Zum Hauptinhalt springen

Warum gerade "Jugoslawien"?

Von Christine von Kohl

Politik

Im Kosovo wird ein "neuer Besen" erwartet. Der deutsche Diplomat Michael Steiner folgt dem dänischen Politiker Haekkerup und wird mit einer besonders verfahrenen Situation konfrontiert sein. Es wird vielleicht nicht schwer, "besser" zu sein als der Vorgänger, aber ohne neuen politischen Willen innerhalb der internationalen, nicht zuletzt der europäischen Seite, der ihm den Rücken stärkt, wird es auch Steiner nicht gelingen können, einen dauerhaften Frieden in dieser Region - Serbien, Montenegro, Mazedonien, Kosovo - zu sichern. Nämlich dann nicht, wenn nicht auch die Albaner diesem Frieden trauen können . . .


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn dieser "politische Willen" nicht einheitlich und konstruktiv wird, bleibt die Lage nicht nur ganz allgemein ungeklärt, sondern es drohen die Gefahren neuer Aggressionen. Und sie werden noch heftiger ausfallen als vorher, denn nicht nur nationalistische und politische Emotionen werden sie motivieren, sondern zusätzlich Wut und Enttäuschung über die Haltung des Westens. Und das bedeutet eine zusätzliche, allgemeine Gefährdung der Region. Und unserer Zukunft auch.

Von Pristina nach Belgrad

Zur Erinnerung: Das Nato-Bombardement wurde definiert als moralisch motivierte Maßnahme, um die "ethnische Säuberungs"-Aktion des Milosevic-Regimes im Kosovo zu stoppen. Heute sind die Kosovo-Albaner mit der für sie höchst erstaunlichen Hinwendung des "Westens" zu einem "demokratischen" Serbien konfrontiert - zahlreiche Vertretungen politischer und wirtschaftlicher Natur, die bisher in Pristina präsent waren, haben im Handumdrehen ihre Sachen gepackt und sind nun in Belgrad resident.

Unmik-Vertreter zeigten zuerst mehr Interesse und Vertrauen, wenn dieses Wort überhaupt verwendet werden kann in diesen Zusammenhängen, in die militanten Führer der UCK (Kosovo-Befreiungsarmee) als in die Vertreter der zivilen Parteien, allen voran die LDK. Obwohl die albanischen Wähler bereits zweimal demonstriert haben, dass ihrerseits das "Vertrauen" in den friedfertigen Ibrahim Rugova größer ist. Dass er zwar friedlich, aber in politischer Hinsicht sonst gar nichts ist, ist ein tragisches Phänomen in der gegenwärtigen Situation.

Wäre es aber nicht eine konstruktive Aufgabe des internationalen Faktors im Kosovo gewesen, den albanischen Politikern zur Seite zu stehen? Sie zu beraten, ihnen Nachhilfeunterricht in politischem Denken und Taktieren zu geben? Woher sollten denn die Albaner dieser Region in ihrer Vorgeschichte politische Erfahrung gewonnen haben - woher sollen sie wissen, wie ein moderner demokratischer Staat aufzubauen ist unter den Argusaugen der internationalen Verwaltung, die die Ziele "Multiethnizität, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtswahrung" etc. fordert? Und im Zustand der wirtschaftlichen Hoffnungslosigkeit.

Die jüngsten heftigen Demonstrationen in Pristina gegen die - von Serbien längst geforderte - Verhaftung von UCK-Kämpfern, denen während und nach dem Nato-Krieg Verbrechen vorgeworfen werden, zeigen die Dimension der Problematik. Wir gehen davon aus, dass diese Vorwürfe wohl begründet sind. Im wesentlichen wird es sich dabei um Fälle der Selbstjustiz handeln, um Racheakte auch an eigenen Landsleuten, angeblichen Kollaborateuren. Solche Verbrechen gehören geahndet, kein Zweifel.

