Lechts und rinks kann man nicht velwechsern, dichtete Ernst Jandl. Kombinieren aber schon, wenn es die Vernunft gebietet.
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"Das ist ja gar kein richtiger Sozialdemokrat." Das ist - gefühlt jedenfalls - wohl der schwerwiegendste politische Vorwurf, den ein aufrichtiger Linker und gewohnheitsmäßiger SPÖ-Wähler Werner Faymann und den Seinen machen kann. Bei ÖVP-Politikern ist die Sache komplizierter; die Partei entzieht sich ja gewohnheitsmäßig den ansonsten üblichen simplen Einordnungen. Aber es dürfte wohl fast jeden Schwarzen hart treffen, wenn man ihm das Attribut bürgerlich absprechen würde.
Aus diesen Zuschreibungen resultiert natürlich eine naheliegende Erwartungshaltung: SPÖ-Wähler pochen bei ihrer Partei auf eine Politik, die dem nahe kommt, was sie selbst als "sozialdemokratisch" erachten (dass andere darunter etwas ganz anderes verstehen, verkompliziert zugegeben die politische Praxis); und ganz genau so verhält es sich auch mit den Wählern aller anderen Parteien. Und deshalb meidet jede Partei weltanschauliche Dissonanzen wie der Teufel das Weihwasser. Die Furcht vor Liebesentzug ist auch in der Politik ein Hund.
Dass es auch anders geht, jedenfalls gehen könnte, zeigt das Beispiel des legendären britischen Exzentrikers, Schriftstellers und konservativen Politikers Benjamin Disraeli. Der vertrat die für heutige Überzeugungen irritierende Ansicht, dass eine vernünftige konservative Regierung durchaus auch aus "Tory men with Whig measures" bestehen könne, also aus Konservativen, die nicht nur konservative Politik vorantreiben, sondern auch liberale.
Dass Benjamin Disraeli (1804 - 1881) sich hier auf die Kombination von konservativen mit liberalen Ideen beschränkt hat, ist wohl seiner Zeit geschuldet. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestand das britische Zweiparteiensystem aus Tories und Whigs (Labour zog erst Anfang des 20. Jahrhunderts ins Unterhaus ein). Es geht also schon um die mutige Kombination antagonistischer Konzepte, wenn die Probleme danach verlangen, nicht bloß darum, dass Konservative und Linke sich wahlweise mit einigen Prisen Liberalität schmücken.
Disraeli, der anglikanisch getaufte Jude und zweimalige, wenn auch nur kurzzeitige Premier, zeigte früh einen Hang zu unorthodoxen Allianzen. Als sich etwa alter Adel und die ersten Industriearbeiter gegen das politisch erstarkende Bürgertum verbündeten, unterstützte der politische Freigeist die ungewöhnliche Koalition gegen den eigenen konservativen Premierminister.
Man stelle sich vor. Werner Faymann hätte beim Bundesparteitag der SPÖ damit geworben, die Steuerbelastung nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für kleine und mittlere Unternehmen zu senken (nicht für internationale Konzerne), er hätte wohl um die einfache Mehrheit bangen müssen. Oder Reinhold Mitterlehner, der vor den ÖVP-Delegierten über die Notwendigkeit höherer Grundsteuern räsoniert; gar nicht zu denken an Heinz-Christian Strache, der laut über die Vorteile steigender Zuwanderung angesichts einer alternden Bevölkerung nachdenkt; und auch Eva Glawischnig würde es wohl schwer fallen, die Pro-Argumente für Studiengebühren zu referieren.
Irgendwie bitter, dass sich vernünftige Einsichten wie jene Disraelis auch nach 150 Jahren noch nicht durchgesetzt haben.