchwegs mit etwa 90 Prozent angegeben, bei Älteren ein wenig darunter. Zum anderen reduziert sich aber auch die systemische Gefahr für die Gesundheitsversorgung erheblich. Hospitalisierungsquoten wie sie in den ersten drei Wellen in einer weitgehend nicht-immunen Bevölkerung zu beobachten waren, sind nicht mehr zu erwarten. Das zeigt auch ein Blick in die heimischen Krankenanstalten.
Von den 304 Covid-19-Intensivpatienten am Dienstag - am Donnerstag waren es bereits 352 - hatten 74 ein gültiges Impfzertifikat, waren also vollständig geimpft, 230 waren ungeimpft. Zu beachten ist aber auch, dass die Grundgesamtheit der Geimpften deutlich höher ist. Auf die gesamte Bevölkerung gerechnet, haben rund 64 Prozent einen Impfschutz, in den höheren Altersgruppen, die viel häufiger auf Intensivstationen behandelt werden müssen, liegt die Impfrate bei über 80 Prozent.
Anders formuliert: Wären deutlich mehr Menschen in Österreich geimpft, wäre die Pandemie zwar nicht vorbei und es gäbe dennoch viele Fälle mit Impfdurchbrüchen in den Krankenhäusern, die Belastung wäre aber deutlich geringer. In Portugal mit mehr als 80 Prozent Impfrate liegen derzeit 67 Personen mit Covid-19 auf einer Intensivstation, in Dänemark mit 76 Prozent Impfquote sind es gar nur 31. Das ist nicht nichts, aber für Gesundheitssysteme in Europa handhabbar.
Nicht alle Geimpfte sind freilich immun, und der Schutz lässt mit der Zeit auch nach. Deshalb wächst auch die Zahl der Impfdurchbrüche überall in Europa, und deshalb wird mittlerweile auch älteren Personen dringend nahegelegt, sich nach sechs Monaten ein drittes Mal impfen zu lassen. Zu den Geimpften kommt aber eine weitere Gruppe hinzu, die ebenfalls einen guten Schutz aufweist: die Genesenen. Auch sie verfügen eine Zeit lang über einen Infektionsschutz und darüber hinaus über einen länger anhaltenden Schutz vor schweren Erkrankungen.
190.000 Fälle seit August sind nur 2 Prozent mehr Immune
Doch wie viel Immunität in der Bevölkerung insgesamt vorhanden ist, weiß man nicht. Die letzte österreichweite Seroprävalenzstudie, bei der eine Stichprobe auf Antikörper untersucht wird, liegt mehr als ein Jahr zurück und hat keine Aussagekraft mehr. Eine neue Studie ist zwar in Vorbereitung, Daten werden aber eher erst im kommenden Jahr zur Verfügung stehen. Bis dahin kann die Immunkompetenz der Bevölkerung nur modelliert und geschätzt werden.
Seit Anfang August haben sich in der Delta-Welle doch viele Menschen infiziert, laborbestätigt wurden rund 190.000 Fälle, die Hälfte davon übrigens seit Mitte Oktober. Das klingt nach viel und ist es auch, andererseits bedeuten 190.000 Fälle, dass nur zwei weitere Prozent der Bevölkerung immun geworden sind. Und dies um den Preis von 551 Covid-Toten seit September und bald wieder 400 Intensivpatienten. Es illustriert auch, warum die Impfquote von 71,3 Prozent im Burgenland und 59,3 Prozent in Oberösterreich einen fundamentalen Unterschied im Erkrankungsgeschehen ausmacht.
Der Simulationsforscher Niki Popper sieht in seinen Modellen, in die auch die geschätzte Immunität in der Bevölkerung (Genesene, Geimpfte minus Immunitätsverluste) einfließt, dass die gegenwärtige Entwicklung zwar bald einen Höhepunkt erleben könnte, aber erst Ende November. Schreibt sich aber das Wachstum der Intensivpatienten bis dahin fort, würde es noch in diesem Monat mit den Kapazitäten sehr eng werden. Zumal keine Notbremse in Form eines generellen Lockdowns geplant ist. Der ist politisch de facto unmöglich geworden, ab 600 Intensivpatienten soll er aber für Ungeimpfte gelten. Was nur als Drohkulisse gedacht war, erscheint nicht mehr undenkbar.