Für Serben Freiwild

Wer aber ruft heute lauthals nach Strafe für jene Serben, die in den Jahren der Willkürherrschaft im Kosovo nach 1989 Verbrechen gegenüber der albanischen Bevölkerung im Kosovo begangen hatten? Angesichts der starken Unterstützung internationaler Sprecher für die Serben im Kosovo nach 1998 müssen sich die Albaner fragen: Wer hat in jenen Jahren unsere Menschenrechte, unsere Lebensrechte, unsere Institutionen und unsere Kinder geschützt - als wir Albaner für die Serben, die hier Dienst taten und von vielen ihrer ansässigen Landsleute unterstützt wurden, Freiwild waren? Wir, so werden und dürfen sie denken, wurden aus der Verwaltung, den Schulen, den Wirtschaftsunternehmen verdrängt, vertrieben und in unserer Existenz bedroht, unsere Söhne die in der Jugoslawischen Volksarmee als Rekruten dienten wurden in vielen (nachweisbaren) Fällen misshandelt und in einigen getötet und mit der Erklärung "Selbstmord" in verzinkten Särgen ihren Eltern zugestellt, in den Schulen wurden Mauern zwischen albanischen und serbischen Kindern auf Schulhöfen und den WCs aufgestellt, unsere Kinder waren einer schweren Vergiftungsattacke ausgesetzt, unsere Ersparnisse wurden aus der Kosovo-Bank gestohlen - wo waren damals die internationalen Hüter der Menschenrechte?

Berichte internationaler NGOs aus jenen Jahren bezeugen diese Vorgänge: Kein serbisches Kind litt an Vergiftungssymptomen, die Serben klagten nicht darüber, dass die Apartheidmethoden in den Schulen etwa von den Albanern ausgegangen wären, auch wurden damals keine serbischen Heiligtümer angetastet - undsoweiter... Das alles ist nachzulesen.

Wer aber auf internationaler Seite fordert heute von den Serben in Serbien und im Kosovo, dass sie die Namen der Landsleute preisgeben, die an all diesen Verbrechen, an den Prügeleien, den Diebstählen, den Misshandlungen, dem Erschlagen von zivilen Albanern, beteiligt waren? Wer verlangt, dass sie vor ein serbisches, besser noch vor ein internationales Gericht im Kosovo gestellt würden? Und das noch bevor von der albanischen Bevölkerung erwartet oder sogar verlangt wird, dass sie "mit Serben gemeinsam" leben sollen.

Wäre es nicht gerechter, zuerst den Weizen vom Spreu zu trennen - und zu begreifen, nur dann könnte (hätte können) ein Vertrauensverhältnis zwischen der Unmik-Verwaltung und der albanischen Bevölkerung entstehen. Und Kosovska Mitrovica, wo jeder Albaner weiß, dass es gegen die internationale Vereinbarung verstößt, dass dorthin Serben, die vorher in Uniform waren, sich zurückziehen konnten, und das noch immer in manchen internationalen Kreisen als "Tauschobjekt" bei einer Teilung des Kosovo im Gespräch ist? Ohne zumindest ein Minimum an Vertrauen geht überhaupt nichts. Wie man schon wissen könnte aus Erfahrung.

Realisierung der Zusagen?

Kosovo ist kein isoliertes Gebiet, es steht in einem inneren Zusammenhang auch mit Montenegro und mit Mazedonien. Was hat z.B. der massive politische Einsatz amerikanischer und europäischer Politiker im Vorjahr in Mazedonien, der die Regierung in Skopje zwang, die Verfassung zu Gunsten der berechtigten Forderungen der albanischen Bevölkerung in Mazedonien zu ändern, für einen Sinn, wenn nicht gleichzeitig mit demselben Nachdruck dafür gesorgt wird, dass die Vereinbarungen auch tatsächlich realisiert werden ?

