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Warum wir einen Grenzwert für THC im Verkehr brauchen

Von Rainer Schmid

Recht
Der Konsum von Cannabis ist in Österreich legal, der Verkauf steht unter Strafe.
© Lumppini - stock.adobe.com

Die aktuelle Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts unterscheidet nicht zwischen einer legalen und illegalen Form der Beeinträchtigung.


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Cannabis ist in Österreich als illegale Droge eingestuft. Der Konsum ist legal, der Verkauf steht unter Strafe. Im Verkehrsministerium von Leonore Gewessler (Grüne) wurde nun an einem Gesetzesentwurf für einen Grenzwert ähnlich des 0,5-Promille-Limits bei Alkohol gearbeitet. Hintergrund war, dass selbst, wenn man bereits wieder fahrtauglich ist, der Cannabis-Wirkstoff THC mehrere Tage nachweisbar bleibt. Am Donnerstag ruderte man allerdings wieder zurück: "Nachdem dieser Vorschlag nun keine Zustimmung des Koalitionspartners erhält und sich damit keine Mehrheit im Parlament findet, wird dieser auch nicht weiterverfolgt", hieß es vom Verkehrsministerium. Denn Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte sich dafür ausgesprochen, dass selbst, wenn die Fahrtüchtigkeit nicht eingeschränkt, aber Cannabis nachweisbar ist, gestraft werden soll.

Karner vertritt somit die Auffassung, dass es für eine illegale Droge keinen Grenzwert braucht, da Cannabis an sich verboten ist. Hier macht der Innenminister allerdings einen Gedankenfehler und liegt insofern falsch, als dass die aktuelle Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts nicht zwischen einer legalen und illegalen Form der Beeinträchtigung unterscheidet. Die jetzige Willkür trifft Patientinnen und Patienten, die regelmäßig Schmerzmittel wie etwa Opioide einnehmen, ebenso. Gerade diese Gruppe würde von einem toxikologisch definierten Grenzwert für THC profitieren.

Willkürliche Beurteilung

Österreich ist in Europa zudem eines der wenigen Länder, die noch keinen Grenzwert für THC im Straßenverkehr eingeführt haben. Diese Nichtpräzisierung führt tagtäglich in zahlreichen Einzelfällen zu willkürlichen Beurteilungen einer Beeinträchtigung. Denn es macht einen Unterschied, ob jemand unmittelbar nach dem Konsum von Cannabis ins Auto steigt, oder der Konsum bereits mehrere Tage zurückliegt - man also längst nicht mehr beeinträchtigt ist. Eine Sanktionierung ohne Verminderung der Fahrsicherheit ist die derzeit gängige Praxis.

Aktuell wird der Führerschein auch dann abgenommen, wenn jemand stocknüchtern am Steuer sitzt, aber winzige Rückstände von Cannabis im Urin nachgewiesen werden können. Denn während die akute Wirkdauer von Cannabis in der Regel nur wenige Stunden beträgt, ist Cannabis im Blut und speziell im Harn wesentlich länger nachweisbar -konkret das Abbauprodukt THC-Carbonsäure selbst bei nur einmaligem Konsum noch nach 24 bis 36 Stunden im Harn. Bei regelmäßigem Cannabiskonsum lässt sich THC mit einem Urintest noch nach sechs bis acht Wochen feststellen. Das hat zur Folge, dass auch nichtwirksame Abbauprodukte zu einem Führerscheinentzug und somit zu wirtschaftlichen Existenzfragen führen können.

Das bedeutet für einen Freizeitkonsumenten, dass er im Falle eines positiven Vortests (etwa durch Harntest) de facto immer schlechte Karten hat. Selbst wenn sich dann nur geringste Spuren von aktivem THC im Blut befinden, hat der Betroffene kaum Chancen, zu beweisen, dass er nicht beeinträchtigt war. Wer in der Woche statt eines Glases Wein einen Joint konsumiert, ist durch die Abbauprodukte von THC im Körper damit bei jeder Autofahrt seinen Führerschein potenziell los.

