![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Einkommen in Österreich schrumpfen um drei Prozent. | Budgetklemme zwingt zur Kürzung der Beamtengehältern und Pensionen. | Die Botschaft von Bundeskanzler Werner Faymann an die österreichischen Pensionisten war beruhigend gemeint: Zur Inflationsabgeltung könnten diese 2009 mit einer Pensionserhöhung von 1,9 Prozent rechnen. Und die Abgeordneten zum Nationalrat, so erfuhr man kurz darauf, würden heuer auf eine Erhöhung ihrer Bezüge verzichten.
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Dem Durchschnittsbürger dürfte nicht klar sein, dass das erstgenannte Versprechen an die Pensionisten einer massiven Besserstellung der nicht mehr arbeitenden Bevölkerung gegenüber den aktiven unselbständig Tätigen und erst recht gegenüber den Selbständigen und anderen Unternehmern gleichkommt. Und dass der großzügig scheinende Verzicht der Abgeordneten auf Bezugserhöhung in Wahrheit bereits der Anspruch auf eine nicht unerhebliche relative Anhebung von deren Einkommen im Vergleich zum österreichischen Durchschnittseinkommen darstellt.
Schrumpfen zwischen zwei und vier Prozent
Was ein Schrumpfen des Sozialprodukts einkommensmäßig bedeutet, ist nämlich noch keineswegs in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen. Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny, hat Ende März die voraussichtliche Schrumpfung des österreichischen Sozialprodukts für 2009 auf 2 bis 2,5 Prozent geschätzt. Kurz danach wurde die Erwartung der Vereinigung Österreichischer Industrieller publiziert: Dort rechnet man mit einer Schrumpfung von 3 bis 4 Prozent.
Nehmen wir - ohne ein stärkeres Schrumpfen auszuschließen - vorsichtshalber einen mittleren Wert aus diesen Eckdaten an und gehen von einer Schrumpfung von etwa 3 Prozent aus, ausgelöst vor allem durch den drastischen Rückgang der Exporte und auch der Investitionen, also ausgelöst zumal von einem negativen Auslandseffekt; und in der Einkommensverteilungsrechnung ausgelöst von einem scharfen Einbruch der Gewinne sowie von Lohnkürzungen infolge Kurzarbeit und Lohnentfall infolge zunehmender Arbeitslosigkeit.
Solche Rückgänge wären, international gesehen, freilich noch immer eher mäßig und sind keineswegs vergleichbar mit den gut 5 Prozent Rückgang des Sozialprodukts unseres Nachbarlandes Deutschland und einem ebenfalls wohl großen Abbau in Italien.
Wie üblich hat in Deutschland der Sozialproduktrückgang bereits ein halbes Jahr früher begonnen als in Österreich, nämlich bereits im zweiten Quartal 2008 - was auf die Konjunktur-Sensibilität der dort den Export dominierenden Investitionsgüter industrie zurückzuführen ist.
Gerade bei einem Einkommensrückgang in allen Ländern ist in Österreich ab dem Sommerhalbjahr 2009 mit einem merklichen Rückgang des Ausländerfremdenverkehrs zu rechnen; schon jetzt erleben in Wien nicht wenige der gehobenen Restaurants einen Geschäftsrückgang.
Eine höhere Zahl von Neupensionierungen
Wie komme ich zu der Behauptung einer "massiven Besserstellung der nicht mehr arbeitenden Bevölkerung"? Ich summiere, wie erforderlich, einen vorsichtig geschätzten durchschnittlichen realen Einkommensabfall von 3 Prozent und die drastische Überschätzung der wahrscheinlichen Inflationsrate des Jahres 2009 durch Bundeskanzler Faymann (von ihm veranschlagt mit 1,9 Prozent, in verlässlichen internationalen Statistiken hingegen nur 0,8 Prozent).
Ich bedenke weiters, dass bei schlechter Konjunkturlage Neupensionierungen sicher zunehmen werden (zumal bei der hierzulande gängigen Feststellung einer "Invalidität" durch das Gutachten eines einzigen, weitgehend frei zu wählenden Arztes), veranschlage aber die relative Zunahme der Pensionistenzahlen lediglich mit einem Prozent.
