)
Bush inszenierte Aufschwung nach dem 11. September. | USA droht eine langwierige Anpassungsrezession. | Wien. Erstmals in der Geschichte ist es heute das pro Kopf reichste Land der Welt, das kaum spart, anders ausgedrückt: aus eigener Kraft nur wenig investierbares Sachkapital bildet. Es sind die USA. Warum bilden sie keine Ersparnisse? Warum leihen ihnen die anderen? Nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen Ersparnisse aus drei Quellen: vom Staat, von den privaten Haushalten und von den Kapitalgesellschaften. Von diesen drei Sektoren sparen in den USA einzig die Kapitalgesellschaften: in Form von rückbehaltenen Gewinnen. Aber sie sparen weniger als das, was die gesamtwirtschaftlichen Investitionen betragen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das wirklich Erstaunliche und in nicht krisengeschüttelten Zeiten historisch Einmalige ist, dass die privaten Haushalte in den USA in Summe entsparen: Die jährliche Sparquote der privaten Haushalte der USA beträgt -1 Prozent (zum Vergleich: Im erheblich sparenden Österreich liegt sie bei 10 bis 11 Prozent). Und der amerikanische Staat schließlich hat das sogenannte "Deficit Spending", also das staatliche Entsparen unter Präsident Bush, der von seinem Vorgänger ein ausgeglichenes Budget übernommen hatte, ganz rasch gewaltig ausgebaut.
Bush schuf ein Budgetdefizit der USA, das weit größer war und noch ist als die im Maastricht-Vertrag für Europa festgelegten höchstens drei Prozent des Sozialprodukts. Der Aktienboom der USA in den Jahren 1995 bis 1999 endete, je nach Maßstab, im Februar oder März 2000, also noch bevor Bush am 31. Jänner 2001 sein Amt antrat. Als Nachwirkung des genannten Booms erbte Bush eine Rezession, einen Sozialproduktrückgang, der nur einen Monat nach seinem Amtsantritt, nämlich im März 2001, begann.
Doch währte er nur kurz, acht Monate bis einschließlich Oktober 2001. Denn allgemein bekannt ist ja, welcher Anschlag auf die USA am 11. September 2001 verübt wurde. Wenn das Instrumentieren einer Katastrophe "genial" genannt werden kann, so nutzte Bush diese Katastrophe sofort genial, um einen fünfjährigen Wirtschaftsaufschwung der USA zu inszenieren und seine Wiederwahl zum Präsidenten im Jahre 2004 zu sichern.
Bush rüstete auf und führte "Krieg gegen den Terror", reduzierte die Steuerlast der Reichen und erhöhte die sozialen Ausgaben für den Krankheitsfall. Dazu rief er in historisch einmaliger Weise die privaten Haushalte auf, als patriotische Pflicht Geld auszugeben, also zu entsparen, um "Vertrauen in Amerika" zu zeigen.
Der Teufelskreis der Stagnation
Er ist der Urheber der negativen privaten Sparquote der USA. So erwies sich der Republikaner Bush, wie vorher Reagan, als erfolgreicher, wenn uneingestandener Keynesianer: also zusätzliche Staatsausgaben zur Rezessionsbekämpfung tätigend und die Privaten zur gleichen Ausgabenfreudigkeit ermutigend. Im fatalen Gegensatz zu Reagan freilich setzte Bush seine Rüstungs- und Militärausgaben in Krieg um.
Kein Haushalt und auch kein Land kann jedoch dauernd entsparen, also mehr ausgeben als einnehmen. Erhöht ein Land das Sparen aber wieder, so führt das zumindest kurzfristig - und zwar heute wohl für eine recht lange "kurze" Frist - zum Rückgang des Sozialprodukts oder wenigstens zu wirtschaftlicher Stagnation. Wenn aber viele Einkommen stagnieren oder gar zurückgehen, dann wird es erst recht schwer, mehr zu sparen: Ein Teufelskreis eröffnet sich. Es wird den USA also schwer werden, nicht mehr auf Pump zu leben.
