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Warum diese Schmerzen?

Von Herbert Lackner

Gastkommentare
Herbert Lackner war von 1992 bis 2015 Chefredakteur von "profil" und ist jetzt freier Autor.

Werner Faymann hat den richtigen Zeitpunkt seines Abgangs versäumt.


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Man musste kein enger Freund des Kanzlers sein, um an diesem denkwürdigen 1. Mai Mitgefühl für ihn zu empfinden. An einem so hohen Feiertag von eigenen Leuten - und es waren nicht wenige - vom Podest gepfiffen zu werden, ist ein traumatisches Erlebnis. Hätten nicht schon zuvor hundert Delegierte während der Kanzler-Rede am Wiener SPÖ-Parteitag den Saal verlassen, hätte inzwischen nicht schon fast jeder aus der SPÖ-Nomenklatura sein Missbehagen ausgedrückt und wären die Wahlergebnisse nicht gar so katastrophal - die Buhrufe vom Rathausplatz ließen sich als Ungezogenheit einiger Jusos abtun.

Aber das Unbehagen hat längst die Funktionäre in den Sektionen und Bezirken erreicht. Selbst aus der Gewerkschaft hörte Werner Faymann kein gutes Wort mehr. Den Schlussstein setzte am Wochenende der bullige Baugewerkschafter "Beppo" Muchitsch, ein Faymann-Getreuer reinsten Wassers, der seinem Freund in einem "profil"-Gastkommentar das Gehen nahelegte: "Werner, bitte lass los!"

Das Loslassen hatte Faymann da schon lange versäumt. Das ist schwer verständlich. Gerade ein Mann wie er, der sein ganzes Leben in der Politik verbracht hat (übrigens eine seiner Schwachstellen), hätte den richtigen Zeitpunkt erahnen können wie damals Franz Vranitzky im Jänner 1997. Vranitzky, der in seiner besten Zeit Popularitätswerte erreichte, die jenen Bruno Kreiskys nahekamen, hatte nach seinem Wahlsieg 1995 erkannt, dass er diesen nicht werde wiederholen können. Darum ging er und ist bis heute ein hochangesehener Mann.

Faymann hätte früher erkennen müssen, dass eine Partei ihrem Vorsitzenden vieles verzeiht, aber keine Serie von 19 Wahlniederlagen, auch wenn er diese natürlich nicht alle selbst verschuldet hat. Aber er war der Chef. Von ihm konnte man eine Antwort auf die Frage erwarten, wann denn der Absturz der ehedem so stolzen Partei enden würde.

Vielleicht haben andere auch keine Patentantwort - Faymann hatte jedenfalls sicher keine. Möglicherweise hätte ihm ein wenig mehr Mut geholfen. Aber misstrauisch und ständig Gefahren witternd umgab sich der Kanzler schon lange nur noch mit Vertrauten, die ihn schon seit Jahrzehnten begleiten und damit seinen sehr strengen Treueerwartungen genügen. Hermetisch schloss er sich damit auch gegen neue, vielleicht brauchbare Ideen ab, wie man heute Politik angehen könnte.

Hat er darüber nachgedacht? Wahrscheinlich oft. Umso mehr frappiert es, dass er diesen Nachdenkprozess nie mit der Öffentlichkeit teilte: Warum schrieb er in seinen acht Kanzlerjahren nie ein Buch - und sei es mit maßgeblicher Unterstützung eines Berufsschreibers - und reflektierte darüber? Warum rang er sich nicht wenigstens ab und zu einen Artikel ab? Warum suchte er nie Rat bei Unbequemen von außen? Warum stellte er keine interessanten Diskussionsrunden zusammen? Warum hatte man bisweilen den Eindruck, dass ihm Liesing genüge?

Es ist leichter, eine hohe Position in der Politik zu erreichen, als unverletzt aus ihr abzutreten.

Faymann war dieses Schicksal, wie vielen seiner Vorgänger, nicht vergönnt. Ob man seine Regierungsjahre dereinst ein "Ära" nennen wird, ist noch nicht entschieden.