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Warum Staaten keine Schulden haben dürften

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Lehrbeauftragter und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.

Die Gemeinwesen könnten darüber nachzudenken beginnen, wie sie soziale Maßnahmen auch ohne fremdes Geld finanzieren.


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Kürzlich bot Deutschland eine Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit und einem Kupon von null Prozent an - die Anleihe wurde sogar zum Kurs von 100,48 Prozent zugeteilt, sie weist also wie viele Staatsanleihen eine negative Rendite auf. Entwickeln sich monetär paradiesische Zustände? Es kostet kein Geld, Geld aufzunehmen für die wichtigen Aufgaben in einem Gemeinwesen. Dies scheint zu einer Verbesserung bei Bildung, Sozialem, Forschung, Gesundheit, Integration etc. führen zu können. Es ist Geld im Überfluss vorhanden, um die Menschen, Leistungen und Investitionen dafür zu bezahlen.

Doch die Sache könnte - auch ohne Zins und Zinseszins - einen Haken haben: Irgendwann will nicht irgendwer, sondern wollen diejenigen, die das Geld bereitgestellt haben beziehungsweise Anleihen halten, ihr Geld zurückhaben. Wenn sie in der Zukunft keine bessere Verwendung sehen, dann werden sie es dem Staat wieder zur Verfügung stellen, vielleicht sogar mit negativem Zins - aber möglicherweise auch eigenen Interessen.

Die Annahme, dass Geld seine Wirkungskraft schon dadurch verliert, dass es scheinbar partiell leicht(er) verfügbar ist, täuscht darüber hinweg, dass es eben für die vielen Beschäftigten, die es sich erarbeiten, in keiner Weise so leicht zugänglich ist. Geld bleibt ein knappes Gut. Ja, es soll sogar dort gekürzt werden, wo bei den Geldleistungsempfängern keine Gegenleistung gegenübersteht. Aber warum können diese Personen keine Gegenleistung erbringen? Sind sie nicht genug oder falsch qualifiziert, sind sie nicht gesund oder nicht mobil genug? Oder gibt es für sie keine wechselseitig länger passende bezahlte Arbeit in einer Arbeitswelt, die immer flexiblere Arbeitsverträge fordert, damit Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben können, und in der Qualifikationen durch sich rascher ändernde Rahmenbedingungen entwertet werden? Ist der Zinsverzicht am Kapitalmarkt ein Entgegenkommen, damit sich nichts ändert, ein Zugeständnis einer Wirtschaftsweise, wie Papst Franziskus sie in einer Ausprägung beschrieben und kritisiert hat, wenn es sie so tatsächlich gäbe?

Damit sich doch etwas ändert, könnten Staaten, aber auch kleinere Gemeinwesen darüber nachzudenken beginnen, wie sie die in ihrer Verantwortung liegenden sozialen Maßnahmen, für die scheinbar genügend fremdes Geld vorhanden ist, auch ohne dieses Geld finanzieren. Sie würden unabhängig werden, indem sie ihre eigene, aus dem Miteinander im Gemeinwesen sich speisende Quelle identifizieren und zum Fließen bringen. Das ist kein Aufruf zu neuen Steuern, sondern eine Einladung, sich auf die Suche nach dem zu begeben, was wir im Laufe der Zeit in einer Gesellschaft, die immer arbeitsteiliger geworden ist, trotz hervorragender Sozialsysteme nicht mit entwickelt haben. Nicht erst heute sind wir dazu in der Lage, "Arbeitskraft" durch "Maschinenkraft" zu ersetzen, wobei diese Substitution eben auch menschlicher Vorstellungskraft im Rahmen bezahlter Arbeit entsprungen ist. So ganz "unbeteiligt und schuldlos" sind wir also auch an dieser neuen Entwicklung nicht. Vielleicht führt uns diese Einsicht schneller zu einer einvernehmlichen Lösung?