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Warum Österreich Politiker mit Mut zu Charisma braucht

Von Martina Gleißenebner-Teskey

Gastkommentare
Martina Gleißenebner-Teskey ist internationale Trainerin und Coach, arbeitet seit 1996 zu und mit dem Thema Charisma und setzt sich in Projekten wie dem Leadership Think Tank und dem Messekongress women&work aktiv für die Weiterentwicklung der gängigen Art zu führen und zu arbeiten ein.

Wir werden Zeugen der Abwesenheit von Mut, obwohl die Zeit schon lange nicht mehr so günstig war, um mutiges Handeln mit Erfolg zu krönen.


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"Charisma" ist eine der Eigenschaften, die im Geheimen jeder haben will und zu der den meisten dann doch der Mut fehlt. Dabei wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt für Österreichs Politiker, diesen Mut zu haben. Warum? Charismatische Menschen zeichnen sich durch vier Kernkompetenzen aus: die Kompetenz, eine Vision zu kreieren; die Kompetenz, so zu kommunizieren, dass Menschen sich persönlich angesprochen fühlen und zum Handeln bewegt werden; die Kompetenz, Vertrauen zu schaffen; und die Kompetenz, andere Menschen zu befähigen. Der Kommunikationskompetenz kommt hier eine zentrale Bedeutung zu. Ohne sie bleiben die anderen unerkannt.

Ob Charisma überhaupt als solches wahrgenommen werden kann, ist einerseits von der Situation abhängig: Es braucht ein Klima der Veränderung, in dem es wirksam werden kann. Andererseits müssen die genannten Kompetenzen mit Leidenschaft gelebt werden.

Und hier kommt der Mut ins Spiel. Mut zu Charisma setzt eine feste Überzeugung von der Richtigkeit und Notwendigkeit des eigenen Handelns voraus. Mut zu Charisma bedeutet das Wagnis einzugehen, bestehende Systeme aufzubrechen, um der Hoffnung einer besseren Zukunft willen. Mut zu Charisma hat demnach nur, wer entweder außerhalb des Systems steht oder selbst innerhalb des Systems eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt.

Unabhängig zu agieren ist in einem demokratischen Parteiensystem zu Recht schwierig. In Österreich, dessen Geschichte im 20. Jahrhundert vor allem eine Geschichte der Anpassung an stärkere Mächte geworden ist, eine Geschichte des Versuchs, durch Ausverhandeln, Aussitzen und Abwägen seinen Platz zu halten, ist es fast unmöglich. Die ausgeprägte sozialpartnerschaftliche Kultur ist eines der wichtigsten Ergebnisse des Bemühens, den inneren Zusammenhalt zu schützen und nach außen intakt zu bleiben. Sie verbindet, stärkt und macht gleichzeitig durch das Aufeinander-Angewiesen-Sein eine Systemerneuerung so gut wie unmöglich. In einer solchen Kultur können charismatische Menschen nicht wirksam werden.

Der Zusammenhalt beginnt jedoch zu bröckeln: Korruptionsaffären, steigende Arbeitslosigkeit sowie die generelle Krisenstimmung in Europa haben Risse ins System geschlagen. Immer mehr Menschen hinterfragen den Status quo und sind auf der Suche nach Orientierung. Wo früher die Wohlstandsträgheit das Aufkommen von Veränderern verhindert hat, ist nun Raum für Personen mit einer leidenschaftlichen Vision von Erneuerung.

Das Angebot, das unsere Politiker den Menschen hingegen machen, sind Lösungen, die niemanden überzeugen, weil ihre Proponenten nicht überzeugen. Ihnen fehlt der Mut zu Charisma, wie ich ihn hier beschrieben habe. Ihr Wahlkampf zeigt den Versuch der Perpetuierung der etablierten Systeme, obwohl gerade jetzt eine Erneuerung nicht nur nötig, sondern auch möglich wäre. Wir werden Zeugen der absoluten Abwesenheit von Mut, obwohl die Zeit schon lange nicht mehr so günstig war, um mutiges Handeln mit Erfolg zu krönen.