Dann ergibt sich, dass dem Bundeskanzler zufolge gerade die nicht mehr Arbeitenden eine relative Steigerung ihrer Einkommen um volle 5 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der Österreicher erhoffen sollen. Und das, nachdem im Vorjahr die Pensionen relativ stark und dann - in Einlösung eines Wahlversprechen im Herbst - nochmals erhöht wurden.
Freilich würde eine solche massive relative Besserstellung der nicht untypischen Haltung vieler österreichischer Pensionisten und ihrer Vertreter entsprechen, dass gerade sie keinesfalls Einkommenseinbußen erleiden dürften.
Dabei wird gern Folgendes vergessen: Das gegenwärtige Pensionsantrittsalter liegt bei rund 58 Jahren (und wird heuer wohl eher sinken). Nach verlässlicher Prognose wird die Lebenserwartung von Männern in Kürze 86 Jahre betragen. Das ist die Lebenserwartung, die für die jetzt in die Pension eintretenden Männer gilt.
Somit wird die durchschnittliche Pensionsdauer 28 Jahre (!) betragen, also gut doppelt so lang sein und die Allgemeinheit finanziell doppelt so sehr belasten wie die 12 bis 14 Jahre Pensionsdauer, auf die hin unser derzeitiges Pensionssystem berechnet ist.
Und da soll noch nach Bundeskanzler Faymann eine 5 Prozent stärkere Steigerung der öffentlichen Pensionen als die der Durchschnittseinkommen für 2009 erfolgen. Das berücksichtigt aber noch nicht, dass die gemessene Inflationsrate in Wahrheit die relevante Inflation um etwa ein Prozent überschätzt.
Denn Qualitätssteigerungen werden bei ihrer Berechnung unterschätzt, besonders rasch billiger werdende neue Güter sind in ihr noch nicht enthalten, und die stete Verlagerung des Konsums weg von sich besonders verteuernden Gütern fehlt in der Inflationsberechnung mit festen Mengengewichten.
Die Pensionisten werden also beim Vorschlag des Kanzlers um mindestens 6 Prozent gegenüber allen anderen bessergestellt. Und die sich in nobler Zurückhaltung eine Nulllohnrunde verordnenden Abgeordneten werden in Wahrheit gegenüber der Allgemeinheit um 3 Prozent gewinnen.
Bei Schrumpfung des Sozialprodukts schneiden auch Beamte mit ihren festen Gehältern bevorzugt ab, sodass für einen Ökonomen etwa die Klagen der Lehrer über zugesonnene Mehrarbeit bei gleichbleibendem Einkommen nicht nachvollziehbar sind - abgesehen davon, dass bestimmte Berufsgruppen oder vielleicht auch nur ihre Interessenvertreter sich eben stets benachteiligt fühlen. Da wird man doch an das Motto eines ehemaligen hochrangigen Vertreters von Wirtschaftsinteressen erinnert, das da lautete: "Lerne klagen, ohne zu leiden!"
Japan: Hausbau-Boom und Zombie-Banken
Der derzeit vielzitierte amerikanische Ökonom Robert Shiller spricht von der Weltwirtschaftskrise, in der wir uns befinden und von ihren Folgen als von einer L-förmigen Sozialproduktentwicklung: erst scharfer Abfall und dann lange kein nennenswerter Aufschwung, sondern ein mehr oder weniger stagnatives Dahinplätschern.
Was das bedeutet, lehrt uns die japanische Erfahrung von 1991 bis 2009, also durch volle 19 Jahre. Bis zum Jahr 2007 schien es, als ob Japan für diese 17 Jahre ein sehr mäßiges Wirtschaftswachstum von 1,25 Prozent jährlich erreicht hätte. Zwei Jahre später ist ein scharfer Abfall der bisher erfolgreichen japanischen Großindustrie zu verzeichnen, das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der 19 Jahre ist auf 0,6 Prozent abgesackt.