Es ist noch erstaunlich wenig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit eingedrungen, dass notwendigerweise folgende "Identität" gilt: Der Überschuss der gesamtwirtschaftlichen Investitionen über die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse ist definitionsgemäß gleich dem Leistungsbilanzdefizit, das heißt dem Überschuss der Importe über die Exporte. Und natürlich auch umgekehrt: Spart ein Land (wie gegenwärtig Deutschland und Österreich) mehr als es investiert, so müssen die Exporte die Importe übertreffen; die Leistungsbilanz muss einen Überschuss aufweisen.
Als Keynes 1936 am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise schrieb, in der die Exporte wie die Importe verschwindend gering waren, nahm er sehr realistisch an, dass es nur Investitionen und Ersparnisse einerseits, Konsum andererseits gäbe, also weder Exporte noch Importe. In einer solchen "geschlossenen" Wirtschaft müssen der oben stehenden Identität zufolge die Ersparnisse genau gleich den Investitionen sein; und das bedeutet, dass der Versuch, mehr zu sparen als zu investieren, nur zu einer Schrumpfung des Sozialprodukts führt, bis die Ersparnisse aus den reduzierten Einkommen auf die Höhe des Investitionsvolumens geschrumpft sind. Dann also sind Ersparnisse von Übel, und nur die Ausgabenfreudigkeit des Staates kann das Sozialprodukt - und die Beschäftigung - einigermaßen hoch halten.
Anders ist es in einer offenen, stark exportverflochtenen Wirtschaft: Spart ein Land mehr als es investiert, so leiht es seine Ersparnisse einem anderen Land, welches umgekehrt mehr investiert als spart. Und das heißt: Das im Überschuss sparende Land exportiert mehr als es importiert und kreditiert den Exportüberschuss dem borgenden Land. Umgekehrt muss das kaum sparende Land ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen.
Reiche USA bei armen Staaten in der Kreide
Dieses noch und noch borgende Land ist heute - und schon seit einem Vierteljahrhundert, wenn freilich noch nie so stark wie derzeit- das reichste Land der Welt, die USA. Die USA borgen am meisten von China, am zweitstärksten von Japan und darüber hinaus von Indien, Brasilien, Deutschland usw. Als Folge sind die USA international schwer verschuldet.
Relativ zum Sozialprodukt der USA scheint das gesamte Borgen gar nicht sehr groß zu sein: Es beträgt "nur" ein Viertel eines Jahressozialprodukts der USA. Aber da die USA etwa 30 Prozent des Weltsozialprodukts erwirtschaften, sind absolut gesehen die US-Schulden bei den anderen Wirtschaften, noch dazu bei vielen sehr armen Ländern, gigantisch. Noch nie war eine so reiche Wirtschaft so sehr bei so armen in der Kreide.
Die Investitionsquote der USA ist geringer als in vielen anderen entwickelten Wirtschaften, dennoch aber höher als die Sparquote. Der Rest der Welt spart hingegen erstaunlich viel und hat ein Kapitalverwertungsproblem. Der Rest der Welt gibt sein Geld Amerika in der Hoffnung, Amerika werde die Mittel sinnvoll und gewinnbringend investieren, während die USA diese vor allem konsumtiv - und kriegsführend - verprassen.
Warum gibt es heute ein weltweites Kapitalverwertungsproblem? Aufwendige Investitionen sind und waren immer diejenigen in die sogenannte Infrastruktur, etwa in den Wasserkraftwerksbau, und vor allem die Verkehrsinvestitionen.
Äußerst investitionsaufwendig war der Eisenbahnbau des 19. Jahrhunderts. Europa und Nordamerika standen dann nochmals unter starkem Investitionsdruck, als im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts das Straßennetz für den Autoverkehr ausgebaut wurde. Die Industrie allein benötigt hingegen nur relativ geringe Investitionen, und die Landwirtschaft schrumpft.
Wo soll man das Ersparte investieren?
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts werden daher überall für überschüssige Ersparnisse Investitionsmöglichkeiten gesucht. Aber warum sollten solche Möglichkeiten gerade in einem von Kapital übersättigten Land wie den USA zu finden sein? Warum nicht in der Infrastruktur erfolgreicher asiatischer Schwellenländer?
