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Warum nur die Waffen sprechen

Von Alexander Dworzak, Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Politik

Mit Andauer des Ukraine-Krieges wird der Ruf nach Friedensverhandlungen lauter. Realistisch sind sie derzeit nicht.


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Es ist ein offener Brief, der in Deutschland hohe Wellen schlägt und eine Debatte wieder entzündet, die die ganze Zeit in der Luft liegt: Eine Handvoll Intellektueller - darunter der Philosoph Richard D. Precht, der Schriftsteller Josef Haslinger oder der Ökonom Jeffrey Sachs - fordern unter dem Titel "Waffenstillstand jetzt!", dass sofort "eine diplomatische Großoffensive" in Richtung einer Lösung des Ukraine-Krieges angestoßen wird. Die Sinnhaftigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine wird in dem in der "Zeit" veröffentlichten Schreiben in Frage gestellt, gleichzeitig soll dem angegriffenen Land ein Diktatfrieden erspart bleiben. Warum gestalten sich aber Verhandlungen, wie von den Intellektuellen gefordert, so schwierig?

Vorläufig wird nicht geredet, nur geschossen.

Ukrainer und Russen sind intensiv in Kontakt, allerdings sprechen allein die Waffen. Und der "Dialog" auf dem Schlachtfeld im umkämpften Donbass ist stellenweise einseitig, wie der Generalstab in Kiew beklagt. Demnach verfügt die russische Armee abschnittsweise über Artillerie mit einer Reichweite von 40 Kilometern, auf die die ukrainische Seite nicht antworten kann, weil hier die Geschütze nur 18 Kilometer weit reichen. Waffenlieferungen aus dem Westen sollen hier einen Ausgleich schaffen und den russischen "Monolog" beenden.

Es ist die Gewalt, die von allen Seiten derzeit als einzig probates Mittel angesehen wird. Die russische Seite will die Ukraine, ein Staatsgebilde, das aus Sicht Moskau nicht existieren darf, auslöschen. Die ukrainische Seite kämpft um die nackte Existenz und ist zudem nicht bereit, einen Millimeter ihres Territoriums preiszugeben. Und der Westen ist zur Überzeugung gelangt, dass Kremlchef Wladimir Putin in der Ukraine gestoppt, also militärisch besiegt werden muss. Hier hat sich die die Gewissheit durchgesetzt, dass Putin auch an der Grenze der EU und Nato nicht haltmachen würde und die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Sicherheitsordnung im großen Maßstab umkrempeln will. Der Westen ist sicher, dass ein Einlenken von Putin als Aufforderung zu weiterere Aggression verstanden wird. Also wird geschossen, nicht gesprochen.

Wer hat sich bisher um Frieden bemüht?

Putin sieht in der Ukraine lediglich einen Stellvertreter der USA. Dementsprechend wollte der Machthaber vor Kriegsbeginn, als bereits zehntausende russische Soldaten nahe der ukrainischen Grenze stationiert waren, nur mit den Vereinigten Staaten verhandeln. Diese Linie konnte Putin aber nicht durchsetzen. Neben bilateralen Gesprächen zwischen Russland und den USA wurden Lösungen über den Nato-Russland-Rat und ein Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gesucht. Die beiden wichtigsten EU-Staaten, Deutschland und Frankreich, schalteten sich ein.

Der französische Präsident Emmanuel Macron diskutierte alleine bei einem Treffen im Kreml sechs Stunden mit Putin. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz eilte nach Moskau. Dennoch kritisieren die Intellektuellen in ihrem offenen Brief, es sei bisher "kein konzertierter Vorstoß der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der großen westlichen Akteure, erfolgt, um Verhandlungen auf den Weg zu bringen". In den ersten Tagen nach Kriegsbeginn fanden Gesprächsrunden in Belarus statt, jedoch nicht auf hochrangiger Ebene. Im März trafen dann in der Türkei der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow ergebnislos zusammen. Im April wechselte Russland die Taktik: Anstatt an vier Fronten zu kämpfen, konzentriert es sich auf Gebietsgewinne in der Ostukraine. Damit ist der Verhandlungswille erlahmt seit einigen Wochen erlahmt.

Wie lauten die Forderungen Russlands und der Ukraine?

Russland will, dass die Ukraine die separatistischen Republiken Donezk und Luhansk anerkennt. Außerdem soll Kiew die Annexion der Krim als legitim anerkennen. Das kommt für die ukrainische Seite nicht in Frage. Auch wäre der Konflikt im Fall eines Einlenkens der Ukraine nicht beendet. Die Ukraine fordert den kompletten Abzug der russischen Streitkräfte und die Rückgabe der Krim. Das kommt für Putin nicht in Frage.

