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Warum Österreich nicht in Massen testet

Von Martina Madner

Politik

Die Skepsis gegenüber der Massenteststrategie der Slowakei überwiegt aus guten Gründen.


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Die Idee klingt bestechend: Man teste die gesamte Bevölkerung auf Sars-Cov-2-Infektionen. Sind die Infizierten von den Gesunden separiert, können sich kaum noch weitere Menschen anstecken. Das ist kurz zusammengefasst die Teststrategie der Slowakei.

Es ist ein Experiment, bei dem am letzten Oktober-Wochenende bei rund 3,6 Millionen 10- bis 65-Jährige der insgesamt 5,5 Millionen zählenden slowakischen Bevölkerung Antigenschnelltest durchgeführt wurden. Mehr als zwei Millionen Menschen haben vergangenen Samstag und Sonntag neuerlich an den Massentests teilgenommen. Das Ergebnis: 38.000, also knapp mehr als ein Prozent, waren in Testrunde eins positiv. Die zweite Runde brachte 0,66 Prozent positive Tests, was der slowakische Regierungschef Igor Matovic als Beleg für den Erfolg seiner Strategie wertete.

In Österreich beobachtet der Krisenstab der Regierung die Entwicklungen im Nachbarland. Ob das slowakische Experiment nachahmenswert ist, darüber gibt es im Moment zwar "kein Denkverbot", sagt Gerald Schimpf, Leiter des Krisenstabs. Für eine Beurteilung sei es allerdings noch zu früh: "Die hängt von der nachhaltigen Entwicklung des Infektionsgeschehens in der Slowakei über mehrere Wochen hinweg ab." Denn es gibt mehrere Gründe, warum in Europa bislang nur Monaco und Luxemburg flächendeckend testen.

Unterschiede in der Qualität bei den Tests

Die Infektionszahlen in Luxemburg stiegen trotz PCR-Tests breiter Teile der Bevölkerung laut Bericht des Belgischen Rundfunks zwar weniger stark an als in Belgien oder Frankreich, aber sie stiegen. Ein wesentlicher Grund für Skepsis gegenüber den slowakischen Massentests ist für Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien aber die unterschiedliche und geringere Qualität des Testergebnisses der dort angewandten Antigenschnelltests: "Man darf nicht vergessen, dass es sich in der Slowakei nicht um PCR-Untersuchungen handelt - also nicht um den Goldstandard."

Zwar gibt es Mindeststandards des Gesundheitsministeriums für Antigenschnelltests: Sie müssen unter anderem mindestens 70 Prozent Infektionen und mehr als 97 Prozent der Menschen ohne Virus erkennen. Im Vergleich zu Untersuchungen der Polymerasen-Kettenreaktion, kurz PCR, von Rachenabstrichen oder Gurgelproben durch Labors aber haben sie Nachteile: "Ein schlechter Antigenschnelltest zeigt nur positive Ergebnisse bei exorbitant hohen Viruslasten, kann also falsch negative Ergebnisse bringen", sagt Redlberger-Fritz.

Falsch negative Tests können laut Schimpf ein "epidemiologisches Problem sein, weil sie Menschen ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln, weshalb sie manche Präventionsmaßnahmen wie Abstand halten oder Maske tragen vernachlässigen." Das unterwandert das Ziel, die Virus-Verbreitung einzudämmen. Problematisch seien aber auch falsch positive Tests: "Vor allem, wenn sie - anders als in Österreich - nicht mit einem PCR-Test bestätigt werden müssen, sondern starke Eingriffe in die Grundrechte zur Folge haben, etwa strikte Ausgangssperren oder nicht mehr zur Arbeit gehen zu dürfen."

Problematisch sind Massentests mit Antigenschnelltests aber auch dann, "wenn es dadurch zu einer Verknappung von Testressourcen kommt und in weiterer Folge das Testen von Risikogruppen vernachlässigt wird", sagt Schimpf. Tatsächlich lautet die slowakische Regierungsempfehlung für über 65-Jährige knapp, für die Dauer der Pandemie lieber ganz zu Hause zu bleiben und nicht zu Tests zu gehen. Der Krisenstab beobachtet deshalb nicht nur die Infektionszahlen im Nachbarland, sondern auch, welche Menschen sich trotzdem infizieren. Schließlich bedeutet Covid-19 sowohl für Ältere und Vorerkrankte selbst als auch das Gesundheitswesen insgesamt ein größeres Risiko.

Für Simulationsexperten Nikolaus Popper von der TU Wien bringen die slowakischen Tests nur eine Momentaufnahme, die zwar wirken kann, die man aber regelmäßig wiederholen müsse. Nachhaltiger gegen die Verbreitung des Virus sei eine kontinuierliche, zielgerichtete, digital unterstützte, rasche Test-Nachverfolgungsstrategie. "Um Kontakte innerhalb weniger Stunden ausfindig zu machen und auch Orte mit häufigen Ansteckungen aufzudecken."

Antigenschnelltests als Ergänzung der Strategie

Gänzlich auf Antigenschnelltests verzichtet aber auch Österreich nicht. Für Virologin Redlberger-Fritz machen sie dort Sinn, wo es um das rasche Ergebnis geht. Das liegt in der Regel nach circa einer Viertelstunde vor, "sie sind also ein schnelles Werkzeug in der Entscheidungsfindung im niedergelassenen Bereich. Ärzte und Ärztinnen können positiv Getestete ohne Verzögerung isolieren und danach eine PCR-Bestätigung einholen." Auch negative Ergebnisse können mit PCR-Tests nochmals überprüft werden. Die Schnelltest sollen auch dafür sorgen, dass jene mit Grippe rasch ärztlich behandelt werden.

Dass ein PCR-Test in etwa zehn Mal so teuer ist wie ein Antigenschnelltest, sei laut Schimpf für die Teststrategie nicht entscheidend. Laut Sozialministeriumspapier zu den Antigentests sind diese auch dazu geeignet, noch asymptomatische Kontaktpersonen rasch herauszufiltern.

Schnelltests kommen auch in den Screeningprogrammen beim Personal von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, die gerade ausgerollt werden, zum Einsatz: 100.000 Antigenschnelltest sind bereits ausgeliefert, drei Millionen weitere bestellt für eine Testung jeder Person einmal pro Woche, heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium. Laut Verordnung darf übrigens auch PCR-positiv getestetes Personal von Altenheimen und Spitälern arbeiten - aber nur dann, wenn der sogenannte CT-Wert über 30 liegt, also keine Ansteckungsgefahr für andere mehr besteht.