"Sexualerziehung wird Kindern und Jugendlichen helfen, ihre persönliche Identität zu finden", heißt es sinngemäß in den Richtlinien des Bildungsministeriums. Da die "Aufklärung" für alle Beteiligten meist peinlich verläuft, bietet das Projekt "LoveTalks" an Schulen eine offene, von ausgebildeten Pädagogen moderierte Gesprächsplattform zum Thema Sex an. Im Rahmen einer Projektwoche werden Fragen wie etwa "Was ist ein Kondom?" oder "Warum heiratet der Mensch?" beantwortet.
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Den Grundstein zu "LoveTalks" legte Brigitte Cizek vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) vor rund 20 Jahren mit einer Befragung von Schülern, Eltern und Lehrern zu ihren Verbesserungswünschen für den Sexualkunde-Unterricht. Dabei stellte die ausgebildete Psychologin und Sexualpädagogin fest, dass die Eltern meist nicht in die "Aufklärung" ihrer Kinder eingebunden wurden und auch der Sexualkunde-Unterricht nicht, wie eigentlich im "Sexualerziehungserlass" von 1970 festgelegt, fächerübergreifend praktiziert wurde.
"Das Hauptproblem bei der Sexualerziehung stellt nicht fehlendes Wissen dar, meist sind es eher kommunikative Schwierigkeiten", meint Cizek gegenüber der "Wiener Zeitung". So wären oft selbst die Eltern nicht in der Lage, sich offen über Sex auszutauschen. "Die beteiligten Dialoggruppen sollen lernen, untereinander zu kommunizieren", erklärt Cizek den Grundgedanken von "LoveTalks". Zu den Zielen des Projekts gehört neben dem Abbau von Barrieren aber auch die Vermittlung von Werten wie etwa Liebe und Vertrauen an die Schüler.
Offenes Diskussionsforum
Sobald sich eine Schule zur Durchführung des Projekts entschlossen hat, werden jene Klassen ausgewählt, die sich an den vorbereitenden Gesprächen und später auch an der Projektwoche beteiligen sollen. Im Rahmen von zunächst drei Diskussionsabenden haben alle interessierten Eltern und Lehrer, aber auch Schüler der ausgewählten Klassen die Möglichkeit, sich offen über Fragen und Probleme zum Thema Sex auszutauschen. Besonders wichtig ist hierbei laut Cizek, dass alle beteiligten Gruppen als gleichberechtigte Gesprächspartner angesehen werden.
In zwei weiteren Abenden werden dann die Aktionen geplant, die innerhalb der Projektwoche stattfinden sollen. Diese richten sich nach den Interessen der beteiligten Klassen - so können etwa Ausflüge zum Frauenarzt unternommen oder Experten in die Schule eingeladen werden.
Geistige Reife wichtig
Ausschlaggebend für die Beteiligung der Schüler an den Diskussionsabenden ist vor allem ihre geistige Reife - so hat Cizek die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche unter 15 Jahren noch nicht sinnvoll in die Gespräche eingebunden werden können. Die Fragen der Jüngeren werden daher zunächst klassenintern und anonym eingesammelt und bei den Diskussionsabenden von den Erwachsenen erörtert. Auf diese Weise konnte "LoveTalks" als Pilotprojekt bereits an Volksschulen und auch in Kindergärten durchgeführt werden. Während sich die Jugendlichen meist für Homosexualität, Verhütung und Aids interessieren, stellen die Jüngeren Fragen wie etwa "Wie kommt das Baby in den Bauch?" oder "Warum spinnt der Mann bei der Geburt?".
Die ersten Klassen der HLW Biedermannsdorf haben im Rahmen ihrer Projektwoche beispielsweise das Wiener Ambulatorium am Fleischmarkt besucht, eine Straßenbefragung zur Toleranz gegenüber Homosexuellen durchgeführt und mit aphrodisierenden Zutaten wie etwa Spargel gekocht. Natürlich hätten sie es sich am Anfang etwas unangenehm vorgestellt, mit Eltern und Lehrern über Sex zu diskutieren, geben die 15-Jährigen auf Anfrage der "Wiener Zeitung" zu, allerdings habe sich die anfängliche Scheu relativ rasch gelegt. Auch die Lehrer haben die Durchführung von "LoveTalks" an ihrer Schule durchaus begrüßt, besonders wichtig war ihnen die "Sensibilisierung der Jugendlichen für grundlegende Themen in der Partnerschaft wie Vertrauen, Toleranz und vor allem Liebe", wie die Klassenvorstände Eva Hilscher und Heidrun Fitz erklären.
"LoveTalks" auch im Ausland
Das Projekt "LoveTalks" wird vom Bildungs- und vom Sozialministerium finanziell unterstützt, österreichweit erhielten in den vergangenen zehn Jahren rund 40.300 Schüler aller Schultypen dadurch alternativen Sexualkunde-Unterricht. Die an den vorbereitenden Sitzungen beteiligten Mitarbeiter von "LoveTalks" müssen vor ihrem Einsatz bei den Schülern eine einjährige Ausbildung zum sexualpädagogischen Moderator am Österreichischen Institut für Familienforschung absolvieren. Voraussetzung ist eine abgeschlossene Berufsausbildung mit pädagogischem oder sozialem Hintergrund.
Laut einer vor fünf Jahren durchgeführten Umfrage halten 98 Prozent der Eltern und 97 Prozent der Lehrer "LoveTalks" für die richtige Lösung zur "Aufklärung" der Heranwachsenden. Die hohe Anpassungsfähigkeit des Modells an Entwicklungsstand und Interessen der Schüler ist laut Cizek für den Erfolg von "LoveTalks" - derzeit laufen Projekte auch in Südtirol, Deutschland und der Tschechischen Republik - verantwortlich.