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Warum wir das BIP brauchen

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die wirtschaftliche Messgröße ist mit Mängeln behaftet, es gibt aber vorerst keine wirkliche Alternative.


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Im "Wiener Zeitung"-Interview mit der indischen Ökonomin Jayati Gosh fielen unlängst Aussagen wie jene, das BIP sei ein dummer Maßstab, und die beharrliche Verwendung des BIP sei Ausdruck der Machtverhältnisse, wohl zwischen Mann und Frau sowie Arm und Reich.

Was ist dieses viel gescholtene Brutto-Inlandsprodukt? Es ist - grob gesprochen - die Summe aller für den Markt produzierten Wertschöpfungen eines Landes. Wertschöpfung deswegen, weil vom Produktionswert eines Betriebes die für die Produktion notwendigen Zulieferungen abgezogen werden müssen, die ja schon bei den Zulieferunternehmen erfasst wurden. Die meisten Kritikpunkte stimmen, sie erschlagen aber immer wieder denselben toten Hund.

Das BIP zählt die Produktion von Gütern und Dienstleistungen für den Markt, also nicht zum Beispiel unbezahlte Sozialarbeit oder Hausfrauenarbeit, die in Entwicklungsländern eine große Rolle spielt. Das BIP kennt keine Moral. Jeder produzierte Euro Produktionswert zählt gleich, ob er unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder in paradiesischer Glückseligkeit erarbeitet wird; ob seine Produktion die Umwelt schädigt oder schützt; ob das produzierte BIP eines Landes halbwegs fair verteilt ist oder sich eine kleine Führungsschicht den Löwenanteil unter den Nagel reißt. Das BIP ist also kein Maß für Zufriedenheit oder gar Glück. Ja, auch Unglück erhöht häufig das BIP, wenn etwa Erdbeben- oder Kriegsschäden behoben werden.

Warum hält sich eine mit solchen Mängeln behaftete Messgröße so hartnäckig? Weil es vorerst keine wirkliche Alternative gibt. Und weil sie viele nützliche Anwendungen erlaubt, solange man sie nicht überfordert. Das Gleiche gilt übrigens für das von Gosh kritisierte theoretische, abstrakte Konstrukt des Homo oeconomicus, das ein wertvolles Tool im Volkswirtschaftsunterricht darstellt, solange man den Herrn (oder die Dame) nicht für Realität nimmt. Denn dort maximiert der Homo oeconomicus nicht Euros, sondern seinen Nutzen. Und was da so alles in eine menschliche Nutzenfunktion als Argument eingeht, versucht gerade der neue Zweig der Verhaltensökonomie zu ergründen.

Das BIP hat den Vorteil einer einzigen, vergleichsweise aussagekräftigen Kennzahl zur Wirtschaft eines Staats. Es erlaubt hilfreiche internationale Querschnittsvergleiche, aber auch die Analyse einer Volkswirtschaft im Zeitverlauf. Länder mit höherem BIP pro Kopf haben zumindest das Potenzial, ihren Bewohnern eine bessere materielle Existenz mit moderner Infrastruktur und hochwertigen Jobs zu bieten. Das BIP ist ein einfacher Anknüpfungspunkt für unzählige Tatbestände, wie Steuerschätzungen, Beiträge zu internationalen Institutionen, Anspruch auf Entwicklungshilfe, etc.

Gosh schlägt vor, statt des BIP andere Wohlstandsindikatoren zu entwickeln, eine alte Diskussion, die am ungelösten Problem der Gewichtung der einzelnen Faktoren scheitert. Ohne allgemein akzeptierte Gewichtung gibt es aber den einen und einzigen Gesamtindikator nicht. So wird uns das gute alte BIP noch länger nützliche Dienste leisten, auch wenn ambitionierte Ökonomen bereits an einer Alternative arbeiten.