)
Bei ihrem "dies facultatis" verteidigten die Philosophen und Bildungswissenschaftler der Universität Wien ihre "nutzlosen" Fächer gegen die Ansprüche einer Zeit der Ökonomisierung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vizerektorin Marta Sebök wies einleitend auf die neue Struktur der Universität Wien mit 15 Fakultäten und zwei Zentren und auf die Aufgabe der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften hin, durch einseitige Betonung von Technik oder Ökonomie eingetretene Defizite abzudecken. Der Dekan der Fakultät, Peter Kampits, hob als Motor und Moderator der Veranstaltung hervor, dass es seiner Fakultät darum gehe, den Blick für Verantwortung zu schärfen und nicht Fachwissen, sondern Orientierungswissen zu vermitteln. Vizedekanin Ines Maria Breinbauer warnte davor, das Aufbringen von Drittmitteln als Kriterium für Nutzen oder Nutzlosigkeit von Fächern zu nehmen.
Den Hauptvortrag zum hintergründigen Titel "Vom Nutzen des Nutzlosen" hielt der Tübinger Philosoph Otfried Höffe. Er wurde dem Untertitel "Zur Bedeutung der Philosophie im Zeitalter der Ökonomisierung" voll gerecht. Er wandte sich gegen die "Diktatur des BWL-Denkens", gegen das Motto "Divide et impera" (Teile und herrsche), mit dem zwischen profitfähigen und nutzlosen Wissenschaften unterschieden werde.
Die Philosophie sei durch Jahrhunderte Leitwissenschaft gewesen. Fächer wie Sinologie und Orientalistik - die der österreichische Finanzminister vor einigen Jahren als überflüssige "Orchideenfächer" bezeichnet hat - seien eine wertvolle Hilfe, um Kulturen zu verstehen, mit denen wir leben müssen.
Das Zeitalter, so Höffe, verlange ein Mehr an Philosophie. Ohne Begriffe oder Argumente aus der Philosophie seien viele politische Debatten - etwa über soziale Gerechtigkeit, über Gerechtigkeit zwischen den Generationen, über ethische Fragen - nicht möglich. Es gehe um die Suche nach Argumenten und nach Abwägung, um "judikative Kritik". Höffe sieht die Philosophie gerade in einer globalisierten Welt in ihrer Rolle als Anwalt der Menschheit gefordert. Die großen Geister galten über Religionen und Kulturen hinaus als Vorbilder. Für Höffe besteht die große Leistung der Philosophie und der Geisteswissenschaften darin, sich und andere besser kennen zu lernen, für Dinge zu sensibilisieren, für die es sich lohnt, geboren zu sein und sich zu engagieren. Die Fragen von Kant blieben unverändert aktuell: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?
In einer lebhaften Podiumsdiskussion ortete der ehemalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Herbert Krejci, in der "Totalökonomisierung" eine Gefahr für die soziale Marktwirtschaft, zu der er sich ebenso eindeutig bekannte wie zu einer umfassenden humanistischen Bildung. Dazu gehöre nicht nur Mathematik, sondern auch Poesie. Er zitierte Friedrich August Hayek: "Wer nur Nationalökonom ist, kann kein guter Nationalökonom sein." Renate Römer, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer, widersprach nicht, sondern ergänzte, es sei ganz eindeutig, dass man in führenden Positionen "ganzheitliches Denken" brauche.
Heinrich Neisser, Politologe und früherer ÖVP-Politiker, sieht die gegenwärtige Entwicklung zu einer "unternehmerischen Universität" skeptisch und wünscht sich eine Renaissance der Geisteswissenschaften - auch vor dem Hintergrund der europäischen Herausforderung: Was hält Europa über Marktmechanismen und politische Kooperation zusammen? Neissers Resümee: "Philosophie kann wie kaum eine Wissenschaft ungemütlich sein - und das soll sie auch."
In den Chor der Bekenner zu den "nutzlosen" Geisteswissenschaften stimmte auch Kurt Grünewald, Wissenschaftssprecher der Grünen, ein.Wenn Wissen Macht bedeute, so sei er - andere aber offenbar nicht - sehr dafür, diese Macht mit möglichst vielen zu teilen. Kluge Fragen seien wichtiger als schnelle, dümmliche Antworten. Grünewald forderte die Vertreter der Wissenschaft zu mehr Courage auf.