Zum Hauptinhalt springen

Warum Menschen den Fakten misstrauen

Von Eva Stanzl

Wissen

Wissenschaftsskepsis: Institut für Höhere Studien soll Gründe für diese mitunter fatale Haltung erforschen, Strategie soll folgen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ordination geschlossen. Seit mehr als sieben Monaten bekommen wir Morddrohungen aus der Covid-Maßnahmengegner- und Impfgegner-Szene, für einen sicheren Betrieb könne nicht mehr garantiert werden." So lautet eine Information vom 28. Juli auf der Ordinations-Homepage der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayer in Seewalchen am Attersee. Einen Tag später wurde sie tot aufgefunden, laut Obduktionsbericht wegen Suizids.

In kaum einem Land herrscht eine derartige Skepsis gegenüber den Wissenschaften wie in Österreich. Umfragen attestieren der Bevölkerung eine im internationalen Vergleich hohe wissenschafts- und technologieskeptische Grundhaltung, die sich insbesondere im Zuge der Pandemie manifestiert. Um die Gründe für diese mitunter desaströse Haltung zu erforschen, hat das Wissenschaftsministerium (BMBWF) eine Ursachenstudie in Auftrag gegeben. Wie die "Wiener Zeitung" am Rande der Alpbacher Technologiegespräche erfuhr, hat das Institut für Höhere Studien (IHS) den Zuschlag bekommen. Das Team werde Anfang September die Arbeit aufnehmen und erste Zwischenergebnisse bis Ende des Jahres liefern, heißt es aus dem Ministerium. Bis Sommer 2023 soll die Studie abgeschlossen sein und will der Bund Handlungsfelder festlegen. Laut Wissenschaftsminister Martin Polaschek sollen die Resultate die Basis für eine "nationale, langfristige Strategie, um gegen Wissenschaftsskepsis vorzugehen" bilden.

Gesellschaftspolitische Relevanz

Um welche Fragestellungen es gehen könnte, zeigten Diskussionen in zwei Arbeitskreisen, und zwar des BMBWF und des Dachverbands Forschung Austria, in Alpbach. Dabei stellt sich die Frage, ob tatsächlich von Wissenschaftsskepsis in dieser allgemeinen Form zu sprechen ist. Es zieht etwa niemand in Zweifel, dass das Wiener Becken aus Sandsteinformationen aus dem späten Tertiär entstanden ist. Auch bei einer Grippe-Epidemie ist keiner ernsthaft der Ansicht, dass sie nicht stattfindet, und wenn ein neuer Schwanzlurch entdeckt wird, lockt das niemanden auf die Straße, um zu protestieren. Das heißt also, dass wissenschaftliche Ergebnisse dort angezweifelt werden, wo sie gesellschaftspolitische Relevanz haben, oder Verschwörungstheorien oder politischen Haltungen in die Quere kommen. Und wenn auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse Maßnahmen getroffen werden, die für jeden persönlich spürbar sind, kann das von Menschen, deren Denken überwertig von der Angst vor Kontrolle beherrscht ist, als Zeichen dafür gesehen werden, dass die Wissenschaft sich zu Komplizen der Mächte machen lässt.

In der Gemengelage zwischen Impfskepsis und Zweifel am menschengemachten Klimawandel, zwischen Technikskepsis und übertriebenem Glauben an manche Ideen, zeigen sich nicht nur Ältere, sondern auch Jüngere, und nicht nur Menschen mit Pflichtschulabschluss, sondern auch Lehrerinnen, Ärzte oder Hochschulprofessorinnen skeptisch gegenüber Forschungsergebnissen, und zwar nicht nur in Österreich.

"Sogar manche Physiker sind der Ansicht, dass der menschengemachte Anteil am Klimawandel ein ausgemachter Schwindel ist, und in den USA ebbt eine Debatte, wonach die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen verschwinden sollte, nicht ab", sagte Christoph Gattringer, Chef des Wissenschaftsfonds FWF. Bei einem Aufenthalt am Max-Planck-Institut für Physik habe er archivierte Briefe gefunden, deren Autoren gegen Einsteins Relativitätstheorie wetterten. Hingegen sei die "Impfskepsis eine andere Kategorie. Ich denke, dass sie von ehrlicher Sorge auf der einen Seite und Missinformation auf der anderen getragen ist, während hinter dem Zweifel am Klimawandel ein von der Industrie finanziertes System steckt, um Maßnahmen zu dessen Eindämmung hintanzuhalten", sagte Gattringer. Neben einer solchen "Dynamik organisierter Wissenschaftsskepsis" würden religiöse Vorstellungen Fake News Vorschub leisten. Der Begriff "Fake News" existiere seit 1835, als die Zeitung "New York Sun" im "großen Mond-Schwindel" über die angebliche Entdeckung von Leben auf dem Mond verbreitete. "Fake News sind absichtlich produzierte Falschmeldungen mit zumeist gesellschaftspolitischen Implikationen", sagte die Philosophin und Kommunikationswissenschafterin Larissa Krainer von der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt. "Dennoch enthalten selbst sie manchmal Kernelemente, die stimmen, und die sie glaubwürdig erscheinen lassen, auch zumal sie journalistische Nachrichten imitieren."

Die Rolle von Fake News

Warum wird gezielte Desinformation jedoch sofort weitergeleitet, während echte Nachrichten medial untergehen? "Fakten sind rational, nicht emotional, und nutzen andere Plattformen", fasste Krainer zusammen: "Der Faktencheck kommt nicht dort an, wo Fake News sich wie Lauffeuer verbreiten."

Mitunter sorgen Falschnachrichten sogar in der Fachwelt für Begeisterung. Etwa stellte sich lange nach der Beendigung der archäologischen Ausgrabungen der steinzeitlichen Siedlung Çatalhöyük heraus, dass einer der berühmtesten Archäologen, James Mellaart (1925-2012), Wandmalereien gefälscht und Übersetzungen angeblich keilschriftlicher Dokumente erfunden hatte, berichtete die Archäologin Sabine Ladstätter. Mit seinen "Entdeckungen" wurde er berühmt. "Allerdings sind nicht alle Falschmeldungen auch Fälschungen", sagte die Grabungsleiterin von Ephesos: "Als wir einmal menschliche Überreste fanden, von denen einzelne Hieb- und Stichverletzungen hatten, nahmen wir zunächst an, es handle sich um einen Gladiatorenfriedhof. Im Nachhinein erwies sich dies als falsch."

"Wissenschaft ist Irrtum auf den letzten Stand gebracht", sagte der US-Chemiker Linus Carl Pauling (1901-1994. Eine Strategie gegen Skepsis muss auf jeden Fall dazu beitragen, dass der Unterschied zwischen gesicherter Erkenntnis und begründeter Vermutung klar vermittelt wird.