Ich habe immer schon - entgegen vielen, die von einem bloßen Sonderfall sprachen - die japanische Entwicklung als ein Menetekel für die USA und Europa erachtet. Und die japanischen Parallelen zur amerikanischen und europäischen Gegenwart sind erschreckend: Auch in Japan herrschte ein überzogener Hausbau-Boom in der Erwartung unaufhaltsam steigender Wohnungspreise. Dann kam ein Absturz der Bauwerte in den Großstädten, in Tokio etwa auf 40 Prozent der Boomwerte, bei Geschäftshäusern noch weit tiefer. Natürlich kam es bei vielen Haushalten, die gebaut hatten, zu "negativem Eigenkapital", also schwerer Verschuldung, so wie jetzt in den USA.
Gewaltige Eigenkapitalverluste und eine Überschuldung vieler Bauten waren in Japan typisch, wobei jedoch, genauso wie jetzt in den USA, der Staat es nicht zur Liquidation der überschuldeten Banken kommen ließ.
So entstand ein stark überbesetzter Bankensektor mit zahlreichen, sich nur als Krüppel dahinschleppenden "Zombie-Banken". Denn die Vorstellung, dass man eine "systemrelevante", aber überschuldete Bank nicht in Konkurs gehen lassen dürfe, führt stets zur Konservierung eines überdimensionierten und daher siechenden Bankensektors. Der japanische Nikkei-Aktienindex stand am Höhepunkt des Booms, am 29. September 1989, auf etwa 38.500 und steht jetzt, fast 20 Jahre später, bei 8350, also bei weniger als 22 Prozent dieses Höchstwertes - eine Warnung, was auch unseren Aktienmärkten passieren könnte.
Die japanische Konjunkturpolitik versuchte zur Wirtschaftsankurbelung immer wieder staatliche Budgetdefizite von 7, ja 8 Prozent des Sozialprodukts zu verwirklichen, doch das blieb erfolglos. Als einziger "Erfolg" resultierte die höchste Staatsverschuldung aller Industriestaaten von etwa 200 Prozent eines Jahressozialprodukts - selbst Italien, Griechenland und Belgien bringen es nur auf gut 100 Prozent.
Werden die derzeit prognostizierten 13,7 Prozent Budgetdefizit der USA und die 11,3 Prozent von Großbritannien eine andere als eine bloß hinauszögernde Wirkung zeigen?
Japan versuchte, seiner überdimensionierten Bauwirtschaft durch Straßenbau unter die Arme zu greifen - langfristig erfolglos, außer dass es jetzt in Japan Straßen gibt, deren Nutzen umstritten ist. Zielführende Infrastrukturinvestitionen setzen nämlich voraus, dass es über dem "Infra" noch eine erfolgversprechende "Struktur" gibt oder dass wenigstens eine solche bald entstehen wird. Wer verantwortlich wirtschaften will, muss die in jährlichen Zinsen auszudrückenden Erträge einer Maßnahme berechnen und beachten.
All das nachzumachen, was Japan in den letzten zwei Jahrzehnten erfolglos als Wirtschaftsankurbelung versuchte, wird auch den USA und Europa letztlich keinen Erfolg bringen.
Der Beginn einer Weltdepression
Nur müde zu belächeln ist die in unseren Nachbarländern kursierende Vorstellung, der Staat sollte jetzt Anteile an Banken und Großunternehmen aufkaufen, die er nach einigen Jahren mit Gewinn an Private weiterverkaufen würde können. Das geht von dem naiven Gedanken aus, es handle sich derzeit um einen kurzfristigen Wirtschaftsabschwung, dem bald wieder ein - vielleicht etwas mäßigerer - Boom folgen werde. Wir befinden uns vielmehr am Beginn einer Weltdepression, etwa der achten seit 1720 (damals in den führenden Ländern Frankreich und England). Werte wie vor der Krise kommen so gut wie nie mehr zurück - siehe die japanischen Aktienkurse. "Das Glück, das Glück, kommt nie mehr zurück".
Zu den Großbanken in hauptsächlich österreichischem Eigentum, insbesondere der Erste Bank, aber auch den Raiffeisenbanken, ist freilich festzuhalten, dass auf sie die berechtigte Kritik an den fast fahrlässigen internationalen Bankgeschäften keineswegs zutrifft. Sie werden vielmehr am internationalen Markt ungerechterweise deutlich unterbewertet.
