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Warum wir lieber Kürbisse schnitzen, als dem Tod ins Gesicht zu lachen

Von Judith Belfkih

Analysen

Der zarte Novembernebel kriecht zwischen den Grabsteinen hervor, auf den Gräbern brennen Lichter. Familien stehen um rot flackernde Flammen und gedenken ihrer verstorbenen Angehörigen. Ruhe, Besinnung, Einkehr. Und in vielen Fällen längst Vergangenheit. | Verkleidete Kinder, die Fratzen in Kürbisse schnitzen und um Süßigkeiten betteln, es ist bunt und laut - wie wir die Tage rund um Allerheiligen und Allerseelen wahrnehmen, hat sich stark gewandelt. Und nicht nur die Marketing-Industrie sähe es lieber, wenn wir hier ganz auf Halloween umschwenken könnten. Einkehr war gestern, es lebe der Konsum. Da ist jeder Anlass recht. Gruselkostüme, Kürbisse nebst Schnitz-Anleitung und schwarz-orange Deko-Elemente bringen zweifelsfrei mehr ein als ein paar Grab-Kerzen.


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Dass Halloween aus den USA zu uns gekommen ist, wissen die meisten. Was dabei eigentlich gefeiert wird, die wenigsten. Auch in den USA. Dass sich der Begriff von "All Hallows Even", also Allerheiligenabend, ableitet, stellt die zeitliche Verbindung zur europäisch-christlichen Tradition her. Was hier eigentlich gefeiert wird, ist jedoch nicht restlos geklärt. Irische Auswanderer dürften die Idee in die USA mitgebracht haben - ein Brauchtum, das zu einem der wichtigsten US-Volksfeste wurde.

Man muss nicht so weit gehen wie einige konservative christliche Gruppen, die in Halloween die Gefahr des Missbrauchs satanistischer Vereinigungen orten - zumindest die jüngste und äußerst unreflektierte Übernahme nach Europa ist unschwer als Konsumstrategie zu entlarven. Und man muss sich nicht als Kulturpessimist outen, um die mediale und reale Globalisierung als Triebkraft dahinter auszumachen.

Das Argument, Kinder hätten so viel Spaß am Schnitzen und Basteln, ist ein schwaches. Oder ein trauriges, das vor allem etwas über die Fantasielosigkeit von Eltern aussagt.

Wie eine Gesellschaft mit dem Tod umgeht, sagt viel über sie aus. Mit Religion haben diese Rituale meist wenig zu tun. Und das nicht erst, seit Konsum und Spaß als Götzen verehrt werden. Im rationalen Europa ist der Tod eher ein Störfaktor, der an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Oder ganz ausgeblendet.

Die Rückkehr zur mitunter betulich gewordenen Besinnlichkeit, ist sicher nicht die einzige Lösung. Und Brauchtum zu übernehmen - auch aus Amerika -, ist an sich kein Verbrechen. Man muss die Feste schließlich nicht nur feiern, wie sie fallen.

Aber wenn schon ein Totenkult aus Amerika, dann doch lieber der mittlerweile ins Christentum eingewobene mexikanische "Tag der Toten", der auch von Halloween verdrängt zu werden droht - ein farbenprächtiges Familien- und Volksfest zu Ehren der Toten.

Vielleicht hätte das auch Auswirkungen auf unseren Umgang mit Alter und Tod - dem Tod mit einem Lachen zu begegnen statt mit einer verzerrten Fratze.