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Warum die Volkspartei ein fröhlicher Verlierer ist

Von Simon Rosner

Politik

Von den herben Verlusten der ÖVP profitierte eine nur in Tirol antretende Partei am meisten.


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Dass die Landtagswahl in Tirol, die erste seit dem Abschied von Sebastian Kurz, der ÖVP einen Schlag versetzen wird, war aus den Umfragen bereits herauszulesen. Die Frage war nur, ob es eine Ohrfeige samt blauem Auge oder ein echter Nackenschlag werden würde. Mit 34,6 Prozent ist es nun Ersteres geworden, Spitzenkandidat Anton Mattle vollführte eine Punktlandung bei seinem Wahlziel "34 Prozent und mehr". Bei der ersten Hochrechnung brach in der Parteizentrale Jubel aus. Das irritierte doch, denn es handelte sich um das mit Abstand schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Volkspartei in Tirol, die nur 2013 unter 40 Prozent blieb und dies damals hauchdünn. Jetzt ist diese Marke in weiter Ferne.

Allerdings stand für die ÖVP viel mehr auf dem Spiel. Selbst der Verlust des Landeshauptmanns schien vor einigen Wochen eine Bedrohung, wenn auch mit einer geringen Wahrscheinlichkeit versehen. Aber allein der Gedanke daran muss bei der Volkspartei, die 2013 noch die Absolute in Tirol stellte, ein Frösteln ausgelöst haben. Nun gehen sich sogar zwei Zweiervarianten für die ÖVP aus (mit FPÖ und SPÖ) sowie eine Fortsetzung der bisherigen Koalition mit den Grünen, wenn man nach dem Salzburger Vorbild die stets regierungswilligen Neos (oder die Liste Fritz) inkludiert. Diese Varianten sind zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber für Regierungsverhandlungen ist es immer günstig, mehr Optionen zu haben.

Eine Partei unter Stress

Die Sorge vor einem Totalabsturz hat nicht nur die Tiroler Volkspartei beschäftigt, sondern auch andere Landesorganisationen sowie die Bundespartei unter Obmann Karl Nehammer. Seit einem Jahr steht die Partei unter enormen Stress, wie erst jüngst wieder beim Rücktritt inklusive böser Abschiedsworte von Generalsekretärin Laura Sachslehner zu sehen war. Ein wichtiger Kitt für diese Partei war und ist das Regieren, auf Bundes- wie auf Landesebene. Er hält die Fliehkräfte im Zaum, die in der Volkspartei schon aus strukturellen Gründen erheblich sind und seit dem Rückzug von Kurz nicht geringer geworden sein dürften.

Und dann sind da noch die multiplen Krisen der vergangenen Jahre. Regierende können zwar zu Beginn einer Krise manchmal profitieren, wie etwa auch die ÖVP im März 2020, anfangs der Pandemie. Doch dauern solche Krisen länger an, entlädt sich bei Wahlen nicht selten der Frust darüber, der sich meist an Regierende richtet. Dieser Faktor ist auch kaum zu steuern. Weder die Inflationsrate doch die Höhe der Corona-Wellen wird in Wien und schon gar nicht in Innsbruck entschieden. Der höhere Wahlbeteiligung gegenüber 2018 zeigte aber auch, dass die ÖVP offenbar mobilisieren konnte. Sie verlor zwar deutlich Stimmenanteile, konnte aber den tatsächlichen Verlust von Wählerinnen und Wähler in Grenzen halten. Das erklärt wohl auch die kollektive Erleichterung in den Reihen der ÖVP, die sich am Sonntag in einem Jubel über das schlechteste Wahlergebnis in Tirol aller Zeiten Bahn brach.

Grünen als große Verlierer

Die reale Auswirkung dieses Wahlergebnisses ist für die Grünen dramatischer. Sie werden aller Voraussicht nach aus der Regierung fliegen, und der Ökopartei droht dies nach der nächsten Nationalratswahl wohl auch im Bund. In Salzburg und Vorarlberg ist die Regierungsbeteiligung zwar besser abgesichert, aber der große Schwung, der die Grünen zwischenzeitlich landesweit in fünf Regierungen bugsierte, dürfte vorbei sein. Bei den Grünen herrschte an diesem Wahlabend sehr gedämpfte Stimmung, viel mehr als bei Mattle, der Platz eins sehr deutlich verteidigen konnte.

Das von der FPÖ ausgerufene "Duell um Tirol" hat so nicht stattgefunden. Vielleicht auch, weil es Wähler der Volkspartei eher mobilisierte als jene der Blauen? Doch erstmals Platz zwei in Tirol und zudem knapp dran am bisher besten Abschneiden 1999 (19,6 Prozent), als noch Jörg Haider die Partei lenkte, stellt für die Freiheitlichen einen Erfolg dar. Anders als Oberösterreichs Chef Manfred Haimbuchner ist der Tiroler FPÖ-Parteichef Markus Abwerzger ein Fan von Herbert Kickl, in seinem Auftreten und seiner Rhetorik agiert aber viel gemäßigter als der Parteiobmann. Für die FPÖ war die Tirol-Wahl daher auch ein Gradmesser, ob und wie gut eine Doppelstrategie funktioniert. Ergebnis: offenbar sehr wohl, zumal die ebenfalls Corona-Maßnahmen-kritische MFG deutlich am Einzug in den Landtag scheiterte.

SPÖ gewann kaum dazu

Der größte Wahlgewinner auf der Oppositionsbank war die nur in Tirol antretende Liste Fritz. Das ist auch deshalb beachtlich, da die Bundespolitik beim Absturz der ÖVP zweifellos eine gewisse Rolle spielte. Allerdings konnte keine bundesweit vertretene Partei so stark vom Minus der Volkspartei profitieren wie die Liste Fritz. Das könnte ein Signal an die Parteizentralen in Wien sein, dass die Attraktivität der Opposition im Nationalrat derzeit auch begrenzt ist – und es könnte neue Parteien bestärken, es bei der nächsten Nationalratswahl zu versuchen.

Das Plus der SPÖ fiel am Sonntag doch sehr schmal aus, zudem ging Platz zwei zum zweiten Mal nach 2008 verloren, diesmal an die FPÖ. Die Roten müssen sich wohl die Frage stellen, ob angesichts der enormen Teuerung, die die soziale Frage in den Vordergrund rückt, der Zugewinn nicht größer hätte ausfallen müssen. Der Abstand zu den Freiheitlichen wurde im Verlauf des Abends größer, in der Landeshauptstadt Innsbruck gingen sogar rund vier Prozentpunkte verloren. Das eher maue Ergebnis könnte dennoch in eine Regierungsbeteiligung münden, was das erklärte Ziel von Parteichef Georg Dornauer war. Ähnlich die Neos, die sich zwar stabilisierten, aber von den Verlusten der ÖVP kaum profitieren konnten. Auch das ist für die Volkspartei ein positives Ergebnis der Tirol-Wahl mit Strahlkraft bis nach Wien. Denn obwohl die Partei derzeit in massiven und multiplen Schwierigkeiten steckt, kann die Konkurrenz derzeit nur bedingt profitieren.