So stellt das Ausland etwa das Hypothekargeschäft der Erste Bank in Rumänien auf die gleiche Stufe mit den entsprechenden Geschäften in den USA: In den USA wurden Kredite bis zu 120 Prozent eines Hauswertes und mit niedrigen Zinsen vergeben, und zwar solchen, die in den ersten beiden Jahren als "teaser rates" so niedrig angesetzt waren, dass der Schuldenstand nicht reduziert wurde, sondern weiter anstieg.
Hingegen erreichten die Belehnungen in Rumänien nur 50 Prozent, mitunter auch nur 40 Prozent des Hauswertes und trugen hohe Zinsen. In der Ukraine war von bis zu 20 Prozent jährlicher Verzinsung zu hören. Be- oder Verurteilungen von Banken haben in jedem einzelnen Fall auf die unterschiedlichen Risikolagen zu achten und nicht schlechthin von einem Durchschnitt auszugehen.
Im Durchschnitt der westlichen Welt freilich waren die sogenannten Aktivgeschäfte der Banken den jüngsten Ergebnissen nach keinesfalls "aktiv".
Entscheidend für die Beurteilung der Finanzlage ist jedoch: Im Jahr 2010 wird die Rezession noch keineswegs vorüber sein, sondern andauern. Eine Depression ist definiert als Sozialproduktrückgang über drei Jahre im Ausmaß von insgesamt 10 Prozent.
Etliche Länder, wenn freilich nicht Österreich, werden diese Marke spielend erreichen. Bei richtiger Sozialproduktberechnung - also einer solchen, die als "Verkauf" nur die Rechnungsbezahlung verbucht, nicht schon die bloße Rechnungslegung - wären diese 10 Prozent in den USA schon längst überschritten.
Peinliche Sanierungsschritte
In Österreich andererseits ist leider zu erwarten, dass das dicke Ende schrumpfender Steuerzahlung nicht bereits heuer, sondern erst 2010 in Erscheinung tritt. Das heißt, dass die Budgetdefizite im nächsten Jahr erheblich größer ausfallen könnten als heuer. "Mit der SPÖ gegen Arbeitslosigkeit kämpfen" wird in einer Exportkrise weniger als nichts bringen. Wir sind nicht mehr in den 1970er Jahren.
Ein deutlich steigendes Budgetdefizit würde den keineswegs ineffektiven Maastricht-Kriterien widersprechen. Maastricht gestattet zwar, dass Länder in Staatsbudgetdefizite höher als 3 Prozent des Sozialprodukts hineinschlittern, aber sie haben danach die Defizite jährlich zu senken.
Österreich, das spät in die Rezession eintrat, steht vor dem Problem, dass die Defizite im nächsten Jahr weiter wachsen und die Kritik und die Sanierungsauflagen der EU hereinbrechen werden. Dann erst werden die peinlichsten Sanierungsschnitte kommen müssen.
Wie kommt man aus Budgetdefiziten wieder heraus? Für die USA schlägt Jeff Madrick eine Erhöhung der Einkommensteuern um ein Zehntel, also um insgesamt 3 Prozent des Sozialprodukts vor.
Österreich hat bereits eine sehr hohe Steuerquote; eine Zusatzbesteuerung höherer Einkommen würde bei uns im Unterschied zu den USA wenig bringen, da wir eine ungewöhnlich gleichmäßige Einkommensverteilung haben.
Staatsausgabenkürzungen bei Investitionen und Wirtschaftsförderungen wären unproduktiv. Eine Reduktion der Zahl der Beamten hat sich schon bisher als wenig budgetwirksam und kaum durchführbar erwiesen. Bleibt also nur mehr, wie in jeder Weltdepression, eine Kürzung der Gehälter von Beamten und anderen öffentlich Bediensteten sowie eine Kürzung der Sozialversicherungspensionen. Was sonst in krisenhafter Budgetklemme bei Wirtschaftsschrumpfung?
Erich W. Streissler ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte.