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Warum die Wähler lieber Denkzettel verteilen, als an Europa zu denken

Von Georg Friesenbichler

Analysen

In der Slowakei war es die Partei von Ministerpräsident Robert Fico, welche die EU-Wahl gewonnen hat - eine Ausnahme von der sonst weitgehend bestätigten Regel, dass bei Europawahlen die Regierenden abgestraft werden. In der Slowakei gab es sogar eine Steigerung der Wahlbeteiligung - auf immer noch bescheidene 19,8 Prozent, nachdem das Land 2004 mit 17 Prozent das Schlusslicht Europas gebildet hatte.


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Ansonsten hat sich das Desinteresse der Europäer an der Wahl kaum verändert - obwohl das EU-Parlament, das dabei besetzt wird, in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und es bei Inkrafttreten des Reform-Vertrages von Lissabon noch einmal gestärkt werden würde. Das wurde aber kaum registriert - weder von den Bürgern noch von den nationalen Parteien. Für viele gilt noch immer die alte Formel: "Hast du einen Opa, so schick ihn nach Europa." Politiker, die auf der Heimatbühne nicht reüssierten oder die unliebsam geworden sind, werden nach Brüssel abgeschoben. Und es wird kaum wahrgenommen, dass diese dort teilweise durchaus beachtliche Arbeit leisten.

Das komplexe Zustandekommen von europäischen Regeln ist freilich nicht auf einfache Formeln zu bringen. Daher haben es jene leichter, die sich auf populistische Schlagworte beschränken. Der österreichische Rechtsaußen Andreas Mölzer hat deutlich ausgesprochen, welche Zielgruppen seine FPÖ ansprechen will: diejenigen, die Fehlentwicklungen in der EU orten, und diejenigen, die mit der Regierungspolitik unzufrieden sind. Mölzer forderte die Wähler wörtlich auf, einen "Denkzettel zu setzen".

Solche Appelle verfangen europaweit in Wahlkämpfen, die sowohl von den Bürgern als auch von der Politik als zweitrangig eingestuft werden, besonders leicht. Viele protestieren mit Wahlenthaltung, wodurch anderen Protestierenden - fremdenfeindlichen Gruppen wie auch Kleinparteien - größere Bedeutung zukommt.

Es geht eben nicht, wie im Herbst in Deutschland, Portugal oder Bulgarien, um das nationale Parlament, es geht nicht um die Regierung eines Landes. Ja, es geht überhaupt nicht um eine Regierung. Die Zusammensetzung der EU-Kommission, die damit vergleichbar wäre, ist de facto nicht durch demokratische Vorgänge zu beeinflussen.

Viele Beobachter deuten dies als entscheidendes Manko der Europa-Wahl, sind doch die Bürger gewohnt, dass sie über Entscheidungsträger abstimmen sollen. Im EU-Parlament geht es bestenfalls um Mitbestimmer. Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble hat als Ausweg vorgeschlagen, dass die Europäer einen EU-Präsidenten direkt wählen sollten. Bevor der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, gibt es freilich noch nicht einmal das Amt eines solchen Präsidenten.