Gibt es denn gar keine Verhandlungserfolge?

Prinzipiell geben sich Moskau und Kiew gesprächsbereit, ohne dass zum jetzigen Zeitpunkt der Wille für ernsthafte Verhandlungen vorhanden wäre. Beide Seiten setzen sich aber zusammen, wenn es um den Austausch von Kriegsgefangenen und Gefallenen geht. Zuletzt kamen wieder 144 ukrainische Soldaten frei, im Gegenzug wurden Russen freigelassen. Diese Form der Kooperation funktioniert, es könnte hier der Kern für weitergehende Gespräche in der Zukunft sein.

Wer könnte ein Makler bei Friedensverhandlungen sein?

Bis es zu Gesprächen kommt, könnte noch einige Zeit verstreichen. Der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija stellte Ende August in den Raum - nach der Durchführung von Gegenangriffen. Als Verhandlungsort bietet sich wieder die Türkei an. "Die Türkei ist ein guter Vermittler", sagte der ukrainische Historiker Sergey Kudelia gegenüber der "Wiener Zeitung". Und das, obwohl die Türkei Kampfdrohnen an die Ukraine geliefert hat, Erdogan im Syrien-Krieg nicht auf der Seite Russlands steht. Kudelia führt ins Treffen, dass "Putin Präsident Erdogan als gleichwertiges Gegenüber begreift". Beide Machthaber verstehen ihren natürlichen Einflussbereich weit über die eigenen Staatsgrenzen hinaus, sie instrumentalisieren tief verankerte nationalistische Strömungen und verachten beide den Westen.

Mit dem Westen ist Erdogan aber auch verbunden, nämlich über die Nato-Mitgliedschaft der Türkei - eine schwierige Partnerschaft, wie sich dieser Tage wieder zeigt: Erdogan legt Schweden und Finnland, die aufgrund von Russlands Krieg der Nato beitreten wollen, immer wieder neue Steine in den Weg.

Gerade weil die Türkei am meisten zwischen den Blöcken steht, bietet sie sich als Makler an.

Auf Augenhöhe sieht sich Russlands Präsident mit dem chinesischen Machthaber Xi Jinping, der auch Russland immer wieder seine Freundschaft zusagt. Gleichzeitig hat China vor dem Krieg auch enge Kontakte zur Ukraine gepflegt und ist von dem Krieg und der Instabilität, die er bringt, nicht begeistert. Peking hält offiziell auch die territoriale Integrität von Staaten hoch - immer mit Blick auf die sezessionistischen Bestrebungen in Tibet und den Gebieten, in denen die muslimischen Uiguren leben. Deshalb wird auch die Volksrepublik immer wieder als Makler ins Spiel gebracht. Allerdings zeigt Peking selbst wenig Ambitionen in diese Richtung - und es ist sehr fraglich, ob die Ukraine Peking trauen würde.

Wie könnte garantiert werden, dass eine Vereinbarung hält?

Wer auch immer schließlich als Makler auftritt oder unter wessen Ägide verhandelt wird - wenn es so weit kommt -, dem wird sich ein weiteres Problem stellen: Wie kann er sicher stellen, dass das Vereinbarte auch hält? Das zeigte schon das Minsker Abkommen, das den Konflikt im Donbass lösen hätte sollen: Es wurde, nachdem mit russischer Unterstützung im Jahr 2014 die Volksrepubliken Donezk und Luhansk ausgerufen worden waren, von Deutschland und Frankreich mit Russland und der Ukraine ausgehandelt. Jedoch wurde das Abkommen laufend gebrochen.

Im aktuellen Krieg stellt sich vor allem die für die Ukraine die Frage, wie dafür gebürgt werden kann, dass abgegebene Garantien auch halten. Sie hat damit nämlich schon bittere Erfahrungen gemacht: 1994 wurde das Budapester Memorandum abgeschlossen, in dem der Ukraine kurz nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit ihre territoriale Integrität zugesagt wurde, wenn sie ihre Atomwaffen abgibt. Diese Sicherheitsgarantie haben der Ukraine die USA, Großbritannien und Russland gegeben. Nun führt Russland einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland und russische Politiker stellen öffentlich das Existenzrecht der Ukraine als Staat in Frage. Da Russland eine Atommacht ist, werden auch weiterhin alle von anderen Staaten abgegebenen Sicherheitsgarantien für die Ukraine nur vorbehaltlich gelten. Fazit: Es gibt keine Garantien, die sicher halten.