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Bei der Diskussion über Schadenersatzzahlungen für die Opfer der Kaprun-Katastrophe (155 Tote) wird oft ein Vergleich mit den Zahlungen aus dem Flugzeugunglück der Concorde in Paris und aus dem Seilbahnunglück in Cavalese/Italien gezogen. Teilweise wird er aber abgelehnt - mit der Begründung, dass bei diesen beiden Unfällen jemand vorhanden sei, den eine konkrete Schuld treffe. In Kaprun sei dies nicht so.
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Unabhängig vom Ausgang des Berufungsverfahrens gegen das Urteil I. Instanz (Freisprüche für alle 16 Angeklagten) erhebt sich jedoch die gewichtige Frage, ob nicht auch den Gesetzgeber, also die Republik Österreich, ein großes Maß an Mitschuld am Unglück trifft. Ich bin überzeugt, dass dies der Fall ist. Und zwar deshalb, weil die Republik ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist, entsprechende Verordnungen und Gesetze zur Sicherheit der Passagiere in Standseilbahnen mit Tunnel wie in Kaprun zu erlassen. So fehlen Verordnungen oder Gesetze, mit denen für den 3,3 km langen Tunnel der Standseilbahn Kaprun Sicherheitsvorschriften erlassen worden wären, die die Katastrophe verhindert hätten. So besteht keine Verordnung und kein Gesetz wonach
1. eine Fluchttreppe für 180 Passagiere in einem Tunnel breiter als 60 cm sein muss,
2. im Tunnel eine Notbeleuchtung vorhanden sein muss,
3. Feuerlöscher für Passagiere zugänglich in jedem Zugabteil vorhanden sein müssen,
4. eine Sichtverbindung zwischen Zugbegleiter und Fahrgästen möglich sein muss,
5. eine Sprechverbindung zwischen Zugbegleiter und Fahrgästen möglich sein muss,
6. Nothämmer zum Einschlagen der Fenster vorhanden sein müssen,
7. im Notfall die Türen von innen zu öffnen sein müssen,
8. regelmäßig Evakuierungsübungen auch bei einem mit Schifahrern vollbesetzten Zug durchgeführt werden müssen.
Aufgabe vernachlässigt
Die obigen 8 Punkte sind derartig banal, simpel und für jeden Menschen mit Hausverstand erkennbare Voraussetzungen, um die Sicherheit der Passagiere in der Standseilbahn zu gewährleisten. Dazu bedarf es keiner besonderen Fachkenntnis. Deshalb sind diese Punkte teilweise auch Gegenstand der strafrechtlichen Vorwürfe. Unabhängig davon wäre es jedoch unbedingt Aufgabe der Republik gewesen, durch Verordnungen oder Gesetze die obigen Sicherheitsbestimmungen zwingend zu verlangen.
In anderen Bereichen nimmt die Republik den Regelungsbedarf sehr ernst: So gibt es eine eigene Verordnung über die Uniformen der Spanischen Hofreitschule mit sechs Seiten Abbildungen von Uniformfrack, Hirschlederhose, Stulpenstiefel, Sporen, Uniformmantel, etc. (BGBl. 1976/635), weiters eine eigene "Uniformschutzverordnung" mit sieben Seiten Abbildungen der Dienstmützen für Bundespolizei und Gendarmerie in Form von Barett, Tellerkappe, Sommerkappe, Mütze, etc. (BGBl. 2004/II/529).
Der Vergleich ist nicht skurril. Wenn es die Republik tatsächlich für erforderlich hält, Verordnungen über die Gestaltung von Uniformen zu erlassen, dann wäre es umso wichtiger, auch einige Seiten für Verordnungen über die Sicherheit von Standseilbahnen zu verwenden, um im Fall einer Störung oder eines Unglücks nicht 155 Tote beklagen zu müssen. Uniform und "Amtskappl" dürfen nicht wichtiger sein als die Sicherheit der in- und ausländischen Gäste in den österreichischen Standseilbahnen. Das Verkehrsministerium hat hier im Hinblick auf seine Aufsichtspflichten versagt, und deshalb haftet auch die Republik.
* Dr. Ivo Greiter ist Anwalt in Innsbruck. Er vertritt zahlreiche Angehörige von Opfern des Kaprun-Unglücks vor Gericht