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Was bei der Pflegereform fehlt

Von Martina Madner

Politik

Die Begutachtung der ersten Gesetze zeigt, dass nur 3 Prozent der Angehörigen den Pflegebonus erhalten.


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Nach einem Anti-Teuerungspaket im Umfang von insgesamt 28 Milliarden Euro, davon sechs Milliarden an Soforthilfen für Bevölkerung und Unternehmen, nimmt sich die Mitte Mai von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und den Klubobleuten August Wöginger und Sigrid Maurer präsentierte Pflege-Milliarde fast klein aus.

Kein Wunder, dass die enorme Teuerung - im Mai bereits 7,7 Prozent - auch in der Begutachtung der ersten Gesetzesvorhaben der Pflegereform, die mit 21. Juni geendet hat, eine Rolle spielt. So zum Beispiel heißt es in der Stellungnahme der Caritas: Die "Frage der Leistbarkeit von Pflege und Betreuung für Betroffene und Angehörige, die vor allem die Pflege zu Haus ermöglichen, drängt". Sie sei in den "vorliegenden Maßnahmen völlig unzureichend adressiert".

Sowohl Pflegegeld als auch die Förderung der 24-Stunden-Betreuung hätten einen "massiven Wertverlust erlitten". Das Pflegegeld, das seit 2020 jährlich automatisch an die Teuerung angepasst wird, müsse deshalb nochmals erhöht werden. Die Förderung der 24-Stunden-Betreuung, bei der es laut Caritas-Generalsekretärin Anna Parr "noch nie eine Valorisierung gegeben hat, weshalb die 550 Euro heute nur mehr 423 Euro wert sind", müsse überhaupt erstmals valorisiert werden.

Aber nicht nur das: Obwohl Rauchs erste Schritte in der Pflegereform von Gewerkschaften und Pflegeorganisationen einhellig begrüßt werden, gibt es auch Kritik - sowohl beim Bonus für Angehörige als auch bei der Personaloffensive.

Bonus nur für 24.000 von 800.000 Angehörige

Ab kommendem Jahr sollen jene, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, also der laut Caritas quasi "größte Pflegedienst der Nation", einen jährlichen Bonus von 1.500 Euro erhalten. Allerdings nicht alle 800.100, die laut Uni Wien-Studie in die Pflege eines Familienmitglieds involviert sind, sondern unter zwei Bedingungen: wenn sie sich wegen der Pflege selbstversichert oder ihre Erwerbsarbeit aufgegeben und sich weiterversichert haben; und sofern der Pflegebedürftige Pflegegeld in Stufe vier und höher bezieht.

Laut Caritas sei aus der Praxis bekannt, dass, "je nach Grunderkrankung, auch die Pflege einer Person der Pflegegeldstufe 3 sehr aufwändig sein kann". Auch wenn eine Demenz vorliege, sei die Belastung der Angehörigen laut Volkshilfe schon in Pflegestufen unter der vierten "signifikant höher". "Als Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger sehen wir keine sachliche Begründung dafür, dass der Angehörigenbonus auf eine bestimmte Gruppe eingeschränkt werden soll", kritisiert auch die von Präsidentin Birgit Meinhard-Schiebel geleitete Organisation nun im Begutachtungsverfahren.

Aber nicht nur das: "Es ist unklar, ob es sich bei dem Betrag von 1.500 Euro pro Jahr um einen Brutto- oder Nettobetrag handelt und ob der Bonus steuerpflichtig ist." Nicht geklärt sei außerdem, ob es einen Rechtsanspruch auf den Bonus gibt, oder ob es eine Kann-Leistung ist, also ob man verpflichtend über den Anspruch informiert wird und diesen auch einklagen kann.

In der Stellungnahme des Dachverbands der Sozialversicherungsträger ist außerdem nachzulesen: "Laut Folgenabschätzung sollen allerdings vom Angehörigenbonus nur rund 24.000 der 800.000 pflegenden Angehörigen profitieren, also nur drei Prozent."

Pflegende Pensionistinnen erhielten keinen Bonus

Selbst- oder Weiterversicherung als notwendige Voraussetzung schließt auch pflegende Pensionistinnen und Pensionisten vom Bonus aus. Laut Uni Wien-Studie aber befinden sich bereits mehr als 50 Prozent der pflegenden Angehörigen bereits in Pension. Das trifft laut Stellungnahme der Arbeiterkammer insbesondere "Frauen mit Pensionsbezug, die ohnehin strukturell eine niedrige Eigenpension haben und zusätzlich mit der Pflege eines pflegebedürftigen Angehörigen belastet sind." Für den Dachverband der Sozialversicherungsträger ist der Ausschluss "des weitaus größten Teiles der betroffenen pflegenden Angehörigen" auch "in Hinblick auf die Gleichbehandlung bedenklich".

Eine echte Entlastung pflegender Angehöriger könne "nur durch den Ausbau und die Finanzierung von Dienstleistungen gelingen", heißt es außerdem von Seiten der Diakonie in der Begutachtung des Pflegegeldgesetzes.

Gehaltserhöhung von Heimhilfen fehlt

520 Millionen Euro der Milliarde will die Regierung in die Gehälter der Pflegekräfte als Anreiz investieren. Denn: Laut Bedarfsprognose der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) werden 2030 76.000 zusätzliche professionelle Pflegekräfte benötigt.

Im Bundesgesetz über einen Zweckzuschuss an die Länder für die Jahre 2022 und 2023 geht es also um die Erhöhung des Entgelts in der Pflege. Mehrere Bundesländer kritisieren allerdings, dass diese Gesetzesänderung nicht nachhaltig sei. In der Stellungnahme der Tiroler Landesregierung, bekanntlich ebenfalls eine Koalition von ÖVP und Grünen, heißt es etwa: "Ein zeitlich befristetes Zweckzuschussgesetz ist nicht geeignet, eine dauerhafte finanzielle Besserstellung" der Pflegekräfte zu erwirken.

Außerdem wurde auf manche Berufsgruppen wie die Heimhilfe oder die Fach- und Diplomsozialbetreuung bei den Gehaltserhöhungen "vergessen", wie mehrere Stellungnahmen kritisieren, darunter jene der Arbeiterkammer zu diesem Gesetz. Und das, obwohl laut GÖG-Erhebung 2030 auch 14.700 in Sozialbetreuungsberufen und 10.700 Heimhilfen fehlen.

Auch beim Hilfswerk ist man davon überzeugt, dass die Heimhilfen jedenfalls ins Gesetz aufgenommen werden müssen. Das gebiete auch die "politische Vernunft", lässt Geschäftsführerin Elisabeth Anselm wissen: Schon derzeit könne man "in manchen Regionen kaum noch die Nachfrage jener Menschen zufrieden stellen, die Unterstützung brauchen und sich an uns wenden, weil wir Engpässe beim Personal haben, auch in der Heimhilfe".