)
Am Sonntag könnte Sebastian Kurz einen Rekord aufstellen. Der Abstand zwischen Platz eins und zwei könnte groß sein wie nie zuvor. Und trotzdem ist völlig unklar, wie es danach weitergeht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kurz vor dem Vorausblick ein kleiner Rückblick auf das Jahr 1990. Damals lief alles auf ein knappes Duell um den ersten Platz zwischen SPÖ und ÖVP hinaus, mit Vorteilen für die SPÖ, die in Franz Vranitzky auch den Kanzler stellte. Für die ÖVP war Josef Riegler ins Rennen gegangen. ÖVP-Generalsekretär Helmut Kukacka sprach wenige Wochen vor dem Urnengang sogar von einem "Kopf-an-Kopf-Rennen". Bei der Wahl am 7. Oktober trennten dann 10,71 Prozentpunkte die SPÖ von der ÖVP. Nie davor und nie danach war der Unterschied zwischen Platz eins und zwei so groß, nicht unter Bruno Kreisky 1979, nicht unter Wolfgang Schüssel 2002.
Der Rückblick ist deshalb relevant, weil Sebastian Kurz den Vranitzky-Rekord diesmal brechen könnte. Und doch ist völlig unklar, wie es danach weitergeht. Die sich bietenden Möglichkeiten unterscheiden sich dabei beträchtlich. Koaliert Kurz erneut mit der FPÖ, wäre dies ein inhaltlich wie stilistisch völlig anderer Weg, als ihn eine ÖVP-Grünen-Neos-Koalition beschreiten würde. Das macht diese Wahl so speziell. 1994 etwa hatten sowohl SPÖ als auch ÖVP eine Koalition mit der Haider-FPÖ ausgeschlossen, die Sozialdemokraten sind im Bund auf dieser Linie geblieben.
Natürlich werden bei einer Nationalratswahl Parteilisten und nicht Koalitionen gewählt. Das ist aber nur verfassungsrechtliche Theorie. Denn dass Koalitionsvarianten in den Entscheidungen von Wählerinnen und Wählern eine Rolle spielen, ist evident. Diesmal zog sogar eine Partei, nämlich die FPÖ, mit einer ganz klaren Koalitionsansage in den Wahlkampf. Die gebeutelte FPÖ versuchte so, von den stets guten Umfragewerten der türkis-blauen Regierung zu profitieren. Das Argument der Freiheitlichen: Nur eine Stimme für die FPÖ würde eine Neuauflage dieser Koalition ermöglichen, da "ohne uns Kurz nach links kippt". So stand es auch auf den FPÖ-Plakaten.
Andere Parteien legten sich zwar nicht fest. Doch alle warnten jedenfalls vor aus ihrer Sicht unheilvollen Allianzen. So baute die ÖVP zunächst eine rot-blaue Drohkulisse auf, übermalte diese dann umfragebedingt rot-grün-pink. Für die SPÖ wiederum war immer schon klar, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung weitergeführt werde, und die Neos warnten zuletzt vor einem "Rückfall in eine türkis-rote Koalition des Stillstands". Und die Frage der Koalition ist ja auch zweifellos wichtig. Für die SPÖ war es etwa bisher wahlstrategisch wichtig, klarzustellen, dass eine Stimme für die Sozialdemokratie nicht zu Rot-Blau führen werde.
Für die Grünen, die diesmal vermutlich aus mehreren Richtungen Stimmen bekommen werden, ist das Thema Koalition auch heikel. Werner Kogler war um größtmögliche Distanz zu Kurz bemüht. Er versuchte, zwischen Schwarz und Türkis zu differenzieren. Denn mit Schwarz koalieren die Grünen ja im Westen Österreichs seit Jahren, eine Zusammenarbeit mit Türkis im Bund wäre aber vor allem für die Grünen in Wien, die bald eine eigene Wahl schlagen müssen, eine große emotionale Herausforderung.
Strategisches Wählen ist diesmal schwierig. Vor zwei Jahren, als Sebastian Kurz die ÖVP übernahm und danach die Zusammenarbeit mit der SPÖ beendete, war ziemlich klar, dass eine weitere Auflage der großen Koalition extrem unwahrscheinlich sein würde. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand zwar der Kampf um Platz eins und damit der Farbenwechsel im Kanzleramt. Doch wer Kurz damals wählte, musste damit rechnen, dass es auf Türkis-Blau hinauslaufen würde. Das ist diesmal anders. Welche Koalition man mit einer Stimme für die ÖVP bekommen wird, ist völlig offen. Vielleicht weiß dies nicht einmal Sebastian Kurz selbst.
Was erhält man nun, wenn man eine der antretenden Parteien wählt und sie damit stärkt? Wenn die ÖVP am Wahltag ordentlich zulegt, wird gegen die Volkspartei keine Regierung gebildet werden können. Dann erhält man jedenfalls Kurz wieder als Kanzler - sofern nicht alle Koalitionsverhandlungen scheitern und es sofortige Neuwahlen gibt.
Was dieKreuze bedeuten
Ein Kreuz bei der ÖVP würde Kurz und seine Forderungen auch inhaltlich unterstützen; egal, ob sie echte Wahlmotive sind. Das betrifft seinen restriktiven Migrationskurs sowie das Thema Steuersenkungen. Mit 37 Prozent würde die ÖVP ganz anders in Koalitionsverhandlungen gehen können als bei einer prozentualen Stagnation. Doch gerade die strikte Migrationslinie könnte bei einer Dreier-Koalition mit Pink und Grün ein Knackpunkt werden. Doch sollte Kurz diese Linie verlassen, wenn die ÖVP deutlich zulegt?
Wenn die SPÖ am Wahltag über den Umfragen liegen sollte, dann ist den Roten vor allem eine blamable Niederlage erspart geblieben. Hoch gewinnen wird es die SPÖ nicht mehr, das hat auch schon Ex-Kanzler Christian Kern orakelt. Freilich, rasend erfolgreich war auch er nicht. Und das trotz hoher Sympathiewerte und Kanzlerbonus. Sollte die SPÖ veritabel verlieren, würde das wohl nicht einmal als persönliche Niederlage Pamela Rendi-Wagners, der ersten weiblichen Vorsitzenden der SPÖ, interpretiert werden, sondern vielmehr als endgültiges Aus des Kern-Flügels. Dass es erneut zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen dürfte, ist dann anzunehmen. Und auch, dass die Gewerkschaft danach wieder etwas mehr mitreden wird.
Doch auch bei einem roten Erfolg wäre es schwer, Inhaltliches aus dem SPÖ-Resultat herauszulesen. Das war beim Wahlerfolg Alfred Gusenbauers 2006 noch anders, damals fand nach sechs Jahren Schwarz-Blau doch wieder eine Hinwendung zu sozialen Themen statt. Diese Dynamik ist derzeit aber nicht in Sicht.
Mit einer Ausnahme: den Grünen. Selbst wenn die Grünen nicht Teil der kommenden Regierung sein sollten, müsste sich diese mit dem Thema Klimawandel intensiv auseinandersetzen. Zwar nicht nur wegen des grünen Comebacks, sondern auch aus einer Notwendigkeit heraus. Doch sollten die Grünen ihr bestes Ergebnis einfahren, wäre der Druck auf die nächste Regierung bei diesem Thema sicher ein anderer.
Bei zwei anderen Parteien gibt es mehr Fragezeichen. Vor einigen Wochen noch hätte eine Stärkung der FPÖ wohl tatsächlich die Chance auf Türkis-Blau erhöht. Kurz hätte es dann leichter argumentieren können. Das ist jetzt anders. Auch wenn die FPÖ deutlich über 20 Prozent kommen sollte, würde das die Chance auf Türkis-Blau nicht automatisch erhöhen. Und es ist auch unklar, wer sich dadurch gestärkt fühlen könnte. Hofer? Kickl? Oder sogar Strache?
Die zweite Partei mit Fragezeichen sind die Neos. Die Pinken sind zwar eine kleine Partei, aber eine mit gestalterischem Anspruch. Die Neos wollen regieren. Und auch ihre Wähler wollten das stets. Und zwar anders als Rot und Schwarz seit Jahrzehnten regieren. Doch gerade in dieser Legislaturperiode haben sich die Neos als Oppositionskraft hervorgetan, als Kontrollpartei, als Transparenzpartei. Daher gäbe es auch bei den Neos ein Fragezeichen: Will die Wählerschaft ihr Mitwirken in einer Regierung oder stärkt man die Neos in ihrer Oppositionsrolle?
Willst du diesen Inhalt sehen? Gib den anderen Cookies grünes Licht.