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Warum erschoss Breivik Multi-Kulti-Kids?

Von Kerstin Kellermann

Gastkommentare

Ideologien können in ihrer Anwendung mörderische Konsequenzen haben - auch wenn etwa FPÖ-Politiker nun so tun, als ob es ihnen nur um "politisches Großgeld" ginge.


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Die Philosophin Hannah Arendt kritisierte, dass alle höheren Fragen wie "Wie war das möglich?", "Was waren die Ursachen?", "Warum gerade die Juden?" im Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann nicht angesprochen wurden. Warum also erschoss der blonde Norweger Anders Behring Breivik für seine Transzendenz gerade sozial denkende "Multi-Kulti-Kids"?

Das Denken in "Nationen" oder "Kulturen" ist in EU-Zeiten ein altmodisches Modell der Weltaufteilung, die Propaganda "Rassenmischung ist Völkermord", wie ein Neonazi aus Mecklenburg-Vorpommern im Fernsehen sagte, zeigt noch "uraltere" Trennungs- und Vernichtungsgelüste von Menschen auf. Die Zeiten, als man dachte, es gäbe klare, voneinander abgegrenzte Kulturen, sind aber lange vorbei - insofern hat sich die "Multi-Kulti"-Ideologie für Freunde und Feinde eigentlich überholt. Daher ist auch die neue Möglichkeit eines sozialen Vergleichs mit "dem Islam", den "Islamisierten" so beliebt.

Breivik malte sich jahrelang seine "Multi-Kulti-Untermenschen"-Ideologie mit allen mörderischen Konsequenzen aus. Was musste da in Wahrheit mit den Jugendlichen auf Utöya vernichtet werden - Liebe, Gutes, Gemeinschaftsdenken, Solidarität, Hoffnung auf die Welt, auf Frieden in der Gesellschaft?

In Österreich wird mit Slogans wie "Unser Geld für unsere Leut’" eine klare Trennungs- und Aufteilungsmöglichkeit suggeriert - als gäbe es nicht alte Gastarbeiter mit wenig Deutschkenntnissen und österreichischem Pass, hier geborene Jugendliche, die sich als "Türken" bezeichnen, oder Kärntner FPÖ-Politiker, die sich im Wiener Parlament in der Fremde fühlen, also eine transkulturelle Mischkulanz.

Dass Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz hinnimmt, dass es keine Integration für Flüchtlinge gibt und entsprechende Projekte gestrichen werden, zeigt eine ähnliche Denkweise: Eingeborene hier, Flüchtlinge dort, vogelfrei im Niemandsland. Die vielfältigen Daseinsformen - "anerkannte" Flüchtlinge, "Geduldete" mit "kleinem Asyl" oder einfach so zu "Illegalen" gemachte Menschen - werden ignoriert.

Es ist heuchlerisch und feig, wenn FPÖ-Politiker nun so tun, als ob ihre Ideologien und Taten keinerlei Einfluss auf das Schicksal von Menschen hätten. Schon Jörg Haider wusste genau, welchen Preis er riskierte, als er Flüchtlinge nach Traiskirchen zurückschicken ließ: Ein 13-jähriger Bosnier sprang von der Villacher Stadtpfarrkirche in den Tod. Die Behörden hatten den traumatisierten Jugendlichen zwischen Schubhaft und Duldung hin und her geschoben - Samuel Teferie ging in die Donau.

Und wenn ein geistig Behinderter auf dem Wiener Praterstern einen Inder mit Turban erschießt, hat das natürlich mit einem ausländerfeindlichen gesellschaftlichen Klima zu tun. Verallgemeinerungen sind möglich: Ein Mann in Sofia tötete einen irakischen Souvenir-Verkäufer mit Pfeil und Bogen aus einem Antiquariat und den Worten: "Ich mag keine Araber."

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien.

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.