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Warum ein bedingungsloses Grundeinkommen gut für die Gesellschaft sein könnte

Von Ilse Kleinschuster

Gastkommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Was brauchen Menschen unbedingt?", lautete jüngst der Titel einer Veranstaltung der "Wiener Zeitung" und die Diakonie Österreich im Rahmen der Diskussionsreihe "future ethics. Diskursraum der offenen Gesellschaft". Wie zu erwarten, war man sich im Publikum mehrheitlich einig, dass ohne lokales Handeln globales Denken folgenlos bleibt und ohne globales Denken lokales Handeln orientierungslos.

In diesem Kontext kam es schnell zur Frage eines universellen Grundeinkommens. Weltweit verstärkt sich die Kluft zwischen Reichen und Armen, zwischen Macht und Ohnmacht. Warum? Finanzprobleme vernebeln das eigentliche Problem: das Machtproblem. Es geht zunehmend um Aufrüstung, aber auch um die Zerstörung der Öko-Sphäre, insbesondere aufgrund der Produktions- und Konsummaschinerie der Industrieländer, eines ökonomischen "Expansionismus".

Aktuelle Hungerkatastrophen in vielen Ländern der Dritten Welt - wachsendes Elend wird auch in den reichen Ländern des Nordens zunehmend sichtbar. Großtechnische Systeme sind nicht geeignet, dem Wunsch, allen Menschen ein "gutes Leben" zu ermöglichen, nachzukommen. Sie erhöhen eher die Gefahr der Bildung von lebensfeindlichen Machtpotenzialen und das Risiko menschlichen Aneignungs- und Bemächtigungsdrangs. Die Menschen geraten zunehmend in seelisch bedrohliche Zustände.

Die Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten

Die Mechanismen eines kapitalistischen Weltmarkts sind offensichtlich nicht geeignet, all jenen Unterprivilegierten, die auch essen und sinnvoll tätig sein wollen, die auch menschengerecht wohnen und sich bilden und medizinisch versorgt sein wollen, dies zu ermöglichen - es sei denn durch massive Steigerung des quantitativen Wachstums in diesen Ländern. Hier stoßen wir aber auf die Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten. Eine Frage, die in Anbetracht der wachsenden Erdbevölkerung, der Zuwachsraten der Vernutzung von fruchtbaren Böden, Rohstoffen und Energie kaum zu beantworten ist.

Die Frage muss also lauten: Gestehen wir dem Rest der Erdbevölkerung menschenwürdige Lebensbedingungen zu? Wenn wir dies nicht tun, heißt das, dass wir sie mit Gewalt an der Nachahmung unserer Wirtschafts- und Lebensweise hindern müssten? Tun wir dies nicht, würde dies bedeuten, dem quantitativen Wachstumsprozess weltweit freien Lauf zu lassen. Im Sog eines wissenschaftlich-technischen und industriellen Wachstums vollzieht sich ja bereits eine Vielfalt unkontrollierter, in sich verzahnter Wachstumsprozesse: das Wachstum der Zerstörungsgewalt durch Waffen, der Umweltzerstörung, des Rohstoff- und Energieverbrauchs, der Müllhalden und der Abfalldeponien, der Ballungsräume und der Gefährdung durch großtechnische Systeme, der psychischen und sozialen Belastungen einer Weltbevölkerung. Diesem Megawachstumsprozess keine Grenzen zu setzen, würde mit Sicherheit zur Zerstörung der biologischen Grundlagen der Menschheit führen, zu einer Zerstörung der Öko-Sphäre. Wollen wir das?

Was diesbezüglich erregt (und mehr erregen sollte), ist die Tatsache, dass wir immer weniger in der Lage sind, ökologische, ökonomische und technische Prozesse zu steuern. Regierungen aller Staaten reagieren mit nachträglichen Grenzziehungen und Schadensminimierung im Sinne des Kurierens von Symptomen. Durch internationale Entwicklungen werden einzelnen Staaten immer mehr Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten entzogen. Der Ablauf der Ereignisse wird zu einem großen Teil bestimmt durch die Macht verketteter Teilsysteme der Innovationen in der Wissenschaft, Technologie und Ökonomie.

Es fehlt der politische Steuerungsrahmen

Die Selbstzerstörung der Weltgesellschaft wird nicht gewollt von irgendwelchen "bösen Mächtigen"; das vorherrschende Handeln aller führt systemrelevant zu dieser wachsenden Zunahme der Zerstörung. Das individuelle Handeln ist durch die herrschenden gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen bedingt. Individuelles Nutzenkalkül basiert auf planerischem Überlegen im Sinne eines Zweck-Mittel-Denkens. Es geht jedem Einzelnen um (Macht-)Behauptung mit allen Mitteln, wobei oft ethische Überlegungen nicht ausgeschlossen sind.

Eine der chancenreichsten Antworten auf die vielen aktuellen Probleme sehen wir in der Bildung von Strukturreform-Allianzen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen mit emanzipatorisch-humanistischem Charakter könnte einen qualitativen Wandel der gesellschaftlichen Strukturen herbeiführen. Zusammen mit der Tendenz zu mehr Selbstbesinnung und Widerstandskraft vieler Menschen könnte es zu einer Veränderung nicht nur des menschlichen Verhaltens, sondern auch der gesellschaftlichen Verhältnisse führen. Durch zunehmende Kommunikation würden Konflikte nicht länger verdrängt, sondern auf rechtsstaatlicher Ebene ausgetragen. Konfliktdynamik in Gang zu setzen, in der nicht nur klargestellt wird, für wen, sondern auch gegen wen Position zu beziehen ist und welche Strukturen zu ändern sind - dabei stets den Anspruch ethischen Engagements im Blick -, wäre eine primäre Voraussetzung zum Wandel, zur großen Transformation.