Die Weltwirtschaft steht gegenwärtig also vor einem doppelten großen Wirtschaftsproblem: Erstens gibt es gar keinen Grund, warum der Rest der Welt weiter den USA jährlich sechs Prozent ihres Sozialprodukts leihen soll, oder: Weil der Rest der Welt jetzt 70 bis 75 Prozent, die USA hingegen 25 bis 30 Prozent des Weltsozialprodukts erarbeiten, ist zu fragen, weshalb ärmere Länder im Schnitt 2 bis 2,5 Prozent ihres Sozialprodukts dem reichsten leihen sollten - und das für privaten Konsum und zur Kriegsfinanzierung. Hört der Rest der Welt auch nur teilweise und langsam auf zu verleihen, so werden die USA eine langwierige Anpassungsrezession durchmachen, ähnlich (wenn nicht noch markanter) der 15-jährigen Anpassungsrezession Japans seit etwa 1990.
Höhere Sparquote allein reicht nicht
Zweitens aber: Eine US-Sparquotenerhöhung allein wird nicht genügen. Es reicht nicht, wenn Schulden sich nur nicht mehr vermehren; irgendwann müssen Schulden auch zurückgezahlt werden. In der ungefähr von 1717 bis 1913 und dann mit Krämpfen abgeschwächt bis 1973 dauernden Goldwährung zahlte jedes Land seine Schulden eins zu eins in letztlich gleichbleibender Währung, nämlich in Gold, zurück. Ab 1973 aber nicht mehr: denn seit damals wird jeweils in einer auf und ab schwankenden lokalen Währung gezahlt.
Die USA haben beim Rest der Welt vor allem Kredite, die in ihrer eigenen Währung beziffert sind, aufgenommen; Zudem ist auch die Ausgabe jener Dollarnoten, die ins Ausland fließen, ein Kredit an die USA, noch dazu ein zinsloser. Wenn der Rest der Welt viel Kredit an Amerika gibt, dann erhält er nur einen relativ geringen Dollarbetrag zurück, weil aufgrund der hohen Nachfrage nach Dollar dessen Kurs hoch steht. Umgekehrt ist bei Kreditrückzahlung-dann herrscht ein Dollarüberangebot - der Dollarkurs niedrig.
So gaben die Kreditgeber zuerst viel eigene Kaufkraft her und werden später umgekehrt nur wenig zurück erhalten. Die Frage ist, ob und wie weit zurückgezahlt wird, ob die Gläubiger der USA letztlich überhaupt erhebliche Werte zurück erhalten werden. Denn die USA halten nur geringe Reserven an ausländischen Währungen und auch nicht mehr viel Gold. Die Vorstellung einer geballten Kreditrückzahlung durch Amerika ist also für alle Beteiligten keine angenehme.
Es ist aber auch nicht klar, ob eine Rückzahlung der Kredite durch die USA politisch machbar wäre. Denn ein guter Teil der US-Dollarnoten wird in anderen Ländern gehortet: von deren wirtschaftlich unkundigen Bürgern, die kein Vertrauen in ihre eigene schwache Währung haben - Russen, Türken, Argentiniern usw. Was geschieht, wenn diese beschließen, bei stärkerer Dollarabwertung wegen drohender Verluste in eine andere Weltwährung zu fliehen? Dann müssen letztlich die USA für diese Euro, Yen oder Schweizer Franken einen Gegenwert finden. Und das wäre kurzfristig gar nicht und langfristig nur dadurch möglich, dass noch viel mehr US-Grundstücke und Unternehmen an das Ausland verkauft werden.
Robert Mundell hat in seiner im Jahr 2000 publizierten Nobel-Vorlesung betont, dass das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Weltvormachtstellung der USA und seines Dollars war, dass aber andererseits dieses Jahrhundert durch eine Serie wirtschaftspolitischer Fehler gerade der USA gekennzeichnet war.
Nach den hier angestellten Überlegungen ist es ganz unwahrscheinlich, dass das 21. Jahrhundert ebenfalls eines des dominanten Dollars werden wird. Ja, es ist ganz unwahrscheinlich, dass die USA überhaupt das pro Kopf reichste Land der Welt bleiben werden.
Erich W. Streissler ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien.