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Warum Haiti für die USA so wichtig ist

Von Georg Friesenbichler

Analysen
Ein US-Marine versucht, Hilfsgüter zu sichern. Foto: ap

Natürlich ist es ein nicht ernst zu nehmender antiamerikanischer Reflex, wenn Venezuelas Präsident Hugo Chávez davon spricht, dass die USA Haiti insgeheim besetzen wollen. Sogar er zweifelte die humanitären Beweggründe nicht an, fragte sich aber lautstark, wozu denn so viele bewaffnete Soldaten gebraucht würden.


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Ein Blick auf die zerstörten Straßen von Port-au-Prince würde ihn die Notwendigkeit lehren. Verzweifelte Menschen kämpfen gegeneinander, um ein bisschen Nahrung und Wasser zu bekommen. Dass dabei rasch Waffen ins Spiel kommen, ist aufgrund der gewalttätigen Geschichte Haitis nicht erstaunlich. Zwar ist die Bandenkriminalität in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, dennoch sind Pistolen, Gewehre oder zumindest eine Machete weiterhin in fast jedem Haushalt vorhanden, um sich selbst gegen Drogenhändler und Räuber verteidigen zu können.

Die Polizei bot schon vor dem Beben kaum Schutz. Nun ist zwischen den Trümmern kaum noch ein Vertreter der lokalen Exekutive zu sehen, melden internationale Berichterstatter. Kenner des Landes glauben, dass nur amerikanische Soldaten die Situation einigermaßen in Griff bekommen können.

Das führt auch zu Problemen: Vor allem die Franzosen beschwerten sich, dass Flugzeuge mit Hilfsgütern abdrehen mussten, weil die Amerikaner den Flughafen für ankommende Truppen nutzen. Trotzdem macht den USA noch niemand die Schlüsselrolle streitig, die sie im Katastrophengebiet bereits übernommen haben.

Schließlich liegt die Karibikinsel nicht weit vom nordamerikanischen Festland. Was für die schnelle US-Hilfe günstig ist, schreckt gleichzeitig die Obama-Regierung. In der Vergangenheit hat es immer wieder Bootsflüchtlinge gegeben, die Zuflucht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten suchten - etwa 2004, als US-Präsident George W. Bush die Haitianer, die vor dem Bürgerkrieg in der Heimat flohen, zurückweisen ließ. In einem Vorort von Miami, Florida, leben rund 30.000 Exil-Haitianer. Auf ebenso viele wird die Zahl jener geschätzt, die sich illegal im Land aufhalten. Diesen droht vorläufig keine Abschiebung, wurde nach dem Beben in Washington beschlossen, aber weitere Flüchtlingswellen sollen vermieden werden.

Außerdem ist die Insel, ein wenig südlich von Kuba gelegen, durchaus auch ein strategisch interessanter Punkt für die USA. Früher hat sich dies dadurch bemerkbar gemacht, dass die vielen Diktatoren nicht ohne Zustimmung des großen Nachbarn eingesetzt oder gestürzt wurden. Das weckt in Leuten wie Chávez Zweifel, ob es wirklich nur um humanitäre Anliegen geht, wenn US-Außenministerin Hillary Clinton verspricht: "Wir werden heute, morgen und in Zukunft hier sein."

Angesichts des bisherigen Chaos bleibt allerdings kaum eine andere Wahl, als die USA in ihrer Hilfsbereitschaft zu bestärken. Für sie wird es auch darum gehen, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, etwas, das dieses Land bisher nicht kannte. Bezeichnend für die Zustände schon vor dem Beben ist, dass die überlebenden Regierungsmitglieder in Port-au-Prince erst jetzt den Ausnahmezustand ausgerufen haben.

Wenn sie solche Aufgaben ernst nehmen, kommt auf die Amerikaner eine Mammutaufgabe zu. Wenn nicht, könnte das Engagement ebenso unbefriedigend enden wie die Zeit von 1915 bis 1934, als US-Truppen Haiti besetzt hatten. Da wurden zwar Straßen und Schulen gebaut, aber einen Rechtsstaat zu etablieren gelang damals nicht.

Siehe auch:Mit Macheten auf Nahrungssuche

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