Die Wirtschaft muss sich der Ökologie unterwerfen

Welche Kategorien sollen für ein ethisches Denken und Handeln, dessen Paradigma der öko-soziale Umbau ist, Vorrang haben? Diese Frage ermöglicht es, Wahlmöglichkeiten präziser und entschiedener wahrzunehmen: Wo ist unser Platz in der jeweiligen Entscheidungssituation? Was ist zu verändern? Wer ist für uns, wer gegen uns, welche Einwände sind zu erwarten? Ein solches Unterfangen sollte zumindest eine gesellschaftliche Dynamik von unten her, gepaart mit öffentlicher Verbindlichkeit einer demokratisch legitimierten Macht, entwickeln. Eine verbesserte Version der Europäischen Bürgerinitiative könnte dies ermöglichen.

Wollen wir einen öko-sozialen Umbau beschleunigen, so müssen wir bedenken, dass Menschen, die dank einer teilweisen Entlastung von der Erwerbsarbeit ihr Leben stärker auf Eigenarbeit und im primären Sozialsystem ausrichten - und somit oft mehr Fähigkeits- und/oder Sinnzuwachs ihres Lebens erfahren als solche, die aus dem "Laufrad" nicht hinausfinden -, im Bereich des sekundären Sozialsystems (Markt, Großindustrie, Verbände, Staat) eine andere Rolle spielen können. Sie werden aufgrund ihrer Selbständigkeit, ihrer Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und zu kooperieren, ihrer Lern- und ihrer Konfliktlösungsbereitschaft, vielleicht eher Möglichkeiten zu menschengerechteren Konfliktlösungen finden.

So gesehen wäre eine Verzahnung der beiden Bereiche für das Gelingen eines öko-sozialen Umbaus von großer Bedeutung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte hier stark zu Flexibilisierung beitragen; statt das Warten auf Subventionen oder sonstige Ansprüche von "Vater Staat" könnte es unternehmerisches und/oder frei-gewerbliches Handeln fördern - ja, es könnte auch einen "Wettbewerb" um alternative Lösungen und Wege auslösen. Darüber hinaus würde die Anhebung der Einkommen durch das Grundeinkommen (in den untersten und unteren Mittelschichten) die Nachfrage vor allem an Gütern des elementaren Lebensbedarfs verändern. Produkte könnten nachgefragt werden, die als Produktionsmittel im Bereich der Eigenarbeit wie der primären Sozialsysteme nützlich sind. Dies könnte die Qualität der Güterproduktion in den sekundären Sozialsystemen positiv beeinflussen.

Fazit: Wer sich für ein Grundeinkommen engagiert - über Bewusstseinsveränderung und Kulturinitiativen hinaus -, wird Bündnisse anstreben müssen, auch über das Grundeinkommen hinaus. Es kann nicht nur materielle Unabhängigkeit bedeuten, sondern auch helfen, Angst vor sozialer Armut und gesellschaftlicher Stigmatisierung abzubauen, den Druck vom Arbeitsmarkt nehmen, den Zwang, sich irgendwelchen Instanzen der Herrschaft zu unterwerfen. Es könnte Mut zu neuen Lebensentwürfen und Experimenten geben und Energien für den Aufbau der primären und den Wandel der sekundären Sozialsysteme freisetzen.

Eine Chance zur flexibleren Gestaltung der Erwerbsarbeit

Somit kann das bedingungslose Grundeinkommen als ein Bauelement zur Sicherung einer - über bloße Existenzfristung hinausreichenden - kulturellen Teilhabe gesehen werden, sowie als Chance zur flexibleren Gestaltung der Erwerbsarbeit. Es sollte aber nicht das einzige Bauelement sein, auch eine "vernünftige" Steuerreform - primär im Sinne der Prinzipien nachhaltiger Entwicklung - wäre wünschenswert. Allein die bloße Einführung des Grundeinkommens kann noch nicht der Beginn eines öko-sozialen Umbaus sein. Erst wenn die mächtigsten Gruppen sich auch davon etwas versprechen und dem Volk "ehrlich" zugetraut wird, dass es den "richtigen" Weg finden und gehen kann, ist ein solcher Umbau möglich.

Dieser Weg wird nicht ohne Kampf zu beschreiten sein. Ein Grundeinkommen kann die Umstände dafür verbessern, es könnte auch eine Bewegung verstärken, die auf neue mikroökonomische Bündnisse zielt. Diese Bündnisse gibt es teils schon als zivilgesellschaftliche Bewegungen - sie alle setzen statt auf Konkurrenz auf gleichberechtigte Zusammenarbeit. Die primären Sozialsysteme sollen ausgebaut, soziale Netze aufgebaut, Stadtkerne erneuert und wiederbelebt, aber auch vernachlässigten Regionen, deren Gemeinde-, Vereins- und Nachbarschaftsaktivitäten wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Sinne wäre ein Grundeinkommen ein Moment einer auf Fähigkeitsentwicklung und Solidarität orientierten Gesellschaft, in der die Entfaltung neuer Werte und Sinnziele nicht Privileg einiger weniger, sondern das "gute Leben für alle" ermöglichen könnte.

Natürlich liegt es letztlich in der Verantwortung der Grundeinkommensbezieher zu erkennen, was sie auf jeden Fall zum Leben brauchen und ob (warum) es ihnen bedingungslos zusteht. Dazu sind gesellschaftselementare Erkenntnisse wesentliche Voraussetzung - wozu auch seriöse mediale Berichterstattung braucht.

Mehr zum Thema:
www.pro-grundeinkommen.at

www.initiative-zivilgesellschaft.at