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Forscher bezweifeln die Theorie, dass man Gegenstände so besser ergreifen kann. | Marne/Schleswig-Holstein. Zuerst trat das tschechische Universalgenie Johann Evangelista Purkinje auf den Plan. 1823 gab er die Entdeckung bekannt, dass sich die Papillarlinien auf den menschlichen Fingerkuppen in verschiedene Grundtypen einteilen lassen. Einige Jahrzehnte später entwickelte Francis Galton auf dieser Grundlage ein bis in die letzten Details ausgefeiltes Klassifikationssystem für Fingerabdrücke und wies nach, dass es sich bei den Fingerabdrücken jedes Menschen um eine einzigartige Kombination universaler Merkmale handelt.
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Doch worin besteht der Nutzen der gerillten Fingerbeeren, mit denen die Evolution den Menschen ausgerüstet hat? Nach der herkömmlichen Theorie, die seit 100 Jahren nie in Frage gestellt wurde, ist die Sache völlig klar: Die Rillen an den Fingerspitzen dienen dazu, Gegenstände besser ergreifen und festhalten zu können. Denn angeblich erhöhen sie die Reibung und damit die Haftung zwischen der Haut und der Oberfläche des zwischen den Fingern steckenden Objekts.
Diese Theorie kann sich darauf berufen, dass die anderen Primaten ebenso über Fingerrillen verfügen, wie die Koalas, die auf das Klettern in den Bäumen spezialisiert sind - und dass einige südamerikanische Affenarten Furchen an ihrem Schwanz haben, den sie zum Kraxeln einsetzen.
Die herkömmliche Theorie fußt auf der Annahme, dass sich menschliche Haut wie ein Feststoff verhält. Wenn das der Fall ist, hängt die Reibung in erster Linie von der Kraft ab, mit der ein Objekt gegriffen wird. Doch unlängst sind die britischen Biologen Roland Ennos und Peter Warman von der Universität Manchester zu der Erkenntnis gelangt, dass an dieser Hypothese etwas nicht stimmen kann.
Haut ist Gummi ähnlich
Um zu testen, was es mit den Rillen auf sich hat, ließ Ennos seinen Assistenten Warman die Finger der rechten Hand mit allmählich steigendem Druck und in einer Vielzahl von Winkeln gegen Plättchen aus Acrylglas pressen. Eine eigens dafür konstruierte Maschine maß währenddessen die jeweilige Reibung. Das Experiment erbrachte Unerwartetes: Die Stärke der Reibung entsprach nicht der aufgewendeten Kraft, sondern der Größe des Kontaktbereichs zwischen der Oberfläche der Fingerkuppen und der des Objekts.
Doch da bei einer gerillten Fingerspitze der Kontaktbereich um etwa 33 Prozent geringer ist als bei einer völlig glatten, können die Rillen nicht die Funktion haben, die Reibung zu verstärken. Die Schlussfolgerung daraus: Die menschliche Haut sei hinsichtlich ihrer Reibungseigenschaften einem Material wie Gummi am ähnlichsten.
Aus Sicht von Ennos und Warman sind zwar Finger mit Hautrillen schlecht für
glatte Oberflächen, für raue Oberflächen wie Baumrinde hingegen umso besser geeignet. Die Forscher betonen freilich, es gebe noch weitere, nicht weniger schlüssige Erklärungen.
Gut für feuchte Objekte
So könnten die Rillen dazu da sein, das Festhalten von feuchten Gegenständen zu erleichtern, indem sie das Wasser wie am Profil eines Reifens abfließen lassen. Oder die Rillen sollen verhindern, dass die Finger sich an etwas festsaugen oder daran festkleben.
Außerdem ist es möglich, dass die Rillen dazu dienen, seitlich einwirkende Kräfte aufzufangen und dadurch die Bildung von Blasen zu erschweren. Oder die Rillen sollen die Haut elastischer machen und dabei helfen, sich zu dehnen und zu verformen. Und schließlich gibt es noch die Hypothese, die viel für sich hat, dass es Sinn und Zweck gerillter Fingerspitzen ist, subtilere Tastempfindungen hervorzubringen. Aber Ennos bemängelt an ihr zu Recht, dass auch solche Partien der Handfläche und der Fußsohle gerillt sind, die mit dem Ertasten feinster Unebenheiten wenig zu tun haben. Und so ist nach wie vor nicht völlig geklärt, warum die Evolution die Fingerrillen erfunden hat.