Es war vorauszusehen, dass diese erzwungene, fast kann man sagen: erpresste Verfassungsänderung von der slawischen Bevölkerung nicht getragen würde, und von der Regierung deshalb bisher nur die kleinstmöglichen Schritte realisiert wurden. Wer aber unterstützt heute, und mit welchen Mitteln die Situation der Albaner in diesem Staat? Wurden die internationalen Bemühungen auf politischer Ebene z.B. von gezielten wirtschaftlichen Projekten begleitet, die sowohl den arbeitslosen Mazedoniern wie den arbeitslosen Albanern Arbeitsplätze und Möglichkeiten, also existentielle Perspektiven bieten würden? Es wurde die internationale Universität in Tetovo eröffnet - ist sie geeignet, ist ihr Curriculum darauf konzentriert, albanischen Studenten schnell zu Qualifikationen zu verhelfen, die ihre Eingliederung in die mazedonische Verwaltung ermöglichen?

Eines der Kernprobleme zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen: Der niedrige Bildungsstand unter der albanischen Bevölkerung dient bis heute der mazedonischen Seite als willkommene Erklärung dafür, den geforderten Prozentsatz der Albaner innerhalb der sozial-politischen Strukturen nicht zu realisieren.

Auch wenn es keine konzertierten politischen Zielsetzungen zwischen Kosovo- und Mazedonien-Albanern gibt, so gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, dass beide Seiten die Entwicklungen in beiden Regionen mit größter Aufmerksamkeit beobachten. Und mit berechtigter Skepsis - und Misstrauen. Denn vom Kosovo aus gesehen zeigt die Lage in Mazedonien, dass wiederum die Albaner von internationaler Seite im Stich gelassen werden. Umgekehrt kann der Eindruck kaum anders sein.

Unabhängigkeit von Serbien

Montenegro: Die albanische Minderheit in diesem Kleinstaat ist nicht radikal - noch nicht. Wie aber sollen es die Albaner - und auch die Montenegriner - interpretieren, dass sich Europa und USA vehement für ein "Jugoslawien" mit dem Präsidenten Kostunica einsetzen? Und absolut nicht erlauben wollen, dass die Montenegriner sich für eine Unabhängigkeit von Serbien, das eben keineswegs politisch demokratisch ist, auch heute noch nicht, entscheiden. Dass dieser Teilrepublik verwehrt wird, was vorher Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina zugestanden wurde?

Es kann wohl kaum erwartet werden, dass die Montenegriner, und mit ihnen die albanische Minderheit, vergessen hätten, mit wieviel Sympathie und Versprechungen die USA Präsident Djukanovic und seine Umgebung unterstützten, als es um eine Front gegen Milosevic ging. Welches Bild eines "demokratischen" Westens bieten wir eigentlich? Wer denkt hier an "vertrauensbildende Maßnahmen"?

Hass gegen Den Haag

Und nun Serbien: Kann das Verhalten des Westens in Mazedonien, in Montenegro, im Kosovo von der serbischen Bevölkerung und von den Kreisen um Präsident Kostunica anders verstanden werden, als eine Unterstützung der westlichen Welt für ein zu stärkendes Serbien in dieser südosteuropäischen Region? Was sollen die Albaner, die Montenegriner, die Mazedonier aber mit einer solchen Politik für ihre eigene Zukunft in der gleichen Region erwarten? Sie alle haben ihre Erfahrungen hinter sich mit dem großserbischen Verhalten, sie haben nicht von ungefähr den Weg in eine Unabhängigkeit von Belgrad gewählt.

Das jüngste Ultimatum der Amerikaner an Kostunica, bis zum 31. März die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal zu perfektionieren, kommt spät. Vielleicht wird es befolgt, aber es wird nicht beitragen zu einem wacheren Verständnis der serbischen Bevölkerung für Ihre Situation. Der Hass gegen Den Haag ist schon zu groß geworden.

Auch in Serbien gibt es kaum Vertrauen in die Politik des Westens. Mit jedem Fehler des Westens, mit jeder politischen Unterlassungssünde wird wiederum die Position jener Serben, die ehrlich an die Demokratie und ihre Notwendigkeit für die Zukunft glauben und sich dafür einsetzen, geschwächt. Auch dafür tragen wir Verantwortung.

Die Balkan-Expertin Christine von Kohl ist Herausgeberin der in Wien erscheinenden Zeitschrift "BALKAN/Südosteuropäischer Dialog".