Nach dem überragenden Wahlsieg ihrer gefährlichsten Gegnerin Aung San Suu Kyi bekamen es die Generäle offenbar mit der Angst zu tun. Doch sie riskieren viel. US-Präsident Biden droht mit Sanktionen.
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Die Menschen eilten zu den Märkten, um noch schnell Reis und andere Lebensmittel für die nächsten Tage zu besorgen. Auch vor den Bankomaten bildeten sich in Myanmars (Burmas) größter Stadt Rangun lange Schlangen, doch plötzlich spuckten diese laut Berichten vor Ort kein Geld mehr aus, und die Banken verkündeten, dass ihnen befohlen wurde zu schließen. Inwieweit das die Leute mitbekamen, ist aber unklar - schließlich waren Internet und Telefonleitungen sowie das Fernsehen immer wieder unterbrochen, während Soldaten aufmarschierten.
Die Angst und die Unsicherheit sind zurück in Myanmar. Am Montag hat das Militär in dem südostasiatischen Land geputscht, den Notstand ausgerufen und die Machtübergabe an Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing erklärt. Die bisherige De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und weitere hochrangige Mitglieder der Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) wurden festgesetzt.
Begründet wird der Putsch mit dem Vorwurf des "Wahlbetrugs". Doch für diesen Vorwurf "wurden bisher keinerlei Beweise vorgelegt", sagt Michael Lidauer, der für ein EU-Expertenteam die Wahl im November beobachtet hat. Und auch eine Vereinigung von nationalen Wahlbeobachtern hat noch Mitte der Woche die Vorwürfe des Militärs, das schon lange Zweifel am Wahlprozess geschürt hatte, als haltlos bezeichnet.
Die Machtfülle der Armee war schon lange umstritten
Doch auch wenn der Wahlbetrugsvorwurf nur ein vorgeschobener Grund ist, dürfte der Putsch mit der Wahl zusammenhängen. Denn die Gegner des Militärs, sprich die Nationale Liga für Demokratie (NLD), hat bei dem Urnengang im November einen Erdrutschsieg eingefahren und mehr als 80 Prozent der Stimmen erhalten. "Deshalb hat das Militär offenbar große Angst bekommen", sagt der Politologe Rainer Einzenberger, der vier Jahre lang Programmdirektor der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Myanmar war. Es ist dies eine Angst, die das Militär auf den ersten Blick gar nicht haben müsste, die sich aber auf den zweiten Blick erklärt.
Denn eigentlich hat sich die Armee, als sie nach jahrzehntelanger Herrschaft vor etwas mehr als zehn Jahren einen Übergang zur Demokratie gestattete, durch die damals verabschiedet Verfassung abgesichert. So behält sie Schlüsselministerien wie das für Inneres in der Hand und unabhängig von jeder Wahl ein Viertel der Parlamentssitze. Damit ist auch jede Verfassungsänderung ohne Zustimmung des Militärs unmöglich.
Doch diese Machtfülle für das Militär war von Anfang an umstritten. Nach dieser Wahl musste das Militär laut Einzenberger fürchten, dass die NLD mit ihrem starken Volksmandat im Rücken mehr Ministerien, eine Mitsprache in Verteidigungsangelegenheiten oder eine Verfassungsänderung fordert.
Damit würde die Armee nicht nur an Einfluss verlieren. Hochrangige Militärs müssten vielleicht auch befürchten, dass sie für ihre Vielzahl an Verbrechen, die sie etwa gegen ethnische Minderheiten begangen haben, belangt werden.
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Mit dem Politologen Wolfram Schaffar von der Universität Tübingen vermutet ein weiterer Experte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass das Militär die Gefahr sah, die NLD würde am Machtgefüge im Land rütteln. Zumal Suu Kyi schon nach ihrem letzten Wahlsieg 2015 ein "ziemlicher Coup" gelungen sei und sie "das Machtgefüge" verschoben habe.
Denn vorgesehen hatte das Militär ein Präsidialsystem nach US-Vorbild. Und es wurde extra der Paragraf erlassen, dass niemand Präsident sein darf, der mit einem Ausländer verheiratet war. Damit sollte die stärkste Gegenspielerin der Armee aus dem Spiel genommen werden, die populäre Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi, die im Kampf gegen die Militärdiktatur 15 Jahre unter Hausarrest gestanden war. Doch die Institutionen waren noch nicht eingespielt und das System jung. Suu Kyi nutzte das aus: Als Anführerin der größten Partei und mit der Parlamentsmehrheit im Rücken machte sie sich de facto zur Regierungschefin und führte das Land aus dem Parlament heraus. Dem Präsidenten blieben nur noch zeremonielle Aufgaben.
Suu Kyi: In Myanmar populär, im Westen nicht mehr
Bevor Suu Kyxi nun erneut solche Schritte setzen kann, hat sie das Militär mit dem Putsch politisch gelähmt. Die Armee riskiert damit allerdings viel, nämlich Aufstände und Unruhen.
Denn Suu Kyi ist immer noch sehr populär. Laut einer Umfrage der Wahlbeobachtungsgruppe "Allianz für unabhängige Wahlen" genießt sie höhere Vertrauenswerte als sämtliche Institutionen, Parteien oder auch andere politischen Persönlichkeiten. Selbst in vielen Gebieten von Minderheiten, wo ethnischen Parteien große Chancen eingeräumt wurden, hat ihre NLD bei der Wahl Mehrheiten errungen. "Wenn Suu Kyi nun länger festgesetzt wird, glaube ich nicht, dass das die Bevölkerung schweigend hinnimmt", sagt Einzenberger.
Viel wird nun von der Reaktion der NLD abhängen. Sie hat vorerst ihre Anhänger zur Ruhe aufgerufen. Ob ein Facebook-Posting, in dem Suu Kyi dazu aufruft, das Vorgehen des Militärs nicht zu akzeptieren, tatsächlich von ihr stammt, war zunächst unklar.
Biden droht mit Sanktionen
Die Armee hat in einem Jahr Wahlen versprochen, doch das muss man nicht glauben. China als mächtigster und wichtigster Nachbar hat Stabilität eingemahnt, die EU und die USA haben den Putsch verurteilt. Der neue US-Präsident Joe Biden drohte auch bereits mit Sanktionen.
Allerdings hat sich der Blick des Westens auf Myanmar gewandelt. Es habe eine "komplette Desillusionierung" stattgefunden, sagt Schaffar. Dass nämlich Suu Kyi die Entrechtung und brutale Vertreibung von rund einer Million muslimischer Rohingya hingenommen hat, hat die viele innerhalb der EU empört. Sie ist keine Freiheitsikone mehr, weshalb ihr Mobilisierungspotenzial im demokratischen Ausland massiv gesunken ist. Und dass die Welt darüber hinaus mit dem Machtwechsel in den USA und vor allem der Corona-Krise beschäftigt ist, ist ebenfalls kein Nachteil für die putschenden Militärs.
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