Hegt die Exekutive Verdachtsmomente, die auf Drogenkonsum und -beeinträchtigung hindeuten, erfolgt eine erste oberflächliche Überprüfung (vor allem Testung der Pupillenreaktion) und regelmäßig die Aufforderung zur freiwilligen Urinabgabe. Zeigt der Urintest ein positives Ergebnis oder wird der Test verweigert, erfolgt die Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung. Gelangt der Amtsarzt im Zuge der klinischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Fahrtauglichkeit aufgrund Suchtgiftkonsums nicht mehr gegeben ist, wird eine Blutuntersuchung durchgeführt. Finden sich im Blut aktive Suchtmittel-Wirkstoffe, drohen der Entzug der Lenkerbefugnis für die Dauer eines Monats und Kosten von rund 1.700 Euro an Strafe und Untersuchungskosten. Zur Wiedererlangung des Führerscheins ist eine amtsärztliche Untersuchung durchzuführen und eine psychiatrische und verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen sowie ein Verkehrscoaching zu absolvieren.

Minimale Suchtgiftkonzentration

Finden sich auch nur geringste Wirkstoffe im Blut und geht der Amtsarzt von einer Beeinträchtigung durch THC aus, dann besteht de facto keine Chance, das amtsärztliche Gutachten zu widerlegen. So ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Strafbarkeit auch dann gegeben, wenn die gemessene Suchtgiftkonzentration zwar für sich genommen nicht wirksam sein kann, aber Reserveursachen wie etwa eine Übermüdung hinzukommen. Da diese Reserveursache jedoch bei nahezu jeder Untersuchung durch den Amtsarzt angenommen wird, haben Betroffene auch bei 0,5 Nanogramm THC und weniger mit einem Entzug der Lenkerbefugnis und Strafe zu rechnen.

Cannabiskonsumenten und -patienten werden im Straßenverkehr in einem nicht vertretbaren Umfang sanktioniert, obwohl sich eine Beeinträchtigung aus medizinisch-pharmakologischer Sicht nicht begründen lässt. Österreich hat als eines der wenigen Länder in Europa noch keinen Grenzwert für THC im Straßenverkehr eingeführt. So gibt es in Deutschland einen Grenzwert von einem Nanogramm THC im Blut. In Dänemark, Finnland, Frankreich und Griechenland gilt dasselbe Limit. In Großbritannien, Polen und der Schweiz liegt der Grenzwert bei drei Nanogramm, in Tschechien bei vier und in den Niederlanden und Portugal bei sechs.

Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat der Politik eine Erhöhung des THC-Grenzwerts im Straßenverkehr empfohlen. Der Grenzwert müsse "angemessen" heraufgesetzt werden, teilte das Gremium im August mit. Eine konkrete Zahl wurde nicht genannt. Der momentan angewandte Grenzwert für Cannabis liege so niedrig, dass er zwar den Nachweis des Konsums ermögliche, aber keinen Rückschluss darauf zulasse, ob die Verkehrssicherheit beeinflusst ist.

Der Suchtbeirat der Vorarlberger Landesregierung hat ebenfalls die Einführung eines Grenzwerts gefordert. Noch verweigert der Gesetzgeber die Definition eines Cut-off. Sobald selbst Spuren von THC im Blut oder Harn nachweisbar sind, gilt das Verschuldensprinzip: Man wird bereits nur durch den Konsum einer illegalen Droge straffällig. Es verwundert daher nicht, dass in den vergangenen zehn Jahre die Zahl der Führerscheinabnahmen wegen Suchtgifteinflusses von 400 pro Jahr auf 6.500 explodiert ist.

Toxikologisch definierter Wert

Vergleicht man den Grad der Beeinträchtigung durch THC mit jenem durch Alkohol, kann wissenschaftlich ein Wert von fünf Nanogramm THC im Blut mit einer Beeinträchtigung von 0,5 bis 0,8 Promille Alkohol im Blut gleichgesetzt werden. US-Bundesstaaten wie Colorado orientieren sich bereits an der medizinisch-pharmakologischen Evidenz. Dort wurde ein Wert von fünf Nanogramm THC im Blut als Grenzwert für eine Beeinträchtigung festgelegt.

Unbestritten ist, dass man nach akutem Cannabiskonsum nichts hinter dem Steuer verloren hat. Aber der Gesetzgeber muss die medizinisch-pharmakologischen Evidenzen zur Kenntnis nehmen und zu einem toxikologisch definierten Grenzwert kommen, ab dem mit einer aktuellen Beeinträchtigung zu rechnen ist. Alles andere kommt einer Mischung aus Willkür und versteckter Drogenpolitik sehr nahe - und beides hat im Straßenverkehr nichts verloren.

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